08.09.2012, Samstag – Köln
Hinflug - Wie, die Niagarafälle sind
bei Toronto?
Der Wecker klingelt um 5.30 Uhr.
Ich springe aus dem Bett, laufe
im Kreis und werfe die Arme über den Kopf! Waaahhh! Auf geht’s zum Bahnhof in
Köln, um Anne zu treffen. Eike drückt uns noch ne Tüte mit geschmierten Stullen
in die Hand, weil Flugzeugessen nicht schmeckt.
Auf dem Weg zwischen dem Fernbahnhof
am Flughafen Frankfurt und dem Terminal 1 fallen mir wieder die unzähligen Bretzelstände
auf, die ausländischen Reisenden sofort eine deutsche Atmosphäre vermitteln
(sollen).
Beim Check In wird es kurz
spannend, da ich bei der Buchung Anne statt Annegret als 2. Reisenden angegeben
habe. Für Air Canada ist das allerdings kein Problem. Gut, dass wir nicht über
die USA fliegen.
Unser Zwischenstopp ist nach
knapp 10 h Flug Toronto und irgendwie fühlen wir uns, als ob wir Urlaub in
Kanada machen. Kuba ist in unserem Kopf noch ganz weit weg. In Toronto haben
wir knapp 5 h Aufenthalt. Wir überlegen einen schnellen Kaffee in der Stadt zu
trinken. Allerdings sagt uns das Infopersonal am Flughafen, dass es sich nur
mit einem Taxi lohnen würde und das ist zu teuer. Uns fällt auf, dass die
Kanadier, die am Flughafen arbeiten, sehr gemischte Nationalitäten haben. Es
gibt viele Inder, Asiaten, Südamerikaner und nur wenige Weiße. Ich fände es schön,
in so einem Multi Kulti Land zu leben. Deutschland ist so einheitlich.
An einem Infostand decken wir uns
mit Prospekten ein, da wir auf dem Rückflug sicherlich Zeit für Unternehmungen
haben und stellen fest, dass die Niagara Fälle
quasi direkt neben der Stadt
liegen. Wer hätte das gedacht?! Noch mal im Kreis laufen, freuen und einen
lebensgroßen Plüschelch mit Kanada-T-Shirt umarmen!
Annes Chefin hat ein Kommunikationsproblem. Sie kann ihren
Mitarbeitern gegenüber nicht persönlich freundlich sein. So hat sie Anne zum
Urlaub eine Email geschrieben: „Traure nicht der Vergangenheit hinterher.
Verschwende deine Gedanken nicht in der Zukunft. Lebe im hier und jetzt.
Buddha.“
Das ist schön. Das nehmen wir uns
jetzt als Urlaubsmotto und trinken erst Mal ein kanadisches Bier für 5 $ und
setzten uns in ein Fastfood Restaurant. Das Bier ist total leicht und die
kanadischen Haribos richtig gut!
Wir wollen die Besitzer unserer
Unterkunft in Havanna per E-Mail darüber informieren, dass wir erst gegen 23
Uhr ankommen. Das hat Annes Schwester, die uns mit ihrem fließenden Spanisch
das Zimmer gebucht hat, nicht erwähnt.
Ich hatte immerhin ein Semester
lang Spanisch, vor 5 Jahren. Wenn ich mich an diese Zeit zurück erinnere, fällt
mir allerdings als erstes Jenny ein, die neben mir saß und permanent mit einem
übertriebenen spanischen Akzent „Yo soy
muy sexy“ rief und wir danach einen Lachkrampf bekamen. Das hilft uns grad
nicht weiter.
Wir versuchen einen Satz auf
Spanisch zu kreieren, der halbwegs normal klingt. Daraus wird „Arrivos a 11 pm
hoy noche“. In den Betreff scheiben wir noch „Nuestra habitacion“. Das Können
wir uns aus der Reservierung abgucken.
Wir haben keinen Schimmer, ob ein
Kubaner das versteht. Allerdings glauben wir mit dem „11 pm“ auf der sicheren
Seite zu sein. Wir werden sehen.
In der Schlange des Check Inns meint
Anne, dass ihre Eltern jetzt, wo die Kinder groß sind, sehr viel reisen. Erst
grade waren sie in dem Land mit den "vielen Stationen von Jesus". Ich
schau sie fragend an: "Was gibt es da denn sonst außer Israel?!"
"Ja genau, in Israel waren sie!" sagt Anne und ich muss lachen. Den
katholischen Religionsunterricht an den Ankumer Schulen gewöhnt, kann ich es
mir nicht vorstellen, dass man so etwas nicht weiß. Anne hingegen ist in Adorf bei
Chemnitz in der ehem. DDR. Ungetauft hat sie in der Schule auch nichts über das
Land mit den Stationen von Jesus gelernt…
Wir entdecken den ersten Willkommensgruß
Kubas: ein kleiner dicker Mann mit glänzenden schwarzen Locken und einem
Ché-Tattoo auf dem braunen Oberarm. Viva la revolucion!
Bei der Ticketkontrolle piept Annes Ticket nicht und
der Stewardess fällt auf, dass wir am falschen Gate stehen, es sein denn, wir
wollen nach Holguin in Kuba fliegen. Nein Danke.
Jetzt müssen wir uns beeilen und laufen zum Gate 81.
Dort fällt der Stress schnell wieder von uns ab. Unser Flieger ist noch nicht
mal angezeigt, da zuerst eine Maschine nach Mexiko Boarding hat.
Im Flugzeug vor uns sitzt eine Familie. Der Mann hat (heute)
sein Deo vergessen. Ein beißender Schweißgeruch weht herüber. Anne sagt: „Denk
an Heisswürstchen. Sell dir einfach vor, es würde nach leckerem Essen riechen.“
Das ist irgendwie unmöglich und macht mich nur noch hungriger.
Wider Erwarten gibt es auf dem 3 h Flug von Toronto
nach Havanna kein Essen und so machen wir uns über unsere Fresstüte her. Das sind
bestimmt schon der 3. Apfel heute und die 2. Tüte Haribos, die aufgerissen
wird.
Wie spät ist es eigentlich? Hier in Kanada, in Kuba
und in Deutschland? Wir sind verwirrt, da unsere Uhren unterschiedlicher Meinung
sind. Deutschland müsste 6 h voraus sein. Kanada und Kuba gleich...? Wir
beschließen, unsere Uhren alle auf Kuba einzustellen.
Lebe in der Zeitzone, in der du dich befindest. Buddha.
09.09.2012, Sonntag – Havanna
Havanna ist ein Freilufttheater in
Pastelltönen
Es ist 20.00 Uhr Ich stehe im Bad
unserer Casa Particular (kleine private Pension) und wasche mir die Sonnencreme
von der Haut. Mit einem Knall geht das Licht aus. Auf dem Flur schreit jemand
laut „eehh“ und dann fangen Raffaella und Pepe an zu singen.
Das Singen ist eine Geste, die in
allen möglichen Situationen verwendet wird, um z.B. Unannehmlichkeiten zu
überbrücken.
Am Flughafen sang ein Kubaner vor
uns in der Schlange beim Warten aufs Boarding. In der Straße singt jemand auf
dem Weg vom Bäcker nach haus und auf der Parkbank singt jemand, um unsere Aufmerksamkeit
zu bekommen und uns kurzerhand einen Schmatzer und ein „que linda“ durch die Luft
zuzuwerfen.
Raffaella und Pepe sind ein kubanisches Pärchen um die
60, die sich liebevoll um ihre Gäste kümmern. Sie sprechen kein Wort Englisch,
dafür ziemlich schnelles kubanisches Spanisch. Wir sind mit unseren Brocken-Kenntnissen
nicht in der Lage, mit ihnen zu plauschen. Aber die wichtigen Dinge wie
"halte die Handtasche nah am Körper" kann Raffaella uns auch mit
ihrer lebhaften Gestik vermitteln. Wir bekommen ein Schlüsselbund mit 4 Schlüsseln,
die mit pinkem und rotem Nagellack unterschiedlich gekennzeichnet sind. Es ist
aussichtslos sich zu merken, welcher Kleks für welches Schloss steht.
Die Einrichtung der Casa ist genauso farbenfroh. Die
Wände sind in einem kräftigen türkis gestrichen. In der Mitte steht ein verschnörkelter
Tisch mit ebenso verschnörkelten Stühlen. Auf ihm ist abends bereits blumiges
Porzellan für das Frühstück eingedeckt.
An die Wände des Raums lehnen barocke Kommoden aus
dunklem Holz. Auf einem Tisch neben dem Fernseher steht eine ganze Armada von
Porzellanfiguren, in Pastellfarben natürlich. Ein brauner Löwe guckt einen
holzbeinigen Piraten an, der neben einer hellgrünen heiligen Maria mit
gefalteten Händen steht. Amen.
An der Wand bilden bunt bemalte Porzellanteller einen
Halbkreis über einer Kommode auf der eine Etagère mit Krimskram steht. Von den
Tellern eingerahmt sind Fotos von der Tochter bei ihrem Uniabschluss.
So eine Einrichtung habe ich wirklich noch nie
gesehen, es ist wie ein kleines pompöses Museum.
Es ist unser erster Tag und ich
genieße es im Getümmel von Havanna, die neuen Eindrücke aufzusaugen ohne das,
was ich sehe, für selbstverständlich zu halten. Morgens beobachte ich beim wach
werden von unserem Balkon, wie die Menschen mit leeren, im Wind flatternden Plastiktüten,
wie wir sie in türkischen Supermärkten bekommen, durch die Straße gehen und die
Panaderia (Bäckerei) gegenüber ansteuern. Kurz darauf kommen sie mit der vollen
Tüte wieder raus. Es scheint so, als ob in der Panaderia ein Lager von 1000 Weißbrötchen
ist. Allein in 2 Minuten zähle ich 30 Kunden.
Die Brötchen sind wie bei einem großen
Flickenteppich aneinander gebacken und liegen in einem breiten gefliesten Regal.
Es gibt nur die eine Sorte. Die Verkäuferin reißt die bestellte Anzahl aus dem Teppich
und notiert den Verkauf gleich in ihrem Buch. Hier findet Anne ihr Frühstück.
Ich finde meins auf dem Mercado
Agricultural. Ein Frischwarenmarkt, auf dem in kleinen Holzhäuschen alles von Limetten,
Zwiebeln, Süßkartoffeln, Chilis, Fleisch und Eiern angeboten wird. Drei riesige
Stücke Melone kosten nur 1 CUC (70 Cent).
Essend laufen wir die Straße entlang
und grinsen über die "Quieres ta melon?" - Rufe, die uns vom Fahrrad
oder Bordstein erreichen. In Havanna läuft man auf der Straße. Wenn ein Auto
vorbei will, macht es schon mit der Hupe auf sich aufmerksam.
Uns kommt zum zweiten Mal ein
Kerl mit weißem Shirt, Dreads und einer dicken Kamera entgegen. Diese und seine
iPhone Kopfhörer verraten, dass er nicht zu den Einheimischen gehört. Ein Backpacker
vielleicht?
Auch er nutzt die Melone, um mit
uns ins Gespräch zu kommen. Wider Erwarten erzählt er uns, dass er Kubaner ist aber
schon seit einem Jahr in Perth in Australien lebt. Er verdient sein Geld als Fotograph
und wollte sich gerade alte Fenster- und Türrahmen von einem Haus holen, um mit
diesen seine Bilder einzurahmen. Jetzt sind wir neugierig und nehmen die Einladung
in sein Atelier natürlich an. Es liegt nur ein paar hundert Meter die Straße
hinunter. Seine Schwarz-Weiß-Fotographien zeigen hauptsächlich Szenen aus dem Alltagsleben
auf der Straße.
Die meisten der Modelle kennt er
persönlich. Auf einem Bild ist ein alter Mann, der aussieht wie der Opa von Che
Guevara. Dazu trägt er ein Che T-Shirt und eine Baskenmütze. Der Mann war ein total
beliebtes Fotomotiv und wurde von den Touris für einen Schnappschuss meist mit Rum
bezahlt, sodass er nur noch torkelnd durch Havanna lief. Leider ist er vor kurzem gestorben.
Brian, der Fotograph, ist mächtig
stolz auf seine Stadt und gibt uns Unmengen von Tipps zu Museen, Plätzen,
Restaurants und Bars. Für unser nächstes Ziel Vinales schreibt er uns die Handynr.
einer Freundin auf, die uns dort zum Klettern mitnehmen kann. Er hört kaum mehr
auf zu reden und ich merke, wie Anne vom einen Bein auf das andere wackelt. Der
Kreislauf ist durch die Zeit- und Temperaturumstellung noch etwas irritiert.
Wir machen noch ein Foto vom Fotographen,
bedanken uns und setzen uns erst ein Mal auf eine Parkbank.
Kleine grüne Oasen erscheinen
immer mal wieder mitten in der Altstadt. Es macht unglaublich viel Spaß durch die
Gassen zu laufen und die bunten Häuser zu bestaunen. Die Fassaden sind eine
einzige Farbpalette, die vornehmlich aus Pastelltönen besteht. Wir verstehen
gar nicht, warum Deutschland so grau ist, schließlich gibt es doch blau, gelb
und grün!?
Viele Häuser haben aufwendig
verzierte Gitter vor den Fenstern und Türen. Glas sehen wir kaum. Über den Fenstern
sind bei einigen Häusern halbkreisartige
Bögen montiert, die in verschiedenen Farben leuchten.
Barock, Klassizismus, Art Deko
und der verrückte Eklektizismus lassen unseren Schöngeist Luftsprünge machen.
Viele der Gebäude sind noch sehr gut erhalten oder restauriert. Wiederum andere
sind total heruntergekommen und es ist kaum vorstellbar, dass diese Ruinen
bewohnt werden.
Die Eingangstüren sind meist
schmal und wirken wie der Aufgang zu einem Geheimnis. Oft erkennt man nicht
mehr, als eine aufwendig bunt geflieste Treppe, die hinauf führt. So gerne würden
wir die Stufen herauf steigen und das Geheimnis lüften.
Nebenbei fragen wir uns, ob im Wortschatz
des Kubaners das Wort Erdgeschoß vorkommt. Die Türen offenbaren immer nur eine
steile Treppe. Eine von diesen verwandelte sich heute beim vorbei gehen in
einen Wasserfall. Anscheinend, hat oben jemand geputzt und das ganze Dreckwasser
einfach nach unten geschüttet und nochmal 30 Liter nachgespült, die den Rinnsal
der Straße überschwemmten.
Sonntag ist generell Waschtag. Überall
riecht es nach Seifenlauge und Waschmittel, dessen Duft von der Straße und den
auf Balkonen trocknenden Kleidern herüber weht. Auf den Balkonen stehen Frauen
und unterhalten sich. Ein Abstand von ein oder zwei Häusern wird problemlos überbrückt.
Das Geschrei geht eh in der lärmenden Musik aus dem Nachbarhaus unter.
Noch mehr Frauen, aber vor allem
die Männer, sitzen in den Hauseingängen oder auf der Straße. Sie unterhalten
sich, reparieren Fahrräder, rauchen Zigarre und spielen Domino.
Schon am Vormittag ertönt in den
engen Gassen der Altstadt Habana Vieja laute Salsa Musik. Statt sich beim
Nachbarn zu beschweren, drehen die Bewohner im Nachbarhaus einfach ihre Anlage
etwas lauter auf. Kuba ist ein einziges Konzert!
In einer Seitenstraße spielen ein paar Jungs Fußball.
Einer kickt den Ball in Richtung der Fußgänger und er fliegt genau auf den Kopf
einer ca. 16jährigen Kubanerin zu. Sie guckt finster und währt den Ball mit einem
ziemlich coolen Move ab. Für eine Sekunde herrscht Stille. Dann fangen die
Jungs an zu jubeln, klatschen bewundernd in die Hände und rufen ihr begeistert
hinterher.
Sie lacht und ruft etwas zurück. Alle sind glücklich.
Das ist Kuba.
Stellen wir uns das ein Mal in Deutschland vor: Kevin
und seine Jungs zocken in einer Straße. Kevin ist sauer, weil sein Fuß heute
nicht treffen will. Er haut so richtig auf den Ball. Der fliegt in Richtung
Fußgänger und steuert genau auf Jacquelines Kopf zu. Die sieht den Ball kommen,
währt ihn mit einer eiskalten Handbewegung ab. Es herrscht eine Sekunde Stille.
Dann ruft Kevin: „Kannst du nicht aufpassen, wo du langläufst du dummes Stück?!“
Kevins Jungs bauen sich hinter ihm auf und starren Jacqueline an. Die ruft:
lern erst mal Schießen, dämlicher Idiot und
geht weiter. Alle sind genervt.
Dieses Freilufttheater ist eindrucksvoll genug und so
sind wir nicht traurig, dass die Museen, in die wir gehen wollten, heute
geschlossen haben. Stattdessen schauen wir uns bei einem Second Hand Buch Markt
ein Sticker Sammelalbum zur Revolution und verstaubte Werke von Karl Marx an.
Die Revolution, in der Che und Fidel die Unabhängigkeit Kubas erkämpften, ist
nun schon mehr als 60 Jahre vergangen. Trotzdem ist sie noch an jeder Ecke präsent
und das nicht nur, weil Touristen gerne Postkarten mit Revoluzzerköpfen
verschicken.
Wir sehen Graffitis mit "Viva la revulotion hasta
siempre." und Che blickt aus Tattoos von Oberarmen und Unterschenkeln
sowie vom Schlüsselanhänger von Raffaella, der von innen in der Haustür unserer
Casa steckt.
Meine Ma erzählt mir im Nachhinein, dass sie als
Jugendliche damals ebenfalls im Che-Wahn war und sein Antlitz mit Farbe und
Pinsel auf ein Plakat gemalt hat, wass dann in ihrem Zimmer hing.
Teilweise habe ich das Gefühl, dass das Leben auch in
den 1950er Jahren stehen geblieben ist. In unserer Casa steht im Badezimmer ein
alter Armlehnensessel, die Waschbecken sind total verschnörkelt und erinnern an
eine Muschel und in den Straßen cruisen die buntesten Oldtimer. Elvis würde
schwach werden.
Sie schillern in pink, türkis und gelb und lassen das Stadtbild
noch greller erscheinen. Viele werden als Taxen genutzt, einige nur privat oder
als Fotomotiv. Die fahrenden Bon Bons sind oft nur notdürftig repariert und glänzen
z.B. in min fünf verschiedenen himmelblautönen.
Ich muss mir unbedingt Bilder von Havanna in den 50ern
angucken. Es hat sicher unglaublich ausgesehen, als die Architektur und Infrastruktur
noch gut in Schuss war.
In diesen verblassenden Charme kann sich auch das Capitolio
Gebäude einreihen. Es wurde in den 20ern von den Amerikanern errichtet und
beherbergte die ehemalige Regierung. Die Bauweise ähnelt sehr dem Kapitol in
Washington, nur, dass es noch größer ist. Der Eingang ist leider versperrt und
so bleibt uns nur der Weg am Capitolio vorbei in Richtung Barrio Chino (China
Town), wo wir heute essen wollen.
Das Viertel ist relativ überschaubar. Trotzdem finden
wir das „Tien Tan Tuk! Restaurant nicht so einfach und irren zwischen roten
Lampingions, Papierdrachen und tüchtigen Kellnern umher.
Die aufgeräumte schachbrettartige Straßenorganisation
Havannas ist sicher nicht schuld. Wohl eher die 2 Daiquiris, die wir kurz vorher
mit Hemingway im Floridita getrunken haben. Das ist die Bar, in der Ernest sich
von seinen Hochseeangeltouren erholte und zur Abwechslung keine übertrieben großen
Fische sondern köstliche Cocktails wie den Daiquiri erfand. Dies wird ihm mit
einer lebensgroßen Bronzestatue an der Bar gedankt. Die Drinks hier gelten als die
besten ihrer Art in Havanna und sind ihre 6 CUC (4,20 €) pro Glas definitiv
wert. Für das Geld gibt’s außerdem ein Schälchen frittierte und gesalzene Bananenchips
und eine Live Band, die kubanische Klassiker schmettert.
Ein definitiv lateinamerikanisches, Pärchen fühlt sich
spontan zum Tanz aufgefordert. Unsere Blicke kleben an den fließenden Bewegungen.
„Und wie sieht unser Sonntagnachmittag klassischer
Weise in Köln aus?" fragt Anne. Ein Kaffee im Bauturm unter Wollpulli-Hipstern
kann wirklich nicht mit dieser Lebensfreude mithalten.
Wir freuen uns schrecklich, als wir schließlich das Restaurant
finden und sind dann gleich wieder unglaublich enttäuscht, da die Rollläden
herunter gelassen sind. „Es ist zu“, denken wir und schon gleich versucht uns
die Kellnerin vom gegenüber liegenden China-Schuppen herüber zu locken.
Wir deuten auf den Konkurrenten hin, sie erbarmt sich und
ruft den Türsteher von Tien Tan Tuk, den wir gar nicht bemerkt hatten. Der
zeigt uns, dass wir einfach nur die Treppe hoch gehen müssen. Zum ersten Mal dürfen
wir das Geheimnis lüften.
Wir kommen in einen großen viel zu kühl klimatisierten
Saal. Das Ambiente ist gehoben, der Service gut und das kubanisch Bier, mit dem
Namen Cristal, schmeckt. Jetzt müssten wir nur noch die Speisekarte lesen können.
Dass Pollo Huhn heißt und Pescado Fisch,
hab ich aus unseren Familien-Spanienurlauben mitgenommen, aber wir wollen doch
die Platte mit Hummer, Krebs und Garnelen, die Brian uns empfohlen hat,
bestellen. Unsere Sprachführer geben uns auch keinen Rat. Zum Glück spricht die
Kellnerin ein paar Brocken Englisch und so steht kurze Zeit später ein köstlicher
Meeresteller vor uns. Krebs war wohl nicht im Fang dabei, dafür aber ein Fisch,
Kartoffelbrei und frittierte Sticks aus Kochbanane. Hummer und Garnelen finden
wir auch, obwohl wir zuerst Erkennungsschwierigkeiten haben, schließlich haben
wir mit einer zu knackenden Schale gerechnet.
Brian und der Lonely Planet hatten recht. Der Hummer
hier ist der Wahnsinn! Zwar haben wir keine Vergleichsmöglichkeiten, da es für
uns beide der erste Hummer im Leben ist, aber der schmeckt einfach fantastisch.
So salzig und gleichzeitig süß, ganz zart aber trotzdem auch hart.
Mmmhhh wir gehen jetzt jeden Tag Hummer essen!
Schließlich kostet so eine Platte hier nur 10 CUC (7€). Auf dem Rückweg laufen
wir auf dem totalen Hummer-Flash fast 15 Minuten in die falsche Richtung und
sind erst um 19 Uhr zurück bei Raffa und Pepe.
Aus dem „mal kurz hinlegen“ ist ein unaufhaltsamer Dämmerschlaf
geworden. Der Stromausfall reißt uns kurz aus unserer Trance. Pepe steht auf
dem Nachbarbalkon und leuchtet jedem Vorbeigehenden ins Gesicht. Eine Frau auf
der Straße stimmt eine Oper an. Ich singe jetzt auch: Sandmann, lieber Sandmann...
10.09.2012, Montag – Havanna
Ich glaub, ich träume - Kubaner mit
weißen Lockenperücken im Stechschritt wie im 17. Jahrhundert.
Der Knall kommt so unerwartet und ist so laut, dass
ich danach alles wie in weiter Ferne wahrnehme und für einen kurzen Moment
denke, ich habe mein Gehör verloren. Das einzige Geräusch in meinem Kopf ist ein
lautes schrilles Piepen, das zum Glück langsam abklingt.
So müssen sich also damals die Kanoniere gefühlt
haben, wenn sie feindliche Boote beschossen haben.
Wir sind auf der Festung von Havanna und schauen uns
die allabendliche Kanonenshow an. Die Bastion ist riesig und hat dicke Mauern, Türme
und alles andere, was eine Stadt absichert.
Die Show ist unfreiwillig komisch! Zwölf Kubaner sind
in weiße Pumphosen und rote Fracks gekleidet. Ihr braunes Schokogesicht ist von
einer weißen Korkenzieherlockenperücke eingerahmt. Auf dieser trohnt ein
schiefer schwarzer Dreiecks-Hut mit Krempe.
Die Möchtegern-Nobelmänner führen nun also die Kanonenzeremonie
durch und laufen im Stechschritt. Allerdings fehlen ihnen dazu die nötige Körperspannung
und der Elan, sodass ihre Arme unkoordiniert und vor allem asynchron in der Luft
herum schwingen.
Es ist, als würden 12 betrunkene Jack Sparrows
versuchen die Briten zu imitieren. Bei diesem Anblick frage ich mich, woher Che,
Fidel und Co den Kampfgeist für die Revolution hernahmen. Ach ja, Che ist ja
gar kein Kubaner - vielleicht sieht eine Kanonenshow in Bolivien etwas
authentischer aus.
Nach der Show marschieren die Jacks zurück in die
Festung. Ihr Weg wird von einer Salsa Band begleitet und schnell wird aus dem
gespielten Stechschritt ein lockerer Gang.
Eine kubanische Schulklasse hat sich das Spektakel
ebenfalls angeschaut. Als die Band anfängt zu spielen, sind einige Mädels
direkt Feuer und Flamme und fangen ausgelassen an zu tanzen. Das ist so ein
toller Anblick. In Deutschland brauchen die meisten erst zwei, drei Cuba Libre,
um ihr Tanzbein zu befreien. Es ist wunderbar, wie spontan die Kubaner ihren
Stimmungsschalter auf Party umlegen können.
Beim heutigen Abendessen im China-Restaurant „Flor de
Loto“ wurde sogar gleich zwei Mal gefeiert. Dabei verdunkelte sich das Licht,
der Kellner kam mit einem Riesennachtisch mit Wunderkerzen rein und das ganze Restaurant
sang "Cumpleanos para ti", das im Hintergrund in einer flotten Salsaversion
abgespielt wurde. Alle klatschten enthusiastisch mit. Ein Kellner ließ die Hände
sogar direkt über dem Kopf des kleinen Jungen, der bei der ersten Spontanparty
Geburtstag hatte, zusammenfallen. Wohlfühlabstand gibt es in Kuba nicht.
Warum sind wir Deutschen so kühl und reserviert? Warum
können wir nicht mehr aus uns heraus gehen und unsere Freude für andere stärker
ausdrücken?
Neben den zwei Geburtstagsparties gab es im „Flor de Loto“
einen grandiosen Hummer und einen unschlagbaren Mohito zu feiern. Anne und ich
sind definitiv auf den Geschmack gekommen.
Standesgemäß haben wir nur für den Hummer roten Lippenstift
aufgelegt und uns so richtig herausgeputzt. Dabei wären wir gar nicht hier
gelandet, wäre es nach unserer Taxifahrerin gegangen. Die wollte uns davon überzeugen,
dass es hier nur tiefgekühlte Kost gibt, da es ein von der Regierung geführtes Restaurant
ist.
Sie meinte in diesen schmeckt es nicht und wollte uns
lieber zu einem nicht staatlichen Paladar schicken, von dem sie wahrscheinlich
Provision bekommt. Die Paladares werden wir sicher noch ausprobieren, wenn uns
der Sinn nicht mehr nach roten Lippen und Hummer steht.
Nach dem Essen sind wir an den Malecon spaziert. Das
ist eine große mehrspurige Straße, die am Wasser entlang führt. Wir setzen uns
auf die Mauer und schauen Kubanern zu, die an der felsigen Wand herab ins Wasser
springen oder angeln.
Wir haben uns den Malecon ehrlich gesagt etwas
lebendiger vorgestellt. Vielleicht hatten wir eher das Bild einer belebten
Promenade im Kopf. Aber in Havanna gibt
es diese Art von Massentourismus nicht.
Wären wir nicht an den Malecon gegangen, hätten wir
uns vielleicht mit dem Schweizer Tobi getroffen. Den haben wir am Nachmittag
beim super kitschigen und ramschigen Antikmarkt kennen gelernt. Dort kamen wir
bei einer Kokosnuss ins Gespräch. Er fragte mich, ob ich ihn vor einer Wand mit
Bildern fotografieren kann. Auf diesen waren in schwarz weiß und rot ziemlich
erotische Szenen dargestellt und wir hatten sie schnell in die Kategorie „billiges
Puffwand Accessoire“ eingeordnet.
Tobias ist ein Mensch, der gerne von sich erzählt und
immer das Gesprächsthema bestimmt. Jemand, der kaum fragt und wenig zuhört. So
war unsere Unterhaltung etwas anstrengend und ich hatte definitiv mehr Freude
an meinem Popcorn und der Kokosnuss.
Als er einen gemeinsamen Drink am Abend vorschlug,
waren wir ganz froh, kein Handy bzw. keinen Empfang und kein W-LAN zu haben. „Sorry,
wie sollen wir uns da bloß treffen…?“ war unsere Antwort.
Wie der Zufall so will, laufen wir Tobias zufällig abends
bei der Kanonenshow in die Arme. Dass er uns mit einem vorwurfsvollen "Ich
dachte, ihr wollt an den Malecon" begrüßt, lässt sein Sympathiekonto
weiter herab sinken. „Adios und safe travel“ wünschen wir ihm.
Neben dem Antikmarkt und der Kanonenshow haben wir uns
heute noch das Rum Museum angeschaut. In Deutschland konnte ich nie den Rummel
um die Wahl zwischen Havanna Club und Bacardi verstehen.
Hier die Erklärung: beide Marken kommen ursprünglich
aus Kuba. Allerdings wurde Bacardi irgendwann an ein anderes südamerikanisches Land
verkauft und nun nicht mehr in Kuba produziert. Deshalb darf man für die
klassischen kubanischen Drinks Cuba Libre, Daiquiri und Mohito nur Havanna Club
und eben nicht Bacardi verwenden.
Witzigerweise reift der Havanna Rum in Fässern, die in
den USA hergestellt werden. Diese dürfen importiert werden, nachdem sie in Schottland
oder Irland zur Whiskeyproduktion verwendet wurden. Dort im Einsatz, verschließt
der Whiskey die Poren im Holz. So ist sichergestellt, dass der Rum im warmen Kuba
nicht einfach aus den Fässern verdampft.
Am Ende der Führung durften wir einen 7-Jährigen Tropfen
probieren. Pur, ohne Minze, Limette und Eis schmeckt der mir definitiv zu
alkoholisch. Alle Sorten, die älter als 7 Jahre sind, darf man übrigens nicht
mehr für gemixte Drinks verwenden. Das wäre Alkoholbanauserei!
Wie gut der Rum reift, wird in Kuba von 6 Rum-Mastern
kontrolliert. Die werden wiederrum von persönlichen Doktoren rundum auf ihre Leberwerte
hin überwacht. Das Internet wird wiederrum teilweise von der kubanischen Regierung
kontrolliert und der Aufbau einer einzigen Website dauert mindestens eine Minute.
Mein Facebook Account lässt sich am PC im staatlichen
Internet-Café nicht mal öffnen. W-LAN gibt es nur in den richtig großen Hotels
und so bin ich total Social Media-los und - tädä -vermisse es kein bisschen. Beim
Reisen zu zweit ist der reale soziale Kontakt doch eh viel schöner.
11.09.2012, Dienstag – Valle de
Vinales
Steige niemals, NIEMALS auf einen
kubanischen Pferdekarren!
Wir sitzen im Transtour Bus und
kurven durch Havanna, um alle Reisenden einzusammeln, die Richtung Pinar del
Rio und Valle de Vinales wollen. Rund um
das Capitolio fahren die Oldtimer vor den bunten Kolonialhäusern und ich denke
erneut, dass wir mit dem Flug nach Kuba eine kleine Zeitreise gemacht haben.
Oldtimer und Barrockbauten passen zwar nicht in eine Epoche aber in diesem
Moment kann ausgeschlossen das 21. Jahrhundert sein. Diese Stadt glänzt und
strahlt Prunk aus. Nur leider schimmert durch den Prunk immer die Trauer des Vergangenen.
Die Karosserie des Oldtimers rostet und die hellblaue Fassadenfarbe blättert
ab. Teilweise existieren von den Häusern nur noch die Fassaden. Dahinter gibt
es keine Wände und keine Böden mehr.
Stattdessen ranken sich Pflanzen
um die stolzen Mauern, die stehen geblieben sind. Wie schön wäre Kuba, wenn man
alles restaurieren würde? Aber hätte es dann noch diesen Charme?
Im Bus lese ich mir den
spanischen Sprachführer durch. Ich stelle fest, dass ich schon einige spanische
Sätze zusammen bekomme, auch wenn die zumeist aus aneinander gereihten Wörtern
mit unkonjugierten Verben bestehen. Bis zu den Zeitformen bin ich noch nicht
gekommen. Von der Zukunft oder Vergangenheit kann ich nichts auf Spanisch
berichten. Das macht aber auch nichts, besinne ich mich: „Spreche im hier und
jetzt“. Buddha.
Die Route nach Vinales führt uns
an grünen Feldern und bestellten Äckern vorbei. Vereinzelt stehen kleine Häuser
im Grün. Sie sind mit Reet oder Wellblech gedeckt. Vor ihnen ist ein Ochse
angeleint. Fleißige Bauern sieht man selten.
Die Straße zwischen Pinar del Rio
und Valle de Vinales ist reichlich kurvig. Auch die Vegetation ändert sich. Gräser
und Farne wachsen auf dem Boden. Die Bäume tragen Nadeln oder dicke fleischig
glänzende Blätter.
In Vinales angekommen wartet an
der Bushaltestelle am großen Platz ein kleiner Mann, der ein weißes Blatt Papier
in die Luft hält. Auf diesem steht in großen pinken Buchstaben „JANNE“ und darunter
„Esther y Josefina“. Die letzten beiden Namen stehen für die Besitzer der Casa,
in der wir dieses Mal wohnen.
Mit Janne bin wohl ich gemeint.
Der Mann heißt Miguel und wirft
uns ein charmantes dreizahniges Lächeln zu. Seine grauen Haare und sein melierter
5 Tage Bart lassen ihn mich auf mindestens 70 Jahre schätzen. Er führt uns
durch zwei Straßen in unsere Casa. Dort werden wir von seiner Frau Josefina in Empfang
genommen. Als erstes fallen mir ihre Zähne auf, die wie große Blöcke aus dem Unterkiefer
heraus stehen. Wie sich die zwei wohl küssen?
Direkt beim Eintreten erklärt sie
uns, dass der Baulärm nur am Tag ertönt und es nachts „tranquillo“ ist. Leider
wird der im Reiseführer angepriesene Swimming Pool auch zufällig gerade umgebaut.
Da klingelt das Telefon. Wir
schauen ungläubig, als Josefina meint, es sein für uns. Am Hörer ist Raffaella
aus Havanna. Wir hatten Sie gebeten, uns die Casa in Vinales zu reservieren und
sie hatte die Telefonnummer gespeichert.
Sie redet hektisch und ich
verstehe kein Wort. Ich gebe das Telefon zurück an unsere neue Gastmutter mit
den Blockzähnen. Ihre Tochter, die etwas Englisch spricht, dolmetscht und fragt
uns, ob einer von uns ein grünes Oberteil in Havanna vergessen hat. Wir überlegen
lange bis Anne einfällt, dass sie ihre Regenjacke im Schrank auf dem Bügel hängen
gelassen hat. Jetzt müssen wir auf dem Rückweg nochmal zu Raffa und Pepe.
Wir gehen ins Dorf, das im
Wesentlichen aus einer langen Straße in der Dorfmitte besteht. Die Sonne brennt
und als ich mein Brillenetui öffne, ist es leer. Was für ein vergesslicher Start
in den Tag.
Eine neue Sonnenbrille in Vinales
zu finden, stellt sich als nahezu unmöglich heraus. In den Geschäften gibt es die unglaublichsten
Dinge wie 30 verschiedene Sorten Lampenschirme aber keine Sunglasses. Jeder Ladenbesitzer
schickt uns zu einem anderen, bei dem wir meistens schon waren und ebenfalls weiter
geschickt wurden. Auf einem niedrigen Open Air Verkaufstisch sehe ich eine rosa
Kindersonnenbrille. Die Gläser sind einfach nur grau und der 1 CUC, den der
Verkäufer verlangt ist immer noch zu viel. Ich frage nach einem anderen Modell und
er bringt mir eine weiße Fliegersonnenbrille für Männer. Die ist irgendwie
schon ganz angetatscht.
Anne fängt an zu lachen und sagt:
„Du die hat der von nem Kumpel!“ Ich bin noch damit beschäftigt, ihm zu
antworten und sage: „Die passt nicht, die ist für Männer.“ Dann realisiere ich Annes
Worte und schaue ihm zu, wie er die weiße Brille tatsächlich einem Freund zurück
gibt und stattdessen die etwas zierlichere Pilotenbrille von einem anderen Amigo
nimmt und mir reicht.
„Die verscherbeln mir hier ihre
eigenen Brillen“, wird es mir bewusst. Die zweite Fliegerbrille sitzt total gut
und ist auch nicht allzu hässlich. Allerdings sind die 15 CUC (12 €), die er dafür
haben will, unglaublich viel. Schließlich liegt das durchschnittliche Monatsgehalt
bei 25 CUC.
Doch hier kommt es nicht auf den Preis
sondern auf den Wert an und ich entschließe mich mürrisch dazu, das Vermögen
für die Second Hand Brille auszugeben.
Die Jungs lachen sich natürlich
kaputt. Sie haben das Geschäft ihres Lebens gemacht.
Neu ausgestattet machen wir uns
auf den Weg über die Adele Aluz, (Name einer Straße und Freiheitskämpferin)
Richtung Hotel Ermita.
Nach zwei Tagen dreckiger Großstadt
wollen wir nun einfach am Pool relaxen. Doch das müssen wir uns erst Mal
verdienen.
Der Weg ist 1,5 km lang, es geht
nur bergauf und die Sonne brennt vom Himmel. Wir kommen an einer Unterkunft mit
dem Namen „Fernan2“ vorbei. Ich lese meinen ersten spanischen Wortwitz und find
ihn deshalb ziemlich gut.
Das Hotel wird im Ort als
ausgezeichnet angepriesen. In Deutschland würde es wahrscheinlich zwischen 2
und 3 Sternen liegen. Der Pool ist ok. Wir sind allerdings vom Laufen so k.o.,
wir würden in jede Pfütze springen.
Das Wasser ist herrlich und es
tut gut, ein paar Bahnen zu schwimmen. Wir haben 7 CUC (5 €) Eintritt gezahlt,
von denen wir 6 an der Bar verzehren können.
Das sind 2 Mohito und 1 Sandwich
für jeden.
Plötzlich ist es vorbei mit der
friedlichen Atmosphäre. Die Bühne betritt eine Gruppe von ca. 7 Personen. Angeführt wird sie von einem
dicken Weißen, dessen Glatze grau schimmert. Er trägt eine riesige Musikbox,
aus der laute Salsa Klänge dröhnen. Der Barkeeper ist gezwungen die Musik der Bar
leise zu drehen.
Mit dem Störenfried treten ein
paar dunkle Kubaner mit Dreads auf, die definitiv 20 Jahre jünger sind als er.
Der eine ist scheinbar der Freund
der Tochter des Weißen, sie knutschen und kuscheln permanent.
Der ca. 19-jährige Sohn hat
ebenfalls seine ziemlich übergewichtige Freundin dabei, die alles, was sie hat,
in einem roten Bikini präsentiert.
Der dicke Weiße fängt wie ein
Animateur am Beckenrand an zu tanzen. Offensichtlich fehlt ihm das Salsa-Gen.
Das ist ihm natürlich nicht bewusst und er verhält sich, als gehöre ihm die Welt.
Anne und ich sind zwischen Fremdschämen und Lachkrampf hin und hergerissen.
Da erlangt ein wesentlich
zierlicheres Wesen unsere Aufmerksamkeit. In einem Busch schwirrt ein winzig
kleiner grüner Kolibri. Kuba und vor allem Valle de Vinales ist für den Minikolibri
bekannt. Jetzt fällt uns auf, dass auch der Himmel voll von kleinen flinken türkisen
Fliegern ist. Wie niedlich!
Animalisch wird auch unserer Rückweg.
Da ein paar Wolken aufgezogen sind und es nicht mehr so heiß ist, beschließen
wir sportlich auch den Berg runter zu laufen.
Nach ein paar hundert Metern
werden wir von einem Pferdekarren überholt, von dem uns einer der Hotelangestellten
in seiner Uniform zuwinkt. Wir lachen ihn an und kurz drauf hält die Kutsche.
Ob wir mitfahren wollen? Na klar, aber wie passen wir zu viert auf den winzigen
Karren? Es wird eng aber es geht.
Schon nach einer Minute erreichen
wir das Haus des Hotelmitarbeiters und er springt ab. Jetzt sitzen wir zwei mit
dem faltigen, kleinen Juan auf seinem Ungetüm und uns fällt auf, wie klein und
klapprig das Pferd ist. Auf der Teerstraße geht es steil bergab und im Trab rutscht
dem Pferd ab und zu ein Huf weg. Anne und ich kriegen Angst und fangen in
dieser aussichtslosen Situation an, panisch an zu lachen. Unser letzter Moment
ist gekommen. Ich sehe das Pferd schon am Boden und uns im hohen Bogen auf die
Teerstraße fliegen. Rechts und links ziehen die Büsche verschwommen an uns
vorbei.
Juan versteht unsere Aufruhr
nicht und stimmt freudig in unser Gelächter ein. Sein Lachen klingt jetzt irgendwie
wahnsinnig. Hilfe! Das kann nur de Teufel in Person sein.
Wir lassen Fernan2 links liegen
und es geht weiter bergab. Die Bergbewohner, die uns auf der Straße entgegen
kommen, rufen Diabolo etwas hinterher. Wir verstehen nix. Er lacht noch lauter.
Wir sagen „tranquillo, lento und no rapido“ aber Juan und sein Pferdchen galoppieren
unaufhaltsam weiter. Ich halte mich verkrampft an der Eisenreling fest und
schließe die Augen.
Wer hätte es gedacht? Wir kommen
heile im Dorf an und bedanken uns schließlich
für die Achterbahnfahrt, machen ein Foto von Juan und seiner Höllenmaschine mit
den klapprigen Stelzen und geben ihm 3 CUC (2,10 €), dafür, dass wir noch am Leben
sind.
Das war fast so schlimm wie Bungee
springen und unser Adrenalinspiegel ist auch mindestens genauso hoch. Kinder,
steigt nie zu wahnsinnigen Kubanern auf den Pferdekarren!
Beim Dinner, das wir in unserer Casa
einnehmen, haben wir allen Grund dazu, die Köchin als wahnsinnig zu erklären. Für
mich serviert sie einen ganzen Hummer, der auf der einen Seite noch seine Schale
trägt, auf der anderen ist er aufgeknackt und in der Pfanne gebraten. Für Anne
gibt es ein ganzes Hähnchen mit Soße und Kartoffeln.
Als ob das nicht genug wäre,
deckt sich der Tisch außerdem mit einer Schüssel Reis und einer Schüssel
Bohnen/Wurst/Soße-Gemisch, einer Platte mit Tomatenscheiben und
Avocadostückchen, einem Kohlsalat mit Bohnen, Bananenchips und gebratener
Banane. Die Krönung des Schlaraffenlands ist ein Stück Karamell-Flan für jeden.
Wer soll das alles essen? Davon würden
Annes und meine komplette Familie satt werden. Fällt Weihnachten in Kuba
irgendwie auf einen anderen Tag? Ist das hier versteckte Kamera mit Jumbo von
RTL 2 und wir sitzen in einem kubanischen XXL-Restaurant? Oder ist das etwa
normal?
Wir bedanken uns bereits im Voraus
überschwänglich und machen uns über das Festmahl her. Der Hummer ist
unglaublich und der Flan hat Käsekuchenkonsistenz.
Als wir fertig sind, sieht es
aus, als hätten wir nichts gegessen und dabei platzen wir aus allen Nähten. Wir
versichern uns bei der Tochter, dass die Familie auch noch etwas von dem Mahl
isst. Alles andere wäre eine Sünde.
Das Ganze hat uns übrigens 10 CUC,
also 7 Euro pro Person gekostet!
Für das Frühstück bestellen wir
nur Obstsalat und Kaffee.
Jetzt wollen wir mal sehen, was
die Drinks in Vinales können. Im Centro Cultural, in dem jeden Abend eine Salsa
Show läuft, ist noch nichts los. Daher setzen wir uns in eine der Bars am Marktplatz.
Neben uns parkt ein roter Ferrari. Ein Ferrari in Kuba? Moment, auf den zweiten
Blick erkennen wir, dass die Ferrarizeichen auf dem schnittigen Wagen nur
aufgeklebt sind.
Ich wette, der Besitzer ist
trotzdem so stolz auf sein Auto, wie es ein echter Ferraribesitzer nur sein
kann.
Den Rum nehme ich heute mal in
Form von Havanna Club Special ein. Bei diesem Drink wird er mit Limonen-, Ananassaft
und Eis gemischt. Maraschinolikör kommt eigentlich auch noch rein. Der ist
heute aber aus. Den Satz 'no hay'- 'gibt es nicht' hören wir in Kuba sehr oft.
In den meisten Läden ist Mangelwirtschaft statt Überfluss angesagt. Die Auslagen
in den Geschäften sind oft spärlich. Für westliche Augen sieht es nach den
letzten Zügen eines Ausverkaufs aus.
Anne, die in Chemnitz geboren
ist, sagt, dass sie die Läden in Kuba an die ehemalige DDR erinnern. Der Drink
schmeckt jedenfalls auch ohne Maraschino.
Wir beobachten die Fußgänger und
andere Bargäste. Auf ein Mal steht der junge Kubaner Miguel an unserem Tisch.
Er grinst über beide Backen und fragt uns den Standard Small Talk Satz: 'First
time in Kuba?' und setzt sich prompt an unserem Tisch. Das war schneller als ein
Mal „viva la revolucion“ zu sagen.
Unser neuer Freund ist 28 Jahre
alt, hat ordentlich kurz geschnittene Haare, ein Silberkettchen und ein
schwarzes T Shirt mit weißem Print. Auch wenn er nicht so aussieht, vor uns
sitzt ein Cowboy.
So bezeichnet er sich zumindest
selbst. Das bedeutet, dass er als Guide für Reit -Touren im Tal arbeitet. Ich
frage ihn nach einer Klettertour, da wir die Reittour bereits in unserer Casa für
morgen gebucht haben und die Freundin von Havanna-Brian anzurufen, zu
umständlich scheint.
Daraufhin antwortet er in
spanischem Akzent: “Climbing? No, no es good for heart of a Cowboy. Cowboy is afraid
of hight. The heart of a Cowboy is all for horses.” Dabei grinst er wie der geborene Schelm.
Seine Rosse hören auf die Namen
Shakira, Enrique Iglesias, Rici Martin und Eros Ramazotti, auch wenn der letzte
als Italiener etwas aus der Reihe fällt. Miguel hat noch mehr zu bieten.
Ein anderes Thema als sein Cowboy-Leben
und seine Pferde hat Miguel allerdings nicht.
Statt beim Anstoßen „Salud“ zu
sagen, bringt er uns einen kubanischen Trinkspruch bei. Zuerst werden alle Gläser
nach oben zusammen geführt, dann nach unten, in die Mitte und dann wird
getrunken. Dazu rufen wir: „Ariba, abacho, al Centro y al dentro“ - auf die Zähne
sozusagen.
Da fällt mir glatt die alte Ariel
Spülmittelwerbung aus den 90ern ein: In Villa Abacho schrubben sie noch die Pfanne,
während in Villa Ariba (wo sie mit Ariel säubern) schon wieder gefeiert wird...
die Konsumgesellschaft lässt grüßen.
Aus dem Augenwinkel erkennen wir Sean,
der mit ein paar Jungs unterwegs ist und rufen sie zu uns. Sean haben wir heute
im Reisebüro kennen gelernt, als wir uns über Ausflüge informiert haben.
Er und der Belgier Hajo, der in England
lebende Pole mit unbekanntem Namen und der deutsche Jens setzen sich an unseren
Tisch.
Sean kommt aus Calgary in Kanada.
Er ist professioneller Oboenspieler in einem von sechs Ensembles in Canada. Außerdem
arbeitet er als Elektriker und lässt sich im höchsten Norden einsetzen, wo er
unter extremen Bedingungen in einem Monat 15.000 $ verdient. So möchte er sich
noch mehr Reisen ermöglichen.
Wenn er in seinem Haus mitten im Wald
Oboe übt, kommt oft eine Herde Elche aus dem Dickicht, die von den Klängen
angezogen werden. Ich bekomme bei der Vorstellung eine Gänsehaut, so schön ist
das.
Ihn nerven die Viecher und er möchte
einen Jagdschein machen. Wenn man einen Elch oder ein Caraboo schießt, hat man ca.
für 2 Jahre Fleisch.
Jens aus Frankfurt wird von uns
nur „Bärg“ genannt. Er ist bestimmt 2 m groß, wiegt min. 150 kg, hat eine Glatze
und lispelt. Er zeigt uns Bilder von "total süsfffsen Schweinen" die
er gemacht hat. Jens ist ein riesen Berg und ein gemütlicher Bär. Wir sind uns
ziemlich sicher, dass er sich abends gerne an einen anderen (männlichen) Bärg
kuschelt. Hajo und der Pole sind sehr ruhig. Von ihnen erfahren wir wenig. Nach
3 Drinks, die übrigens nicht so riesig sind, wie die deutschen Humpen sondern
eher an schmale Kölschstangen erinnern, gehen wir nach Hause und fallen in
unser plüschiges Bett.
12.09.2012, Mittwoch – Valle de Vinales
Respekt an alle
Esprit-tragenden Miriams, Katharinas und Franziskas dieser Welt – Reiten ist
unglaublich anstrengend!
Auf dem Rücken Von Chocolaté und Pallomo reiten wir
durch das saftig grüne Tal von Vinales. Vorbei an Feldern, die Bauern mit Ochsenkarren
pflügen, entlang der knollig runden Mogotes, die wie ins Tal geworfen wirken.
Diese runden, saftig grün bewachsenen Bergchen sehen aus wie die große Version vom
Hobbitland.
Schmale braune Pfade führen durch die Landschaft, in
der vereinzelt Holzhütten mit langen spitzen Palmendächern stehen, in denen die
Tabakblatter zum Trocknen. hängen. Davor sitzt ein Bauer im Schaukelstuhl. Er
trägt einen Cowboyhut, schaut dir lange in die zugekniffenen Augen und muss
seine Zigarre nicht ein Mal aus dem Mund nehmen, um ein „buenos dias“ zu rufen.
Chocolaté trägt heute Anne durchs Tal. Er möchte stets
der erste in der Pferdereihe sein und rennt ständig vor. Das namenhafte Schleckermaul
denkt, es sei die Raupe Nimmersatt und hält alle 2 Minuten am Wegesrand an, um
hier mal vom Bambus und dort mal vom Farn abzubeißen. Es läuft sogar mit
offenem Maul, um die im Weg hängenden Gräser einzufangen. Anne weiß nicht, ob
sie Fluchen oder Lachen soll.
Mein Hengst Pallomo ist eher von der gemütlichen Sorte
und stammt definitiv von keinem Rennpferd ab. Ich muss ihn schon ziemlich anfeuern,
nach vorne zu traben und dann lässt er sich doch immer wieder von den anderen Caballos
zurück drängen. Mensch Pallomo, so gewinnen wir nie den ersten Rang, schließlich
haben doch so viele auf uns gewettet.
Eigentlich sind Choco und Pallomo Freunde, aber als
Pallomo etwas nah an Choco herangeschnaubt, tritt Choco ihn kurzerhand mit dem
Hinterhuf ins Gesicht. Zum Glück tragen die beiden das ohne uns Reiter aus und werfen
uns nicht ab.
Über den Büschen und Blumen am Wegrand flattern ganze Schwärme
von Schmetterlingen. Weiße und zitronengelbe Falter sehe ich am häufigsten und freue
mich total, da sie in Deutschland immer seltener vorkommen. Der Weg ist
teilweise ganz schön schlammig und als wir durch einen kleinen Fluss reiten,
werden meine Schuhe vom hochspritzenden orangenen Wasser gefärbt.
Zuerst sind wir in einer Gruppe mit 3 Münchenern unterwegs,
deren Urlaub in Kuba schon fast vorbei ist. Sie haben die vier Stunden Reit-Tour
gebucht, wir nur drei Stunden. Unser Weg trennt sich daher und wir reiten zu
einer kleinen Tabakplantage.
Auf einem winzigen Hügel liegt ein mintgrün
gestrichenes Haus, dessen vier Wände aus waagerechten Holzstreben bestehen, die
wiederrum von einem Palmendach gedeckt sind.
Rund herum liegt eine kleine steinerne Veranda im Schatten
des Dachvorsprungs. Das Haus hat in allen vier Himmelsrichtungen eine Tür und
ist luftdurchflutet. Innen stehen in einem langen Flur 6 Stühle.
Rechts liegt das Schlafzimmer, in dem ein breites Bett
mit einer ordentlich ausgebreiteten rosa Steppdecke steht. Links warten in der
kleinen Küche schon Kokosnüsse, Limetten und Ananas auf uns.
In diesem kleinen Schloss wohnt der zierliche Salvador.
Den dunkelbraunen Cowboyhut mit dem roten Band hat er sich tief ins Gesicht
gezogen. Das besch karierte Hemd sitzt 1A in der schwarzen Jeans. Seine Haut
ist fast so ledrig und zerfurcht wie die
getrockneten Tabakblätter, aus denen er Zigarren rollt. Doch bevor wir
an einer Zigarre ziehen dürfen, müssen wir uns Mut antrinken.
Die Spezialität des Hauses nennt sich Coco Loco, was
so viel wie verrückte Kokosnuss bedeutet. Eine junge Kokosnuss wird geköpft und
das erfrischende Kokoswasser wird mit Rum. Limettensaft, Ananassaft und Honig
vermischt. Eis gibt es hier auf der Farm nicht.
Mit dem Drink in der Hand setzen wir uns auf kleine
Holzstühle und Salvador erklärt uns, wie Zigarren gerollt werden. Er zeigt uns
die trockenen Tabakblätter. Der Stängel in der Mitte ist pures Nikotin. Er
rollt uns eine ca. 10 cm lange, schmale Zigarre. Das Mundstück wird in Honig
getaucht und dann dürfen wir paffen.
Ich bin überrascht, wie gut es schmeckt. Salvador
setzt mir seinen Hut auf und ich fühle mich wie ein Loco Cowgirl.
Wieder auf dem Pferd reiten wir zum Mural de Prehistoria,
einer Felswand, an der eine bunte, ca. 50 m hohe Wandmalerei die Evolutioinsgeschichte
darstellt.
Bei der Entstehung haben die anliegenden Bauern den Malern
mit Megafonen zugerufen, wie und wo sie malen sollen, so groß sind die Dimensionen.
Die Tour neigt sich dem Ende zu. Über eine geteerte
Straße traben wir zwischen saftigen Hügeln zurück ins Dorf. Mittlerweile
verstehe ich was „sich im Rhythmus des Pferdes bewegen bedeutet“ und freue
mich, in der Bewegung mit Pallomo eins zu werden.
Als wir nach drei Stunden endgültig vom Pferd steigen,
sind unsere Beine zu einem O geformt. Wir können gar nicht mehr richtig laufen
und watscheln zur Casa zurück. Als wir uns das erste Mal auf einen normalen Stuhl
setzen, fangen wir beide an zu jammern. Das sind entsetzliche Poschmerzen!
Hiermit möchte ich meinen Respekt an alle
Esprit-tragenden Miriams, Kathrins und Franziskas der Welt aussprechen. Reiten
ist echt wahnsinnig anstrengend und wir sind tierisch k.o.
Deshalb müssen wir uns schnell entspannen und lassen
uns von einem motorisierten Taxi den Berg hoch zum Hotel Ermita bringen. Der Eintritt
kostet heute nur 2 CUC (1,40 €). Irgendwas ist bei der Pool-Reinigung schief
gelaufen, die Chemikalienkombi stimmte nicht so ganz und jetzt ist das Wasser
grün.
Schwimmen könne man laut Poolboy aber trotzdem ganz
ohne Probleme. Uns reicht das Liegen schon aus.
Der Bärg Jens taucht irgendwann mit seinem neuen Kumpel
Phillip auf, den er uns als Sebastian vorstellt. Es dauert nicht lang bis Bärg
sich mit einem der streunenden Hunde im Hotel angefreundet hat. Der ist total
„süfffss“ und will ihm nicht mehr von der Ferse weichen. Bärg gibt schließlich
auf und mit einem 'Vamos' verabschiedet sich das Trio wieder.
Nach 3 Mal Hummer an den vergangenen Abenden, essen
wir heute vegetarisch, was unsere Casa Mama Josephina sichtlich enttäuscht.
Selbst das abgespeckte Mahl können wir nicht aufessen.
Am Nebentisch sitzt ein Schweizer Pärchen, das heute
in Vinales angekommen ist. Sie sind schon ein paar Tage in Kuba, oderrrr?! und
haben durch Gespräche mit Einheimischen schon einiges über das kubanische Leben
erfahren, oderrr?!.
Das durchschnittliche Monatsgehalt eines Kubaners beträgt
25 (19 €) CUC. Das ist auch etwa de Preis, den Anne und ich zusammen für eine Übernachtung
zahlen. Die Besitzer einer Casa müssen, wenn sie mehr als 1 Zimmer vermieten,
200 CUC pro Monat an den Staat bezahlen, egal, ob ihr Zimmer vermietet wurde
oder nicht. Ein gebrauchtes Auto kostet zwischen 10.000 und 15.000 CUC.
Neuwagen gibt es kaum, da beim Import zwischen 75 und 100% Steuern gezahlt
werden müssen. Das können sich nur die ganz reichen Exilkubaner leisten. Ein Schmuggel
ist bei der guten Kontrollierbarkeit einer Insel zu aufwendig.
Durch solche Regeln steuern Raul und Fidel den Konsum
im eigenen Land.
Medial nutzbare Geräte wie Handys, Fernseher oder Laptops
gibt es kaum. Ich sehe auch wenige Zeitungen und aus den Radios kommt hauptsächlich
Musik.
Nicht Mal die Uni in Havanna hat Internetzugang!
Stellt euch das mal vor. Eine weibliche Bloggerin schreibt über diese Verhältnisse,
die die meisten jungen Kubaner nicht mehr lange erdulden wollen. In Kuba selbst
kann sie nicht veröffentlichen. Sie schickt ihre Texte an Freunde in Deutschland,
die sie für sie online stellen.
Für die Kubaner ist es außerdem unverständlich, dass
wir Wasser in Flaschen kaufen. Sie kochen Leitungswasser ab und stellen das im
Kühlschrank kalt.
Die beiden Castro-Brüder sind schon ziemlich alt und
gesundheitlich nicht mehr voll auf der Höhe. Aber sie haben gute Gene. Es kann
noch ein paar Jahre dauern, bis sich Kuba öffnet.
Nach dem Essen machen wir es uns im Zimmer gemütlich,
schreiben Tagebuch und lesen. Morgen geht es schließlich schon um 7 Uhr mit dem
Bus nach Maria la Gorda zum Tauchen. Ich bin gespannt, ob ich Anne vom einem Schnuppertauchgang
überzeugen kann.
13.09.2012,
Donnerstag – Maria la Gorda
Wie bitte? Ich
muss meine Tauchkenntnisse auffrischen?
Es ist dunkel und riecht nach verbranntem Holz. Der Geruch
erinnert an Weihnachten.
Straßenbeleuchtung gibt es in Vinales nicht. Dennoch
ist auf der Hauptstraße schon reger Betrieb. Ein Kiosk verkauft Sandwiches und
ich laufe fast gegen einen Karren mit Bananen. Früh um 7 Uhr fährt uns ein Taxi
in den Strandort Maria la Gorda, der am nordwestlichsten Zipfel der Insel
liegt.
Im Reisebüro wurde uns ein Bus versprochen. Doch statt
die Beine lang zu machen, quetschen wir uns nun mit einem englischen Pärchen
zusammen ins Auto.
Den Taxifahrer schätzen wir auf 68 Jahre. Seine Haut
ist durch die Sonne fast so dunkel wie die von Chocolaté. Sein Arm ist ledrig
und hat Querfalten, als ob ihn jemand zusammengeschoben hat. Er sieht aus, wie
der Rüssel eines Elefanten, nur in braun.
Wir verlassen Vinales und schlängeln uns über eine
kurvige Bergstraße, die mit grünen Wäldern gesaumt ist. Anschnallgurte, die uns
halten würden, gibt es nicht. Das Ausbalancieren hat leider mehr von Bauchmuskeltraining
als von einer schaukelnden Krippe und so ist an Schlafen nicht zu denken.
Wir erreichen Pinar del Rio, eine Kleinstadt, in der
die morgendliche Rush Hour zu spüren ist. Viele Schulkinder sind in ihren Uniformen
auf dem Weg zum Unterricht. Sie tragen weiße Hemden mit einem kleinen roten Band
um den Kragen, das am Hals ein Mal geknotet ist. Dazu eine dunkelrote Hose und
schwarze Schuhe. Ich frage mich, ob die vom Staat finanziert wird. Anders
können sich die meisten die Kleider sicher nicht leisten. Wir verlassen die
Kleinstadt. Die Straße verwandelt sich zunehmend in eine unebene Schotterpiste.
Unser dickhäutiger Fahrer weicht den Schlaglöchern
aus, indem er die gesamte Fahrbahn nutzt. Am Straßenrand stehen in regelmäßigen
Abständen Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit auf eine Mitfahrgelegenheit hoffen.
Es scheint so etwas wie öffentliche Verkehrsmittel zu geben. Jedenfalls sehen
wir viele Pferdekutschen und Kleinlaster, die auf ihrer hoch eingerahmten Ladefläche
stehende Personen transportieren.
Einige Trecker haben abenteuerliche Anhänger, deren Ladefläche
mit ca. 1,70 m hohen, sporadisch gesäten Holzpfählen umzäunt ist. Zwischen
diesen sind Seile gespannt, an denen sich die Passagiere festhalten.
Orange-schwarze Busse mit der Aufschrift „escolar“ transportieren nicht nur Schulkinder.
Dünne Männer in karierten Hemden fahren auf schmalen
klapprigen Fahrrädern, dessen Sättel nicht mehr verstellbar sind. Einer kommt
mit seinen Knien beim treten fast bis an den Lenker. Nur vereinzelt knattern Motorroller
am Straßenrand vorwärts. Aus dem Auspuff steigen schwarze Qualmwolken herauf.
Viele nehmen ihren Weg zu Fuß in Angriff. Eine feste Zeit
für den Arbeitsbeginn kann es mit dieser Methode nicht geben.
Etwas später wird der Wegrand von Tieren dominiert.
Pferde grasen an einer Leine, Ochsen und Kühe laufen auf der Straße und werden
von unserem Fahrer an die Seite gehupt. Esel kauen gemächlich mit kreisendem Kiefer
ihr Frühstück. Ziegen und kleine schwarze Schweine hüpfen durchs Gras. Hühnerfamilien
wuseln umher. Truthähne sitzen auf kleinen steinernen Pfeilern am Straßenrand.
Sogar Krebse überqueren die Straße. In der Luft kreist oft ein riesiger
schwarzer Greifvogel mit mächtigem Flügelspann. Wikipedia identifiziert ihn als
„Truthahngeier“, den es in Nord-, Mittel- und Südamerika gibt. Hunde und Katzen
machen den kleinen Straßenzoo komplett.
Die Häuser, die hinter dem Streifen aus Getier und Gestrüpp
stehen, sind aus Stein gebaut. Ihre Front ist schmal. Höchstens 5 Meter breit.
Ein kleines Vordach auf ein oder zwei Säulen spendet Schatten für die weißen Holzschaukelstühle,
die rechts und links von der offenen Haustür auf dem gefliesten Patio stehen.
Nach hinten ragt das Haus relativ weit ins Land herein. Es ist sozusagen lang
und schmal. Die Decken sind recht niedrig, höchstens 2,20 Meter. Sie sind mit rot-orangenen
Ziegeln oder Wellblechplatten flach gedeckt.
Die verputzten Außenwände leuchten mintgrün, türkis,
rosa, hellorange oder in einer anderen Bonbonfarbe. Die Grundstücksgrenzen
werden von Holzzäunen abgesteckt, deren Pfähle aus abgesägten Ästen bestehen,
die mehr krumm als gerade in der Erde stehen. Hinter den Häusern ragen hohe Palmen
bis weit in die Landschaft hinein.
In Maria la Gorda angekommen, widmen wir uns der Unterwasserwelt.
Der lang gezogene Strandort besteht aus ein paar kleinen Hotels und Casas. Der Sand
ist hellgelb und unter hohen Palmen, die vereinzelt aus dem Sand herausragen,
stehen weiße Liegen, die von allen genutzt werden können.
Schon nach wenigen Metern Richtung Wasser wird der Strand
felsig. Das Korallenriff beginnt.
Maria la Gorda ist das Tauchmekka von Kuba und genau
deshalb sind wir hier. Für 42 CUC (30 €) gibt es einen Tauchgang inklusive der Ausrüstung.
Ich konnte Anne vom Introduction Dive, also Schnuppertauchgang,
vor dem ihr der Tauchlehrer die wichtigsten Basics erklärt, überzeugen.
Als ich ihm sage, dass mein letzter Tauchgang schon
knapp 1 Jahr vergangen ist und ich bisher insgesamt 9 Mal getaucht bin (plus
die vielen Male im Tauchkurs) ist er sehr bedenklich und meint, dass ich auf
jeden Fall einen Auffrisch-Tauchgang machen soll.
Oh nee. Da hab ich jetzt ja gar keine Lust zu. Und vor
allem glaube ich, dass er mir das Geld aus der Tasche ziehen will, da er sagt,
dass ich dann am Nachmittag den normalen Tauchgang machen kann (und zusätzlich
bezahlen muss).
Anne glaubt, dass er sich einfach nur Sorgen macht und
die Regeln genau nimmt, da er noch sehr jung ist.
Schließlich stimme ich zu, einen einfachen Tauchgang
zu machen, bei dem wir vom Steg aus starten und nur bis 8 m tief gehen. So können
wir zumindest zusammen tauchen. Anne hat am Anfang etwas Probleme, abzutauchen,
da sie ist zu leicht ist. Der Tauchlehrer packt ihr kurzerhand einen dicken Stein
in die Tauchweste und schon geht’s abwärts.
Das Tauchen ist total schön und ich genieße die Schwerelosigkeit
unter Wasser. Wie ein Fisch lasse ich mich treiben. Die Arme verschränke ich vor
meinem Körper und navigier mich nur mit meiner Hinterflosse durch die Strömung.
Leider ist das Riff, so nah vor der Küste nicht besonders aufregend.
Das Spannendste ist eine Schildkröte, die wir kurz
verfolgen und ein silbern glitzernder Barrakuda, der unter einem Boot am Steg
liegt.
Barrakudas sind total faul. In Australien haben wir
sie beim Tauchgang als Orientierungspunkt genommen: "Dort wo die Barrakudas
liegen, musst du rechts lang". Mit ihrer langen Schnauze und dem Überbiss
sehen sie recht unfreundlich aus.
Einen Fisch fand ich besonders interessant, da ich ihn
zuvor noch nicht gesehen habe. Er hat einen orangenen Grundton und die breiten Schuppen
sehen aus wie Dachziegel in verschiedenen rot-braun Tönen. Insgesamt sind wir
40 min unter Wasser. Angefühlt haben sie sich maximal wie 15.
Das Auffrischen war ganz nett aber ich ärgere mich
etwas, dass ich so einen unspektakulären Tauchgang machen musste. Anne hat es gut
gefallen, wobei sie auch nicht begeistert ist. Kein Wunder, bei der geringen Tiefe
ähnelt das Tauchen sehr dem Schnorcheln.
Den Nachmittag verbringen wir auf den Liegen unter den Palmen und kühlen
uns im türkisfarbenen Wasser ab.
Zufällig treffen wir die 3 Münchener vom Reitausflug.
Sie sind mit einem Mietwagen hier und probieren in der Affenhitze Palmen
hochzuklettern. Was tut man nicht alles für das perfekte Profilfoto.
Unser Fahrer hat eine gute Nachricht: Wir fahren nur
zu zweit zurück.
Kaum sitzen wir im Auto, tropft Regen aus den grauen
Wolken auf die Frontscheibe. Im CD Player läuft ein und dieselbe CD rauf und
runter. Eine Frau singt zu Keyboard und Querflöte spanische Schlager. Sehr
tiefgründig können die Texte nicht sein. Der Refrain gerade ging „Me gusta el
sucero de caramello“. Das muss aber guter Karamellzucker sein, wenn er ein
ganzes Lied wert ist.
Zurück in unserer Casa essen wir
vegetarisch und es ist wiedermal zu viel, um alles aufzuessen. Unsere Casa
Mutter ist erneut enttäuscht, dass sie uns aufgrund der Fleischlosigkeit nur
die Hälfte des Preises berechnen kann.
Dafür nehm ich ihr direkt 2
Mohito ab, die sind in diesem kleinen Bergdorf nämlich Weltklasse!
13.09.2012 2, Donnerstag - Trinidad
Hilfe, wir wurden verschleppt!
Bei der Ankunft in Trinidad fallen wir aus dem Bus
direkt in die Hände einer Horde von Schleppern, die gedrängt zwischen Bus und
Hauswand stehen, um uns eine Unterkunft in Trinidad zu vermitteln. Zum Glück
haben wir bereits etwas reserviert und müssen nur die Frau finden, die ein
Blatt mit unseren Namen in die Luft hält.
Der Weg zur Casa ist kurz. Durch eine hohe dunkle
Holztür gelangen wir in das Wohnzimmer, das mit antiken dunklen Möbeln und den
üblichen Porzellanpuppen ausgestattet ist. Der Casa Mann spricht etwas Englisch
und erklärt uns, wie wir den Wasserhahn auf und zu drehen und wie die
Klospülung funktioniert. Vielleicht glaubt er, dass wir in Deutschland noch auf
Plumpsklos gehen.
Auf den Betten liegen wild gemusterte Steppdecken als
Bettschoner.
Auch der Klodeckel wird geschont, und zwar von einem
rosa-plüsch-Bezug. Der passt hervorragend zum rosa Mülleimer in Hello Kitty
Optik.
Das ist allerdings nichts gegen die Touch - Nachttisch
- Lampe, die aufleuchtet, wenn man den gläsernen Lampenschirm mit dem rosa-grünen
Blumenmuster berührt. Future Technik im Retro Look.
Nachdem wir unserer Casa Mama einen riesigen Berg Wäsche
in die Hand gedrückt haben, machen wir uns auf den Weg in die Stadt.
Komisch, irgendwie passen die Straßennamen an den Hauswänden
nicht zu denen auf unserem Stadtplan, egal, wie ich den Plan drehe und wende.
Erschreckt stellen wir fest: Wir sind in einer ganz
anderen Ecke von Trinidad! Bloß in welcher Casa?
Zuerst vermuten wir, dass Josephina, die wir in
Vinales gebeten haben, für uns telefonisch zu reservieren, bei den Unterkünften
im Lonely Planet in der Spalte verrutscht ist. Allerdings passt keine der dort
beschriebenen Casas zu unserer Unterkunft. So langsam beschleicht uns die
Vermutung, dass sie einfach eine befreundete Casa Besitzerin in Trinidad angerufen
hat und uns quasi heimlich vermittelt hat. Wir sind Opfer der Schlepper Mafia
geworden! Das ist ganz schön kleinkriminell!
Hm, eigentlich egal bei wem wir sind, es ist schön
hier und die Besitzer sind sehr nett.
Das Reisefieber im Blut ist unsere erste Station bei
der Stadterkundung das Büro von Havannatour. Wir buchen einen Wanderausflug in
die Sierra del Escamray für Morgen und einen Bus nach Camagüey für Übermorgen.
Danach wenden wir uns im Internetcafé dank sozialer Medien der Außenwelt zu und
verständigen unsere Liebsten über unser Wohlergehen.
Hungrig laufen wir die Kopfsteinpflaster-Straßen hoch zum
Plaza Major. Hier vereinen sich alle Touristenattraktionen. Zwei Kirchen und
ein Museum. Der Platz ist schön gepflegt und geometrisch durch Blumenbeete in
vier Quadrate aufgeteilt. Die Kirchen sind, wie immer, verschlossen.
Wir steuern ein italienisches Restaurant an, in der Hoffnung
hier endlich einen richtig guten großen Salat zu finden. Das kubanische Essen,
das hauptsächlich aus Käse-Schinken-Sandwiches mit Weißbrot, Reis und Bohnen,
Süßkartoffeln, Fleisch und frittierter Banane besteht, geht uns so langsam auf
die Nerven.
Für die Busfahrt haben wir uns schon zwei Gurken vom
Markt zum snacken gekauft und in unsere Kekstüte geworfen. Auf dem Weg zum Italiener
spricht uns eine kubanische Transe an, die sich in ein pinkes Spaghettishirt
und silberne Kreolen-Ohrringe geschmissen hat. Ihre Lippen sind rot angemalt.
Er/sie sagt uns, dass der Italiener geschlossen hat.
Da wir im Vorfeld oft von sogenannten Jinteros gehört
haben, die versuchen, Touris mit allen Mitteln in Restaurants zu locken,
glauben wir ihm/ihr erst mal nicht. Leider hat er/sie recht.
Aber dank den Empfehlungen im Lonely Planet finden wir
das Paladar Estella. Paladares sind privat geführte Restaurants, deren Gerichte
und Preise nicht von der Regierung vorgegeben werden. Estella führt uns durch
die geflieste Eingangshalle in den kleinen Innenhof, in dem auf einem Podest vier
gedeckt Tische stehen. Zwei davon sind schon besetzt. In der Mitte des Hofs
steht ein riesiger Avocadobaum, der viele Früchte trägt. Die kubanischen Avocados
sind mindestens doppelt so groß wie ihre Verwandten im deutschen Supermarktregal.
Die Hofmauern sind mit grünen Ranken bewachsen. Auf
der Dachterrasse eines Nachbarrestaurants spielt eine Liveband die kubanischen Klassiker.
Die Atmosphäre ist wirklich einmalig. Das Cristal Bier
kühlt mich runter und Anne stellt ganz richtig fest: „Ein Bier am Abend ist nährend
und labend“.
Auf der Karte werden vier Gerichte angeboten. Es gibt
entweder Fisch, Schwein, Hühnchen oder Lamm mit Reis und Bohnen, Salat, Bananen
und Süßkartoffeln. Wir teilen uns eine Portion Lamm, das als Spezialität des Hauses
gilt. Estella sagt uns, dass wir die Bananen unter den Reis mischen sollen. So
machen es die Kubaner. Am Anfang finde ich das etwas gewöhnungsbedürftig aber
dann irgendwie gut. Insgesamt ist der Abend einfach köstlich! Nach dem Essen
laufen wir die für Trinidad typischen Kopfsteinpflaster Straßen herab. Um 22 Uhr
liegen wir im Bett und schlafen erschöpft ein.
14.09.2012, Freitag - Trinidad
Ein Bad im Wasserfall, eine
Grottenparty in der Partygrotte und eine unvergesslich musikalische Nacht
In Kuba kann man viel Geld für Mohito
ausgeben und viel Zeit am Strand verbringen. Doch nirgendwo ist Zeit und Geld
besser investiert als in der Natur.
Das Gefühl nach einer schweißtreibenden
1 1/2 stündigen Wanderung in das Becken eines 60 m hohen Wasserfalls zu
springen, ist besser als jeder Kater und jeder Sonnenbrand.
Wir sind auf einer Wanderung in
Toppes de Collantes, einem Gebiet im National Park der Sierra de lEscamray. Ein
russischer LKW aus den 80er Jahren, der in grün gelben Streifen im military
look angemalt ist, hat uns die 18 km herauf in die Berge gefahren.
Mit uns sind die Holländerinnen Milou
und Janneke und das französische Pärchen Marie und Piere auf der Tour.
Die Holländerinnen verbringen
grad die ersten Tage ihrer insgesamt 8 Monate in Süd- und Mittelamerika. Ich
will sofort mit ihnen tauschen!
Unser Guide Iglesio spricht witziges
Englisch. Manchmal lässt seine Aussprache Raum für Interpretation. So erklärt
er uns auf der Kaffee Plantage, dass es 5 Sorten Gourmet Kaffee gibt. Das Gourmet
spricht er „Gurr Mett“ aus, so dass Anne good made versteht.
Der kubanische Kaffee wird übrigens
in der Regel als Espresso serviert. Er ist dickflüssig, tiefschwarz und
definitiv in der Lage, müde Geister zu wecken.
Als Iglesio uns von Schmetterlingen
erzählt, klingt es nach Buddahfly statt butterfly. Buddha begleitet uns auf
unserer gesamten Reise, obwohl wir nicht in Südostasien sind.
Sein bester Versprecher ist
allerdings seine englische Übersetzung von Schwiegermutter. Als er uns eine
giftige Pflanze erklärt, erwähnt er im Nebensatz, dass man sie benutzen kann,
falls man sich mit seiner „mother in love“ nicht so gut versteht.
In Kuba gibt es nur 30 heimische Tierarten,
von denen 27 Fledermäuse sind. Die anderen zwei sind eine Mischung aus Ratte
und Schwein, die auf Bäume klettern können.
Iglesio zeigt uns auf seinem Handy
Fotos von den Tieren, die häufig im Nationalpark vorkommen. Teilweise sind die Bilder
von einem Computerbildschirm abfotografiert und zudem in schwarz-weiß.
Mit seinem Handy spielt er auch
den Laut des rotbauchigen Nationalvogels von Kuba ab, der darauf prompt
antwortet und durch die Bäume fliegt. Ganz schön modern, die Natur hier!
Wir gehen ein Stück und wieder
bleibt er stehen, um aus seiner Tasche eine Hand Holzklötze zu holen. Jeder Klotz
gehört zu einem Baum. Mahagoni und Zeder sind die wertvollsten.
Nach einer Stunde Bio- und Sportunterricht,
erreichen wir den mächtige Wasserfall und das grün-türkise Becken an dessen Ende.
Wir klettern über Felsen zum Ufer und springen ins kühle Nass. Das Wasser ist
herrlich erfrischend!
Das, was wir bergab gelaufen
sind, müssen wir anschließend berghoch wieder zurück. Normalerweise dauert das
1 1/2 h, aber wir schaffen es in 45 min. Iglesio ist stolz auf uns.
An der kleinen Bar am Ziel tanke
ich mit einem pinken, eiskalten Guavensaft meine Energiereserven auf. Köstlich!
Auf den letzten Metern hat es
angefangen zu tropfen. Nun prasselt der tropische Regen auf die kleine Hütte
herab. Der grün-gelbe Truck holt uns aus dem Nass und bringt uns in ein Bergrestaurant,
in dem wir bei einem ordentlichen Lunch mit Schweinefleisch und den üblichen Beilagen
die Tour beenden.
Zurück in Trinidad ändern wir bei
Havanatour das Datum für unsere Busfahrt nach Camagüey. Hier ist‘s schön. Hier
bleiben wir länger.
Heute Abend wollen wir Feiern und
morgen einfach in den Tag hineinleben und am Strand entspannen.
Wie war das noch mit der Investition
des Geldes in die Natur...? Manchmal darf man auch faul und unvernünftig sein.
In der Stadt suche ich eine SD-Karte,
da ich nach einer Woche schon 1 GB verknipst habe und unmöglich Bilder löschen
kann. Annes SD-Karte ist schon am ersten Tag kaputt gegangen und wir photographieren
zusammen mit meiner Kamera.
Im Elepunto, einem Technikladen,
gibt es natürlich keine SD-Karten. Dafür macht die Frau hinter der Verkaufstheke
einen Anruf und gibt uns auf Spanisch zu verstehen, dass wir 10 Minuten warten sollen.
Dann kommt ein junger Kubaner mit Rucksack und Sonnenbrille rein. Er geht
direkt auf uns zu und holt aus seiner Tasche zwei verschiedene 4GB SD-Karten. Der
Preis von 15 CUC (10 €) pro Stück ist nicht verhandelbar. Fidel und Raul haben
auch hier ihre Finger im Spiel. Wir freuen uns, wieder knipsen zu können.
Zum Dinner treffen wir uns mit den Holländerinnen in
der Casa de la Musica. Dieses Restaurant liegt auf einer ca. 30 m breiten Treppe,
die neben der alten Kirche am Plaza Major in die Höhe führt. Die Treppe wird
auf der Hälfte durch einen Platz unterbrochen. Auf diesem stehen grün lackierte
Eisenmöbel.
Das Essen ist so la la. Mein gemischter Salat besteht
nur aus Gurken und Tomaten. Gut, dass Milou mir ein paar Pommes abgibt. Salat
kann man in Kuba als eigenständiges Gericht total vergessen.
Wie der Name schon sagt, wird in der Casa permanent Live
Musik gespielt. Zuerst heizen zwei Salsa Bands die Stimmung an. Um 22 Uhr wechselt
der Sound. Eine Rumba Band tritt auf. Sie sind etwa 10 Musiker, drei davon Trommler.
Ein alter Mann trommelt so schnell, dass wir mit bloßem Auge kaum seine Handbewegungen
verfolgen können. Die Tänzer sind weiß gekleidet. Die Frauen tragen wallende,
mehrschichtige Röcke, deren obere Lage sie am Saum fassen und im Takt auf die Höhe
ihrer Hüften heben. Die Männer haben rote und weiße Halstücher, die sie vom Körper
lösen und diese ebenfalls an zwei Zipfeln haltend nach vorn schwingen. Sie bücken
sich nach vorn und heben ihre Füße beim Tanzen hoch in die Luft. Der Tanz soll
das Werben eines Mannes um eine Frau darstellen.
Die Sprache, in der sie singen, ist definitiv nicht spanisch.
Es hört sich eher afrikanisch an. Vielleicht ist diese Art von Musik durch die afrikanischen
Sklaven nach Kuba gekommen.
Es dauert nicht lang, bis unsere Runde wächst. An
unseren Tisch kommt ein Typ, den wir heute auf der Wanderung gesehen haben.
Anne und ich kennen ihn auch schon aus Vinales. Er hat damals unglaublich abwertend
seine Augen verdreht, als ich im Hotel Ermita auf Spanisch versucht habe dem Kellner
zu erklären, was bereits auf unserer Rechnung steht. Das war kein guter Start für
uns zwei.
Er stellt sich als Roberto vor, der in Trinidad
arbeitet, gebürtig aber aus Russland kommt. Das kaufe ich ihm nicht ab. Er
sieht total spanisch/kubanisch aus. Ich taufe den angeblichen Russen
„Robertomir“. Janneke unterhält sich viel mit ihm und Milou stellt fest, dass
ihre Freundin sichtbares Interesse an Robertomir hat.
Da kommt auch schon der Schweizer Tobi, den wir in Havanna
getroffen haben, um die Ecke. Sein Sympathiekonto ist ja leider ebenfalls schon
im Minus. Allerdings ist er einer der Sorte Mensch, die so ichfixiert sind,
dass sie Reaktionen anderer nicht wahrnehmen. Daher greift er sich einen Stuhl
und setzt sich zu uns, als wären wir alte Kumpels. Die zwei Deutschen, eher
bodenständig drein schauenden Mädels, mit denen er hergereist ist, lässt er
links liegen
.
Die Casa de la Musica ist nur eine Vorstation unseres
eigentlichen Abendprogramms. Wir wollen in die Disco Alaya. Robertomir schlägt
vor, uns mit seinem Auto dort hin zu fahren. Ich muss lachen. Das sind doch nur
5 Minuten Fußweg. Außerdem sind wir mit unserem Schweizer Anhängsel nun eh zu
viele für einen Wagen. Wir winken also ab und machen uns stattdessen zu Fuß auf
den Weg. Durch kleine Gassen geht es bergauf, bis wir schließlich über einen
dunklen Feldweg laufen.
Von außen ist die Disco kaum zu erkennen. Kein Gebäude
und kein Parkplatz deuten darauf hin, dass hier bald eine Menschenmenge feiern
soll. Schließlich handelt es sich bei der Location um eine unterirdische
Grotte. Wir tanzen heute mit Stalagniten und Stalagtiten. Das ist für mich
bisher einmalig. Ich habe in Südostasien bereits einige Höhlen und Grotten
besichtigt, aber ich war noch nie in einer Partygrotte!
Ich erinnere mich an das riesige Höhlensystem in Halong
Bay in Vietnam. Als wir dies damals besichtigten, planten wir in unserer Fantasie
die coolsten Parties in dieser Location. Und nun soll dieser Traum wahr werden.
Der Eingang ist gut bewacht und immer nur fünf Personen
werden gleichzeitig an die Kasse gelassen. Nachdem wir 3 CUC (2,20 €) Eintritt
gezahlt haben, steigen wir eine lange Treppe hinab.
Das Klima ist relativ feucht. Ab und zu fällt ein Tropfen
von den unregelmäßigen Gesteinsformationen herab. An der Bar gibt es einen Gratisdrink,
mit dem wir uns an einen Tisch setzen. Den Schweizer haben wir auf dem Weg aus
Versehen verloren. Der Russe ist schon kurz nach uns da und setzt sich zu uns
an den Tisch. Er unterhält sich die ganze Zeit mit Milou. Jannekes Blick ist
leicht genervt. Als wir die Tanzfläche stürmen, dauert es nur knapp 10 Minuten,
bis die beiden sich küssen. Kurz darauf verschwinden sie Richtung Toilette,
wobei das nicht das gleiche bedeutet, wie bei uns. Die Toiletten sind in Kuba nämlich
nur durch max. 1 70 m hohe Mauer voneinander getrennt, sodass man seinen Nachbarn
problemlos inspizieren könnte. Sie stehen nur im etwas ruhigeren Bereich vor
den Klos.
Janneke ist stocksaurer. Milou wusste doch ganz genau Bescheid
und spannt ihr eiskalt den Kerl aus. Das machen Freundinnen nicht. Ehrenkodex!
Noch mehr stört sie allerdings, dass Milou einfach
verschwindet, ohne ein Wort zu verlieren. Das ist ziemlich leichtsinnig und gefährlich
in einem fremden Land.
Anne und ich geben unser Bestes die verlassene Freundin
aufzuheitern und kitzeln ihre wildesten Tanzmoves aus ihr heraus.
Der Schweizer hat sich auch wieder an uns geklettet.
Er ist ziemlich betrunken. Beim Reden versucht er seine Hand ab und zu auf
meinen bzw. Annes Rücken zu legen. Reden bedeutet für ihn Sätze zu sagen wie:
„Ich weiß auch nicht warum, aber alle Frauen mögen mich, ausnahmslos.“ Die Ausnahme
bilden dann wohl Anne und ich.
Meine Flip Flops hab ich mittlerweile ausgezogen bzw.
bin mit dem Fuß durch eine der zwei Schlaufen gestiegen, sodass sie nun an
meinem Bein klemmen. Zum Tanzen sind sie einfach nicht geeignet.
Ein Kubaner fordert mich zum Tanzen auf. Ich habe
genug Mohito im Blut, um „Ja“ zu sagen. Er legt gleich mit einem unglaublichen
Tempo los und schleudert mich durch die Gegend. Nach der dritten Drehung
rutsche ich auf dem glatten Boden weg und lande mit meinem Hintern auf der
schmierigen Dancefloor. Schnell rappel ich mich wieder auf. Janneke zupft mir
das Kleid zurecht. Anne meint, dass es bis zum Fall, sehr professionell aussah.
Das verschafft mir nun 4 Sekunden professionellen Salsa Tanz. Yeah.
Außerdem ist die Musik schuld. Es kommt sehr nahe an
den Sound einer Trashpop Party heran. Wie soll ich auch zu Britney Spears Salsa
tanzen. Gegen 3 Uhr haben wir genug. Janneke faucht Milou kurz an. Sie ist zu wütend,
um ein normales Gespräch mit ihr zu führen. Milou bleibt irritiert bei Robertomir,
als wir gehen.
Ich liege in meinem lachsfarbenen Kleid auf dem warmen
Kopfsteinpflaster neben der Kirche und schaue mir die Sterne an. Anne bläst den
Qualm ihrer Zigarette der Marke Hollywood in die Nacht. Auf unserem Weg von der
Disco Alaya sind wir an diesem Platz vorbei gekommen und mussten bei den Gitarrenklängen
stehen bleiben. Ein Mann in seinen 50ern sitzt auf einer Mauer und spielt Gitarre.
Seine dunklen Locken bahnen sich den Weg in die Freiheit
heraus aus seiner Baskenmütze. Er singt ein englisches Liebeslied, dass er über
eine Frau aus Trinidad geschrieben hat. Neben ihm stehen eine halbvolle Flasche
Rum und ein paar Plastikbecher.
Wir sind nicht die einzigen, die seinem nächtlichen Konzert
lauschen. Rechts und links von ihm sitzt ein Pärchen, das ihm gebannt zuhört.
Einer der Männer klopft den Takt auf seinem Knie mit. Als der Song aufhört, übersetzt
er ihn für sie ins Spanische.
Als er in seiner Muttersprache weiter singt, stimmen
sie in den Song ein.
Während ich diese Zeilen schreibe, erklärt der junge Alexandro,
den wir auf dem Weg getroffen haben, Anne und Janneke die Geschichte von Trinidad.
Es geht um Prostitution. Er jammert, dass es in Kuba wenig junge Erwachsene wie
uns gibt, die weltoffen sind, reisen und sich für Zusammenhänge interessieren.
An dem Dreierkreis von Anne, Janneke und Alexandro haben
nur meine Füße teil, die in ihre Runde rein reichen. So entspannt kann ich
nicht glauben, dass ich erst seit einer Woche hier bin. Die kubanische Kultur
ist so leicht zu greifen.
Janneke lehnt sich zu ihm über meine Beine. Sie möchte
nicht zu laut nachfragen. Sonst würde sie den Gesang stören.
Ich würde dem Gitarrenspieler gerne sagen, dass ich
genau in diesem Moment über ihn schreibe, aber das gibt mein Spanisch nicht
her. Sicher denkt er, dass ich gelangweilt SMS tippe. Wie falsch er doch liegt.
Ich lache ihn an. Spontan singt er „I like your teeth.“ Danke Dr. Lodde, Sie
sind eine super Kiefernorthopädin.
Ich drehe meinen Kopf nach links und schaue in die Augen
eines streunenden Hundes. Wie konnte ich ihn nur überriechen? „Lo entiendo, aber
ich habe heute leider keinen Knochen für dich.“
Anne streichelt mir über meinen Fuß. Ich schaue sie
an. Ich glaube, sie versucht mir zu signalisieren, dass sie gehen möchte. Das
will ich grad nicht verstehen. Dieser Moment ist magisch und kann jetzt
unmöglich aufhören.
Der Lockige gibt die Gitarre ab. Als ein anderer singt
und spielt, imitiert er mit seinen Lippen und seiner Stimme ein Saxofon.
Das Lied muss witzig sein, die Kubaner lachen.
Irgendetwas krabbelt über meinen Arm. Diese scheiß Insekten
überall.
Janneke legt sich auch hin. Neben mir ist allerdings
kein Platz mehr frei. Dort putzt sich der Hund und sie hat trotz Impfung
schreckliche Angst vor Tollwut.
Ich weiß nicht, ob ich ein Foto machen soll. Kein Bild
wäre diesem Moment gerecht. Anne ist müde und kuschelt ihren Kopf an meine Beine.
Sie kann dort ruhig schlafen. Der Lockige lacht uns an und singt zu ihr: „If you
miss him, if you fucking miss him, just tell him!” Anne schaut mich an und sagt: „Wieso weiß der das bloß?“
Er
wiederum singt: „Love is in the air. Love
is everywhere.“ Er klemmt seinen, mit braunem Rum gefüllten, Plastikbecher
zwischen die Zähne und tanzt.
Eine Kubanerin singt nun klar in die Nacht hinein. Sie
hat ein schweres Kreuz am Hals hängen.
Um die Ecke kommt ein weiteres Pärchen. Ich erkenne
den Typen an seinem kastigen Schädel und seinen kurzen blonden Haaren wieder.
Es ist Vlat aus Latvia, den wir kurz in Vinales gesprochen haben. Er war schon
letzte Nacht hier und ist wiedergekommen.
Anne nimmt einen tiefen Atemzug. In der Luft liegt
mehr als nur Entspannung. Ich möchte hier leben, eher noch geboren sein. Dieses
Unbeschreibliche braucht man im Blut. Ich möchte wenigstens ihre Sprache
verstehen. Wie soll ich denn im hier und jetzt leben, wenn ich nicht kommunizieren
kann, Buddha?
Wie spät ist es eigentlich? Irgendwas zwischen 3 und
5. Immerhin ist es dunkel. Die Schritte der Menschen, die über das Kopfsteinpflaster
den Weg von der Disco zurück in die Stadt gehen, hören sich an wie Pferdehufe vor
einer Kutsche. Der Hund knurrt ab und zu jemanden an, der zu hektisch geht. Südostasien
ist aufregend, Südamerika vermittelt Gefühl.
Als wir Janneke zu ihrer Casa bringen, steht ein weiß
glänzender Neuwagen vor dem Eingang auf der Straße. Das ist sicher die Russenkarre.
Tatsächlich, Robertomir hat Milou kurz nachdem wir gegangen sind, nach Hause
gebracht. Die beiden warten also schon eine ganze Weile auf Janneke. Anne und
ich verabschieden uns und sind auf die Fortsetzung des Dramas gespannt.
15.09.2012, Samstag – Trinidad
Der Kopf sagt Früchte, der Bauch sagt
Pizza.
Als um 10 Uhr der Wecker klingelt, sind wir wie gelähmt.
In unserem Zimmer ist es noch stockdunkel, als wäre es immer noch tiefste Nacht.
Die Grottenparty in der Partygrotte hat ihre Spuren
hinterlassen. Wir sind ziemlich langsam im Kopf und packen angestrengt unsere Tasche
für einen Strandausflug. Um 11 Uhr fährt der Bus vor dem Havannatour Reisebüro
ab. Vorher müssen wir uns noch schnell Proviant besorgen. Ein Mann verkauft Früchte
aus einem großen Fenster heraus. Für 3 CUC (2,20 €) kaufen wir eine Ananas,
eine Mango, zwei Orangen und zwei Bananen. Dieses gesunde Frühstück wird uns
zurück ins Leben holen. In den Läden herrscht mal wieder Wasserknappheit. Limo
und 5 Liter Kanister wollen wir nicht.
Kurz vor 11 Uhr kommen wir verschwitzt am Reisebüro an
und setzen uns auf den Bordstein zu den anderen Wartenden.
Aus einer Seitenstraße zieht der Duft frisch
gebackener Pizza herüber. Wir schauen auf unsere Tüte voller Vitaminbomben. Der
Kopf sagt: „Iss die Früchte“. Der Kater sagt: „Stürz dich auf die Pizza.“ Und
wer gewinnt? Na klar: der Kater.
Ich stelle mich in die Schlange, während Anne die Stellung
an der Bushaltestelle hält. Der Imbiss ist in einem Hauseingang, in dessen Haustür
ein Brett als Theke gebaut wurde. Eine junge Frau gibt mit einem Holzschieber
runde Bleche in den Ofen. Als wir zwei Schinkenpizzen bestellten ruft sie:"Mami,
dos con jamon" die Treppe herauf und kurze zeit später reicht ihre Mutter ihr
zwei belegte Bleche an. Das ist familiäre Arbeitsteilung.
Auf die fettig glänzenden Pizzen kommt grobkörniges Salz
und extra Tomatensoße. Dieses Essen, was man in Deutschland bei Ditsch für max.
3 Euro bekommt, kostet hier 10 CUC (7 €),
wofür man wiederrum ebenfalls kubanischen Hummer mit reichlich Beilagen
bekommen kann. Wir gehen heute wieder mal nicht danach, was es kostet, sondern
was es uns wert ist.
Anne ist zu mir rüber gekommen. Der Bus fährt heute
nicht. Es sind zu wenige Touristen da. Janneke und Milou sind außerdem nicht
aufgetaucht. Wahrscheinlich schlafen sie ihren Rausch aus. Wir nehmen uns für 5
CUC (3,50 €) ein Cocotaxi zum Playa Ancon. Die Cocotaxen sind kleine gelbe Gefährte,
die rund wie eine Kokosnuss sind und fast wie ein Roller mit einer großen Kugel
rundherum aussehen. Wir setzen uns hinter den Fahrer auf eine kleine Bank und sausen
über die Landstraße vorbei an Seen und Flüssen, aus denen ein alter gesunkener Tanker
in Schieflage ragt.
Der Strand ist sonnengelb und mit Schatten spendenden
Bäumen bewachsen. Meist residiert unter einem Baum eine Familie, die ihren Sonntagsausflug
an den Strand macht. Sie sind mit Sack und Pack gekommen. Sogar Tische, auf
denen sie Riesenportionen von Fleisch aufhäufen, haben sie dabei.
Im Wasser spiegelt sich die Familienkultur ebenfalls
wieder. Im Abstand von einigen Metern stehen Grüppchen zusammen. Sie bleiben
dort eine Ewigkeit stehen und unterhalten sich. Wenn sie könnten, würden sie
das Buffet sicher hier aufbauen.
Um sich vor der Sonne zu schützen, tragen sie Cowboy-
oder Strohhüte und Longsleeves. Schwimmen ist für sie nebensächlich. Sie
quatschen nur. Das Wasser ist dazu perfekt geeignet, es hat Badewannentemperatur
und Wellen gibt es hier an der Südseite de Insel eh nicht.
Tretboote werden auch pro Familie ausgeliehen und sind
dementsprechend doppelt so groß wie in Deutschland. Auf einem zähle ich 11 Personen
plus einen Hund und drei Kids, die sich hinten am Boot festhalten und durchs Wasser
ziehen lassen.
Da kommt auch schon unsere Trinidad-Backpackerfamilie.
Die zwei Holländerinnen und das französische Pärchen. Sie haben schlichtweg vor
dem falschen Reisebüro gewartet und sind auch mit dem Taxi gekommen. Zusammen gehen
wir zu den blauen und gelben Hotelliegen, die unter Sonnenschirmen aus Palmenstroh
stehen. Für 2 CUC (1,40 €) pro Person dürfen wir es uns hier gemütlich machen.
Prompt begrüßt uns ein dicker Kubaner in knallrotem Shirt,
der mit einem in der Hälfte durchgeschnittenen Karton als Tablett Getränke aus
seiner nahegelegenen Strandbar serviert. Die Französin Marie sagt: „Der Urlaub
ist zu kurz, um auf Mohito zu verzichten.“ Recht hat sie. Anne probiert
stattdessen einen Pina Colada, welcher von uns direkt zum besten Pina Colada
der Welt erklärt wird. Er ist hellgelb statt weiß und auf der Sahnehaube trohnt
eine Schicht Zimt. Köstlich.
Erst am Abend fahren wir zurück in die Stadt. Auf
Nahrungssuche müssen wir mit einer Krokodilsträne in den Augen feststellen,
dass das Paladar Estella heute geschlossen hat. Vor der Tür und auf der Straße
warten schon einige Schlepper, die uns für ihr Restaurant gewinnen wollen. Wir
weichen ihnen aus und gehen stattdessen in ein größeres staatliches Restaurant,
auf dessen Terrasse mehrere Tische besetzt sind. Leider ist das nicht immer ein
verlässliches Zeichen für Qualität. Heute haben wir das schlechteste Dinner des
gesamten Urlaubs. Das Brot ist trocken und mindestens einen Tag alt. Die Bohnen
im gemischten Salat sind ungenießbar. Die Bananenchips pappig statt kross und der
Streifen Avocado schon leicht bräunlich.
Doch die Krönung ist der Fisch. Was hier auf dem Teller
liegt, ist grau und sieht aus, wie ich mir ranzig gebratene Katze vorstelle.
Ich wage mich als erste und stelle fest, dass der Geschmack nicht ganz so schlimm
ist, wenn man die fettigen Stücke raus schneidet. Wir sind super enttäuscht und
ziehen mindestens so grimmige Gesichter wie die Mitglieder der Restaurant-Salsa
Band, die keine Lust mehr hat auf „Chan Chan“ und „Mi Coracon“ haben.
So schnell wie möglich verlassen wir diese
Resteverwertung und bestellen uns in der Casa de la Musica eine Pommes
Schranke. Milou und Janneke, die wir eigentlich hier treffen wollen, können wir
nicht erspähen. Dafür kleben unsere Blicke an den Paaren, die zur Live Musik Salsa
tanzen. Ein altes kubanisches Paar, die sehr stilvoll gekleidet sind und
offenbar zur Oberschicht des Landes gehören, hat meine Aufmerksamkeit ganz für
sich. Der Opi ist so schick, wie ich mir die Besucher bei einem Konzert des
Buena Vista Social Clubs in den 40er Jahren vorstelle.
16.09.2012, Sonntag – Camagüey
Nicht nur das Eis schmilzt in Camagüey
Camagüey ist definitiv der heißeste Ort, an dem wir
bisher in Kuba waren. Es ist so heiß, dass sich auf meiner Schulter unter der
Haut kleine Wasserbläschen gebildet haben, so als ob der Schweiß unter der Haut
nicht abfließen kann.
Wir sind mitten in der Mittagssonne hier angekommen.
Im Bus mussten wir uns von Janneke und Milou verabschieden, die weiter bis in
den äußersten Osten fahren, um von Bayamo aus den höchsten Berg Kubas zu
besteigen.
Camagüey dient uns nur als Zwischenstation auf dem Weg
nach Playa St. Lucia, wo wir am Strand die Seele baumeln lassen wollen. Der Weg
dorthin soll ein Abenteuer werden. Es gibt nämlich keine regelmäßige Busverbindung.
Entweder muss man sich in einem der Hotelbusse einen Platz ergattern, mit einem
der russischen Personen LKWs fahren, die eigentlich nur Kubaner nutzen oder mit
dem Zug nach Nuevitas tuckern, was aber nur auf dem halben Weg liegt und eine anschließende
Taxifahrt erfordert. Das Taxi von Camagüey direkt ist mit 70 CUC (50 €) zu teuer.
Wir beschließen von Viazul Busbahnhof zum lokalen Busbahnhof
zu fahren, um uns dort auf einen der Personen-Trucks einzubuchen.
Als wir den Busbahnhof verlassen wollen, werden wir
von einem Schwarm Taxifahrer belagert. Ich weiß gar nicht, wen ich anschauen
soll. Alle schreien und fuchteln mit ihren Händen. Schließlich wenden wir uns
einem zu, der gut Englisch spricht. Als wir ihm sagen, dass wir zum lokalen
Busbahnhof und anschließend mit dem LKW nach St Lucia wollen, bietet er uns die
Fahrt für 40 CUC (28 €) an. Das ist fast
die Hälfte vom offiziellen Preis und relativ günstig.
Aber wir haben uns doch auf das Abenteuer gefreut. Auf
der anderen Seite ist es viel zu heiß, um mit dem Rucksack herum zu laufen und
ein Abenteuer zu organisieren. Da ist es auch schon wieder vorbei mit unserem
eisernen Entdeckerwillen und wir verabreden uns mit dem Taxifahrer für 18 Uhr
an einem Platz in der Stadt. Adé Abenteuer.
Unsere Backpacks können wir für 3 CUC (2,10 €) im Grand
Hotel lassen.
Auf der Maceo Straße wollen wir Souvenirs kaufen.
Leider sind die angebotenen Mitbringsel meist kitschig und uninteressant.
Porzellanteller mit floralem Print und Che T-Shirts kann ich auch in Deutschland
kaufen.
Zufällig kommen wir an der berühmten Eisdiele Copellia
vorbei. Die Beliebtheit lässt sich deutlich an der langen Schlange vor dem Eingang
erkennen. Das müssen wir überprüfen.
Wer sich in diesem Land irgendwo anstellt, muss immer
nach „el ultimo“, dem letzten in der Reihe, fragen. So weiß man, wer wann an
der Reihe ist und trotzdem kann man sich zu Bekannten weiter vorn gesellen und
quatschen, ohne das System durcheinander zu bringen.
Nach 10 Minuten werden wir von einer Mitarbeiterin
herein gewunken. Es geht direkt weiter zur Kasse. Dort müssen wir uns für einen
Becher entscheiden, ohne vorher gesehen zu haben, wie er aussieht. Vor dem Eingang
war lediglich eine Tafel mit ein paar Becher-Bezeichnungen.
Anne bestellt Banana Split. Ich sage nur „Fresa..?“
und bekommen für 3,5 Pesos Cubanos (0,20 €), die Währung der Einheimischen, ein
Pappmärkchen, auf dem „3 Gracies“ steht.
Das Gebäude ist alles andere als das, was wir uns
unter einen Eisdiele vorstellen. Es ist so groß wie eine Turnhalle und hat fest
montierte Plastikstühle und Tische. Die Eisbecher bekommt man auf runden Metall
Tabletts. Ich fühle mich wie in einer Kantine, in der es nur Nachtisch gibt.
Wir stellen uns an der Eisausgabe an. Ein Kubaner mit Cappi,
der uns schon die ganze Zeit auf Spanisch irgendwas erzählt hat, erklärt uns, wo
wir das Tablett herbekommen und schenkt uns ein Glas Wasser ein, dass es zur Selbstbedienung
und freien Verfügung gibt. Auf seinem Tablett liegen vier Eismärkchen, da er
meint, dass nur ein Becher zu wenig sei. Tatsächlich haben die meisten Kubaner
2-5 Portionen vor sich stehen. Ein Mann füllt sogar eine Portion in eine Tupperdose,
obwohl das Eis schneller schmilzt, als man gucken kann.
An der Eisausgabe portionieren zwei Frauen die Bällchen.
Das Eis holen sie aus weißen Plastikeimern oder Säcken, wie in einer
Massenproduktion. Dazwischen stehen Eimer mit Keksbröseln und Baieserhaufen. Das
ganze richten sie in einfachen Glasschüsseln an.
Bei gefühlten 40 Grad wagt sich niemand, das Eis aus
dem Gebäude in die Sonne zu tragen. Meine 3 Kugeln, die ich als Vanille mit Rosinenstückchen
deklariere, schmecken sehr lecker. Das Eis ist fast etwas schaumig. Zusammen
mit der Karamellsoße, den Keksen und einer Eischaummasse (wie Sahne) ist es
perfekt, um an diesem heißen Nachmittag abzukühlen.
Nach dem Eis gehen wir unter der gleißenden Sonne
durch die Gassen. Der Friedhof, der aus weißen Marmor- und Steingräbern mit
riesigen Kreuzen besteht, blendet im Licht. Hier zwischen den hohen Mauern
steht die Luft. Anne wartet unter einem schattigen Baum während ich durch die
schmalen Gassen laufe, um mir schnell einen Eindruck und ein paar Fotos zu
machen.
Natürlich sind die meisten Gräber direkt von ganzen Familien
belegt. Die Grabsteine sind eher klein im Vergleich zu unseren. Dafür sind die Leichname
nicht in der Erde eingelassen sondern in Stein einbetoniert und überirdisch.
Zierblumen sehe ich kaum. Wahrscheinlich welken sie
bei den Temperaturen bereits nach weniger als einer Stunde.
Von diesem ruhigen Ort soll es zu einem weit aus
lebendigeren gehen, dem Obst- und Gemüsemarkt im Westen der Stadt. Im Lonely Planet
wird er als der interessanteste Markt Kubas beschrieben. Marktschreier und ominöse
Gewürzhändler reichen sich dort angeblich die Hand.
Als wir auf dem Markt ankommen, sehen wir die Gassen
aus kleinen bunten Buden. Doch leider haben sie fast alle die Rollläden
herunter gelassen. Nur ein langweiliger Getränkestand hat geöffnet. Wir lassen
uns enttäuscht vor einer rosa Hütte nieder. In beiden Reiseführern steht, dass
heute um dieses zeit definitiv das pure Leben hier spielen soll. Doch wie es
aussieht, war der halbstündige Marsch durch die brennende Sonne umsonst.
Ratlos marschieren wir zurück. Eine Gruppe Teenager
hat sich am Wegesrand einen kleinen viereckigen Tisch in den schattigen Straßengraben
gerückt, um sich ihre Zeit mit Domino zu vertreiben.
Zurück in der Stadt suchen wir Zuflucht in einer
klimatisierten Bäckerei. Dort sehen wir zum vierten Mal eine kubanische Frau,
die uns nach einem Stift fragt. Generell werden wir in Camagüey die ganze Zeit
belagert. Wir sollen Taxi fahren, Casas mieten oder einfach nur Geld locker
machen. Das ist ziemlich nervig.
Nach den langweiligen Souvenirgeschäften auf der Maceo
sind wir auch wenig motiviert, die Läden auf der Republica anzuschauen.
Stattdessen setzen wir uns in ein Restaurant am Platz, an dem wir abgeholt
werden und verbringen die Zeit damit, vorbeilaufende Kubaner und Touris anzuschauen
- „Leute gucken“, wie man es so schön nennt.
Unser Fahrer, dessen Vermittler uns mindestens fünf mal
gesagt hat, dass wir uns um Punkt 18 Uhr treffen (ohne Handys muss man sich schließlich
verbindlich und präzise verabreden) winkt uns schon kurz vor der Zeit ins Restaurant
rüber.
Wir fahren heute mit einem grünen Oldtimer (wäre ich männlich,
wüsste ich jetzt wohl auch die Marke), dessen breite Sitzbänke sind mit rotem Leder
bezogen sind. Hinten haben mindestens vier schmale Personen Platz.
Beim Reinsetzen versinken wir, wie auf Omas Couch. Eine
Federrung existiert praktisch nicht. Jedes kleinste Schlagloch lässt uns in die
Höhe hüpfen.
Die Pimplaune der Kubaner hat auch vor diesem Fahrzeug
keinen Halt gemacht. Dort, wo im Türrahmen normalerweise die kleinen Knöpfchen
sind, mit denen man die Tür von Innen verriegeln kann, grinsen uns silberne Totenköpfe
an.
An der Decke ist kurz vor dem Heckfenster eine Leuchtröhre
angebracht, die rot-blau blinkt. Ich habe permanent das Gefühl, die Polizei
verfolgt uns.
Die Straßen von Camagüey sind zwar ein einziger Irrgarten,
aber die Abzweigung, die der Fahrer gerade genommen hat, kommt uns sehr merkwürdig
vor. Über einen engen Schotterweg hüpft der Oldtimer in eine Siedlung.
Er hält vor einem ziemlich heruntergekommenen Holzschuppen.
Rechts und links sind riesige Hecken stachliger Kakteen, die vor den Blicken
der Nachbarn schützen. Auf der Straße spielen Jungs mit Kieselsteinen eine Art Boccia.
Unser Fahrer, der kaum mit uns spricht, ganz gleich in
welcher Sprache, sagt etwas von „mi esposa y nino“. Er holt also seine Frau und
sein Kind ab. Wir denken uns ganz romantisch, dass die drei wohl auch etwas Urlaub
in St. Lucia verbringen oder dort Verwandte besuchen. Merkwürdig nur, dass sie
einen riesen Korb Wäsche in den Kofferraum packen.
Die Frau ist komplett in schwarz-pink gekleidet, vom Zeh
bis zum Zopfband. In ihren Ohrläppchen baumeln zwei Paar goldene Kreolen. Ihr Oberteil
hat am Dekolleté einen leicht geöffneten Reisverschluss. Wie viele Kubanerinnen,
ist sie sehr aufreizend gekleidet und zeigt, was sie hat.
Der kleine Sohn ist eine Wonne. Er ist erst ein Jahr
alt und schaut uns mit seinen haselnussbraunen Kulleraugen neugierig und gleich
aus mehreren Richtungen an. Dabei zieht er seine Unterlippe zurück und legt den
Kopf schief. Er steht auf der Vorderbank und schaut uns die ganze Zeit an. Um
seinen dunklen Hals, trägt er ein Silberkettchen, wie der Papa.
Mit dem idyllischen Familienurlaub liegen wir jedoch
gewaltig falsch. Wir kurven nur ein paar Straßen durch die Siedlung, bis wir
vor einem Haus mit braunem Eisentor halten. Ein ca. 10 jähriges Mädchen mit Down
Syndrom bedeutet dem Fahrer zu stoppen und umzudrehen. Sie schaut richtig böse
und entschlossen, wie eine erwachsene Frau, die hier die Straße regiert.
Unser Fahrer beachtet sie kaum. Seine Frau und der
knuffige Sohn steigen aus und wir fahren weiter.
"Ob die sich wohl gerade getrennt haben?", fragt
Anne. So glücklich sahen sie nicht aus. Allerdings hätte sie dann sicher etwas
anderes als einen Berg Wäsche mitgenommen.
Jetzt geht es endlich los auf die Straße nach St.
Lucia. Es ist mittlerweile dunkel geworden. An der Straße gibt es weder eine Fahrbahnmarkierung
noch Straßenlaternen. Sie unterscheidet sich kaum vom grauen Gras rechts und
links.
Ein Mal fahren wir auf einen Pferdekarren zu, der erst
im letzten Moment sichtbar wird. Er hat kein Licht und keine Reflektoren, durch
den wir ihn hätten bemerken können. Wäre einer von uns gefahren, hätten wir ihn
sicher gerammt.
Wir halten schon wieder. Unser Fahrer ist hungrig und
bestellt sich an einer Imbissbude ein Sandwich und einen Saft. Wir sind
mindestens genauso hungrig und wollen endlich ankommen.
Unter dröhnend lauter kubanischer Musik fahren wir 2 Stunden
lang auf der Schlaglochpiste in den Strandort an der Nordostküste.
Wir sind im Hotel Costa Blanca untergebracht, das
ziemlich weit vom Zentrum entfernt ist. Da es keine Cassa gibt und das Teracero
geschlossen hat, ist es dies die einzig bezahlbare Option. Den Check In
verschieben wir auf später. Schließlich hat das Hotelrestaurant nur bis 21 Uhr geöffnet
und uns bleibt noch eine halbe Stunde zum Essen. Obwohl wir eine Dusche bitter
nötig hätten, entscheiden wir uns für den kleinen klimatisierten Raum, in dem
auf den Tischdecken noch die Krümel der letzten Gäste liegen.
Gerade kommt ein junges deutsches Pärchen aus der Restauranttür.
"Joa, macht satt" sagen sie, als ich frage, wie das Essen schmeckt.
Sie sind heute angekommen und total enttäuscht vom Ort. Die meisten Hotels sind
geschlossen.
Dass nur 7 km entfernt der Traumstrand Los Cocos und
eine Lagune voller Flamingos liegt, wissen sie gar nicht. Wer Lonely Planet
liest ist klar im Vorteil.
Wir lassen uns erst mal nicht verunsichern und stillen
unseren Hunger mit ziemlich fettig gebratenem Fisch bzw. Garnelen und gehen anschließend
an die Poolbar.
Dort setzen sich zwei deutsche Jungs zu uns, die eine Exkursion
von ihrem Geographiestudium in Kuba machen.
Sie empfehlen uns als Reiseziel Baracoa, ganz im Osten,
falls uns St. Lucia nicht gefällt. Mit Ihren Locken und Bärten machen sie einen
total entspannten und alternativen Eindruck. Schade, dass sie morgen schon abreisen.
Geschafft vom Reisetag schließen wir früh die Augen.
Die Klimaanlage bläst kühle Luft ins Zimmer. Endlich.
17.09.2012, Montag – Playa St. Lucia
Vor uns das Meer, hinter uns eine
Lagune mit Flamingos
Habt ihr schon mal Flamingos in
ihrem natürlichen Lebensraum gesehen? Einfach so, in freier Wildbahn? Ich
schon!
Und zwar in der Lagune am Playa
los Cocos. Das Wasser ist seicht und warm. Am Ufer wächst viel Gestrüpp und
mitten im See tummeln sich ganze Schwärme der orange-rosanen Vögel. Einige
stehen in einer Reihe nebeneinander und schlafen, den Kopf ins Gefieder
gesteckt. Andere stochern mit dem Schnabel im Wasser nach etwas Essbarem.
Insgesamt sind es sicher 100 Tiere, die wir hier beobachten können. Drei
fliegen sogar über uns hinweg auf das Meer hinaus. Fliegende Flamingos sehen total
unbeholfen aus. Ihre Beine und ihr Hals sind viel zu lang und schlackern in der
Luft herum.
Der Strand liegt zwischen der Lagune
und dem Meer und ist max. 80 m breit. So gibt es zu beiden Seiten etwas zu
beobachten. Wir liegen unter einem mit Palmenblättern gedeckten Schirm. Das Meer
sieht herrlich aus. Es schimmert türkis, blau und hellblau. Der Sand ist grob
und besteht aus kleinsten Muschelteilchen, die anhänglich am Körper kleben. Im Bucanero,
dem Strandrestaurant essen wir frisch gefangenen, köstlichen Fisch, Garnelen
und Hummer. Hach, was geht es uns gut.
Der Strand in St. Lucia, dem Ort,
in dem wir wohnen, kann da um Längen nicht mithalten. Er ist total verdreckt
von Algen und ziemlich schmal.
Leider startete der Tag nicht ganz so idyllisch. Unser
Hotel Costa Blanca hat den Preis für die lauteste Unterkunft Kubas verdient.
Durch die leichten Türen, die aus Aaluminiumlamellen bestehen, dringt jedes Geräusch.
Zudem mündet der lange Flur, an dem die Zimmer liegen, an der Rezeption im Eingangsbereich.
Dort ist immer reger Betrieb und heute Morgen um 6 Uhr ging der altertümliche Drucker
los, der noch auf Lochpapier druckt und jede gedruckte Seite mit einem
Quietschen verabschiedet.
Beim Frühstück hatten wir die Wahl zwischen Schinken-,
Käse- oder Schinkenkäsetoast. Wir können es nicht mehr sehen. In Deutschland
essen wir sowas nie. So sehr wünschen wir uns ein Müsli, Obst und Jogurt oder
ein Körnerbrötchen. Meinetwegen auch Reis mit Gemüse, wie in Thailand,
hauptsache nicht mehr dieses grässliche Toast, das den Hunger nur steigert.
Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg, um unsere
nächsten Schritte zu planen. Dazu laufen wir von A nach B nach C wieder nach B
und schließlich A um bei B zu landen.
Irgendwie suchen wir uns auch immer die prallste Mittagssonne
für diese Märsche aus. Ich bekomme Sonnenbrand auf dem Stück Schulter, dass
zwischen Kleid und Handtaschenträger liegt.
Da im Costa keine dritte Übernachtung möglich ist,
buchen wir bei Cubatour deshalb eine
Nacht im Gran Club St. Lucia, dem Stern der Hotelmeile für 31 CUC (22 €) pro
Person. Der Preis unterscheidet sich nur um 3 CUC von den Mittelklassehotels.
Der Transfer nach
St. Clara lässt sich schwer organisieren. Irgendwie können die Mitarbeiter von
Cubanacan nicht herausfinden, wann die Busse von Camagüey abfahren, sodass wir
wissen, wann wir uns ein Taxi nehmen müssen.
Im Lonely stehen 4 Busse täglich, aber in der Nebensaison
ist auf diese Info nicht allzu viel verlass. Nach dem Strand- und Organisiertag
bin ich ziemlich k.o. und schaff es mit Mühe, mich bis 10 Uhr wach zu halten.
18.09.2012,
Dienstag – Playa St. Lucia
Muchacho,
bring mir noch einen Daiquiri, por favor. - All Inclusive Backpacking
Wir sind mitten im Dschungel. Die Luft besteht nur
noch aus Feuchtigkeit. Der Schweiß läuft uns in Bächen vom Körper. Danke, Evolution
oder Gott, dass du uns Augenbrauen und Wimpern geschenkt hast. Mit dem verklebten
Bundeswehrtaschenmesser von Annes Exfreund zerlegen wir das Wildschwein, das Bernardo
für uns erlegt hat.
Der große dunkle Kubaner, der nur aus Muskeln besteht,
ist im Dschungel groß geworden. Wir nennen ihn Mogli. Mit der bloßen Hand hält
er den Hals des Schweins zurück, um ihn mit dem Messer durchzuschneiden. Wie
sollen wir bloß in dieser tropischen Nässe ein Feuer anzünden? Bernardo zeigt
uns, wie wir das Holz aneinander reiben müssen. Tatsächlich gelingt es uns. Wir
nagen das Fleisch vom Knochen. Es ist haarig aber köstlich.
Und jetzt die true Story: Der alte dickliche Taxifahrer
Bernardo hat uns von unserem unliebsamen Hotel Costa Blanca in das 2 km entfernte
Gran Club Santa Lucia gefahren. Wir sind zu Flashpackern mutiert und machen
einen Tag All Inclusive Urlaub im besten Hotel der Stadt. Kurz vor 10 Uhr
checken wir ein und hetzen zum Frühstücksbuffet.
Mit den Poolhandtüchern reservieren wir noch schnell
zwei Sonnenliegen. Sorry, wir kommen aus Deutschland.
Um 9.57 Uhr sitzen wir im Restaurant und grasen das Buffet
ab, bevor uns die Kellner die Joghurtlöffel aus der Hand nehmen können. Es ist
ja nicht so, als hätten wir heute noch nicht gefrühstückt, aber das langweilige
Schinkensandwich im Costa Blanca kommt gegen dieses Schlaraffenland einfach
nicht an.
Auf unserem Teller landen Obst, Crêpes, mit Puderzucker
überhäufte Croissants, Wiener Würstchen und sogar Hackfleisch. Und das alles gleichzeitig.
Mhhh, All Inclusive Backpacking ist toll! Wir sind nicht die einzigen Verfressenen.
An einem Tisch sitzen vier französische Kanadier, die figürlich glatt bei Rosanne
mitspielen könnten.
Als wir uns auf die Liege an den Pool legen, fängt
hinter uns auf einer Bühne der Ballettunterricht an. Wir hüpfen erst mal ins Wasser.
In 1 3/4 h wird das Lunchbuffett eröffnet. Vielleicht gibt es ja tatsächlich Wildschwein.
Aber erst schwimmen wir durch den reißenden Fluss zum Wasserfall.
Wir schütteln an einer Palme und schlagen die runtergefallenen Kokosnüsse an
einem Felsen auf. Ähm ich meine natürlich: Aber erst springen wir in den Pool
und schwimmen zur Poolbar. Wir setzen uns auf die im Wasser eingelassenen Barhocker
und lassen uns einen Daiquiri reichen.
Bernardo wird langsam etwas aufdringlich. Wir fesseln
ihn an die Palme und überlassen ihn seinem Schicksal. Die ersten Geier kreisen
schon am Himmel.
Alias: mich nervt ein Mosquito und ich schlage ihn auf
meinem Fuß k.o. Ein Hund schnuppert an dem toten Insekt.
Apropos Tiere. Hier in der Anlage gibt es einen künstlich
angelegten Flusslauf, dessen Bett betoniert ist. An einer breiteren Stelle
recken zwei steinerne Zier-Flamingos ihren Hals in die Höhe und in nur einem 10
m entfernten Becken haben es sich tatsächlich zwei echte Flamingos gemütlich
gemacht. Sie stochern mit ihren Schnäbeln im grünlich abgestandenen Wasser.
Ich frage mich kurz, ob der Daiquiri schon Halluzinationen
verursacht oder wir doppelt sehen, aber es handelt sich tatsächlich um zwei
steinerne und zwei echte Daiquiris, äh Flamingos.
Damit auch schon zur nächsten Frage: Was für Leute
machen eigentlich All Inclusive Urlaub? Uns fallen nur negative Attribute ein:
verfressen, Alkoholiker, faul, unselbstständig, oberflächlich, Kulturbanausen,
hochnäsig und verwöhnt. Hm, genau wie wir eben!
Anne macht das Bild perfekt und pfeilt sich am Pool
die Nägel.
Puh normalerweise fühle ich mich erst abends überfressen.
Hier erreiche ich den Zustand schon mittags. Dabei hab ich doch grad nur ein
bisschen Salat mit Rindfleischstreifen gegessen...und ein bisschen Obst und ein
bisschen Reis und Kartoffelbrei naja und Annes flambierten Bananencrèpe hab ich
nur kurz probiert. Ach ja und die zwei Frühstücks…Egal. Es ist jedenfalls
herrlich, eine große Auswahl zu haben und nicht gelangweilt in ein Schinkensandwich
beißen zu müssen.
Im Restaurant sind ganz schön viele Gäste. Ich frag mich,
was die die ganze Zeit machen? Am Pool sind sie jedenfalls nicht. Vielleicht
gucken sie im Zimmer TV, weil es ihnen vor 18 Uhr zu heiß ist.
Das Hotel ist total auf Kanadier ausgelegt. Ein Koch
trägt sogar eine Schürze mit einem roten Ahornblatt drauf.
Am Nachmittag ist es vorbei mit der gefräßigen Ruhe.
Wir werden animiert. Ein Team von ca. 8 Animateuren will uns bespaßen. Zuerst
sollen wir Dart spielen, dann Salsa lernen und später beim Ringe werfen aus dem
Wasser heraus mitmachen.
Bei diesem Spiel gibt es eine Flasche weißen Rum zu
gewinnen. Jetzt lernen wir die klassischen All Inclusive Urlauber richtig
kennen. Denn das Spiel ist genau das Richtige für die eh schon ziemlich
angetrunkenen Kanadier, die vor uns in der Reihe Liegen sitzen. Sie sind eine Gruppe
von 8 Pärchen zwischen 40 und 50, allesamt Burger-hüftig und Bier-bäuchig.
Einer trägt auf seiner Glatze ein grün-rotes Kopftuch der portugiesischen Fußballnationalmannschaft,
auf dem Ronaldo steht. Als er mit dem Ring den Kegel trifft, lässt er ziemlich
eindeutig die Hüften kreisen. Das ist ekelig und Fremdschämen pur.
Wir verziehen uns lieber auf unser Zimmer und schreiben
unter der Klimaanlage sitzend ein paar Postkarten.
Dann ist es auch schon wieder Dinner Zeit und wir
widmen uns einer Beschäftigung, der wir heut ja noch gar nicht nachgegangen
sind: ESSEN!
19.09.2012, Mittwoch – Playa St.
Lucia
Charakteristika des typischen All
Inclusive Urlaubers – Eine Analyse
Es ist aus mit uns. Wir sind total im All Inclusive Modus.
Bewegung ist mittlerweile zu einem Fremdwort geworden. Nach dem Frühstück legen
wir uns direkt an den Pool und überlegen 3 Mal, ob wir die 300 Meter zum Meer
laufen sollen. Zu unserem Ärgernis wohnen wir auch noch in der ersten Etage
eines Bungalows. Das sind mindestens 15 Treppenstufen zu viel. Ausflüge machen
wir erst recht nicht mehr. Unser Tagesrythmus wird ganz klar durch die Buffetzeiten
bestimmt.
Wir essen nicht nur dreimal am Tag, sondern sechsmal,
da wir bei jeder Mahlzeit zwei Mal zugreifen. Heute Vormittag überfiel uns dann
auch noch eine Gier nach Schokolade, die wir mit Milkyway (was hier wie Mars
ist) und Smarties gestillt haben.
Am Nachmittag wird die Tüte Kaubonbons aufgerissen.
Zwischendurch halten wir den Zuckerspiegel mit Daiquiri und Pina Colada oben.
Ich kann Anne gerade noch daran hindern, uns gegen 16
Uhr eine Pommes zu holen. Dafür gibt’s abends zwei Portionen Nachtisch. Die Sahne
hier schmeckt übrigens wie die Füllung von Negerküssen. Total gut!
Nach dem Dinner bleiben wir noch etwas sitzen. A) weil
wir uns nicht mehr bewegen können und b) weil wir All Inclusive Touristen
analysieren. Anne hat die Erkenntnis, dass die „Allis“, die zu 90%
übergewichtig und zu 50% fettleibig sind, sich keinen anderen Urlaub leisten können,
weil sie einfach Unmengen bezahlen würden, äßen sie diese Portionen in
Restaurants. Würden sie diese Mengen selber einkaufen und zubereiten, wären sie
pausenlos beschäftigt und wahrscheinlich überfordert.
Anne starrt in die Gegend und sagt mit weit
aufgerissenen Augen: „Da fühlst du dich noch gut und überlegen und denkst du
kannst noch zurück und plötzlich wachst du auf und dann ist es vorbei. Alles
schwabbelt."
Was Buddha wohl dazu sagen würde? Nach der Genieße-das-hier-und-jetzt-Theorie
wahrscheinlich: „Nimm so viel du kannst und was anschließend in deine Tupperdose
passt." Nach dem Motto hat die weise, menschliche Kugel wohl selbst gelebt.
Wir haben ja wirklich nichts gegen wohlgenährte Menschen
aber diese Gefräßigkeit beim Dinner ist einfach erschreckend. Am Buffet wird
geschubst, gedrängelt und auf den Haufen Hähnchen mit Reis noch eine Viertelpizza
gelegt.
Allis sind schamlos: Ganz offensichtlich lassen sie
sich die Getränke in Alutrinkflaschen abfüllen und tuppern was das Zeug hält,
für den Mitternachtssnack.
Ein Mann zündet sich nach dem Essen im Restaurant sogar
eine Zigarette an!
Allis sind ohne jegliches modisches Verständnis: Dass
ein enges Top, dass nur bis zum Bauchnabel geht und eine enge fleckige Leggins,
die dort anfängt, wo der Bauchnabel vermutlich ist, nicht gerade die schmeichelndste
Kleidung für 150 kg Mensch ist, könnte der Mann seiner Ehefrau ruhig mal
mitteilen.
Ein ältere Herr im gestreiften Poloshirt, das grässlich
zu seiner karierten Hose passt, merkt beim Aufstehen gar nicht, dass sein Shirt
hochgerutscht ist und wir freie Sicht auf seinen haarigen pinken Bauch haben.
Allis sind gefährlich: Die Brüste einer Frau sind so
riesig, dass eine Brust hat den Umfang ihres Kopfes erreicht. Als sie an meinem
Stuhl vorbeigeht, duckt sich Anne kurz weg: "Fast hätte sie dich mit ihrem
Mops erschlagen" sagt sie alarmiert und wir lachen.
Allis sind unwissend: Am Buffet fragt mich ein Kanadier,
mit Baseballcappi und Muskelshirt, ob das rosa Obst mit den schwarzen Punkten Wassermelone
ist. Das hat er wohl noch nicht so oft in seinem Leben gesehen. Wahrscheinlich
ist es zu gesund oder zu kalorienarm.
Ich hab ein leicht schlechtes Gewissen, weil ich so läster,
aber wäret ihr dabei gewesen, könntet ihr verstehen, wie wir irgendwann eine Abneigung
gegen diesen ganzen Überfluss und übermäßigen Verzehr bekommen haben.
Wir wissen, dass wir morgen wieder mit drei normal
portionierten Mahlzeiten auskommen werden, auch wenn unser ultragedehnter Magen
sicher ab und zu knurrend nach mehr verlangen wird. All Inclusive Urlaub mache
ich nie wieder.
Zu Abendaktivitäten sind wir nicht in der Lage. Wir
gammeln im Hotel. Es ist jetzt übrigens 21.19 Uhr. Ich kann meine Augen kaum
noch offen halten und das Schlimmste ist: Ich habe Hunger.
20.09.2012, Donnerstag – St. Clara
Nach fast zwei Wochen verstehen Anne und ich uns ohne Worte.
Ich biete ihr ihren Yoghurt in dem Moment an, als sie mich nach ihm fragen möchte.
Sie hält mir die Haribotüte hin, nur nachdem sie aus dem Augenwinkel meinen Blick
erahnt. Wie ein eingespieltes Team… ein verschworenes Team… wir müssen
beichten.
Heute Morgen am Buffet haben wir uns genauso gierig
und verfressen benommen, wie die typischen Allis, über die wir 12 h zuvor noch
gelästert haben.
Da uns heute eine Taxi- und Busfahrt bevor steht,
brauchen wir ordentlich Proviant und wollen beim Buffet tuppern. Allerdings
haben wir keine Tupperdosen und wie immer herrscht Tütenmangel.
Deshalb nehmen wir die Plastikhauben, die als Zeichen
der Hygiene über unsere Zahnputzbecher im Bad gestülpt sind. Mittlerweile würde
ich mich gar nicht mehr über die Kubaner wundern, die ich am ersten Tag in Havanna
mit leeren mitgebrachten Plastiktüten in die Bäckerei gehen sah. Zwei etwas größere
Tüten haben wir aus einer Bäckerei in Camagüey behalten.
Die zwei am wenigsten einsichtigen Tische im Restaurant
sind schon besetzt. Wir müssen den Tisch an der Treppe nehmen, der allerdings
genau neben dem Buffet steht. Als wir unseren Plan in die Tat umsetzen wollen,
stellt Anne fest, dass ihre Tüten verschwunden sind. Sie kann sich noch genau
an das Geräusch erinnern, das sie abgaben, als sie sie in die Handtasche
steckte. Merkwürdig. Auch auf dem Weg und im Zimmer wird sie nicht fündig.
„Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort“, denke
ich mit schlechtem Gewissen. Das funktioniert auch bei Ungetauften, die sich
nur nach Buddha richten.
Wir packen dafür meine große Tüte voll mit Ananas, Guave,
Papaya, Banane und Orange. In meine kleine kommt Müsli mit Banane, dass mit ein
bisschen Jogurt grad weich aber nicht flüssig wird. Die Auslaufgefahr ist zu
groß.
Der Koch schlendert an uns vorbei, um den Zustand des Buffets
zu kontrollieren. Mir ist es zu peinlich, ihn anzuschauen aber unsere Eintüt-Aktion
kann unmöglich unbemerkt geblieben sein.
Die anderen Allis konzentrieren sich zum Glück zu sehr
auf das Buffet und schenken uns keine Aufmerksamkeit. Der Kellner räumt unsere
leer geputzten Teller ab und sagt keinen Ton zu unserem Proviantberg. Er ist
eben professionell bis in die Spitzen seiner gegelten Haarlocken. Und durch die
Toleranz, die er uns entgegen bringt, lässt das schlechte Gewissen langsam
nach.
Es ist doch merkwürdig, wie schnell wir die Bewertung
einer Handlung revidieren können, sobald sie durch uns selbst durchgeführt und
von der Außenwelt (zumindest scheinbar) akzeptiert wird. Gestern lästern und
heute gleich ziehen.
In dem Buch the „Lonely Island“ von Andrea Levy, das den
Sklavenaufstand 1832 in Jamaika beschreibt, und das ich gerade lese, spiegelt
sich unsere Situation wider. Dort imitiert die 16 jährige schwarze Sklavin July
das Verhalten ihrer Missus, die wie alle Weißen von der Zuckerrohrplantage
geflohen ist. July, die ihrer Missus jeden Wunsch von den Augen ablesen musste
und die Faulheit der englischen fat-batty Dame verurteilte, pudert sich nun
nach deren Flucht mit der Schminke der Missus ihr Gesicht weiß, schlüpft in
ihre bestickte Seide, spreizt den kleinen Finger ab, und tut, als ob sie Tee aus
dem blau weißen englischen Porzellantässchen trinkt.
Dazu hätte ich gerne mal eine Gruppenpsychologie Vorlesung
gehabt, Herr Mierke!
Als wir nach dem Frühstück in die Hotel Lobby gehen,
um auf unser Taxi zu warten, kommt das Schamgefühl schlagartig zurück.
Statt dem bestellten Taxifahrer, steht dort der Taxifahrer,
den wir bei der Ankunft im Gran Club gebeten hatten, uns am Folge-Tag (also Gesten)
um 9 vor dem Hotel abzuholen und nach Camagüey zu bringen. Erst später entschieden
wir uns dazu, eine Nacht länger zu bleiben.
Ohne Handy hatten wir keine Chance, ihm von unserer Planänderung
zu berichten. Stattdessen gingen wir gestern um 09.00 Uhr, vielleicht war's
auch schon 09.05 Uhr in die Lobby, um ihm die Änderung mitzuteilen. Leider war
er da schon wütend abgebraust.
Am Abend hatten wir dann über das Hotel einen neuen Taxifahrer
für heute morgen bestellt. Als dieser uns fragte, ob wir bereits am Vortag einen
anderen Taxifahrer gefragt hatten, verneinten wir mit unschuldiger Miene. Und
jetzt steht dort unser versetzter Freund mit böser Miene. Wir bekommen ein
mulmiges Gefühl.
Es sind noch 10 Minuten bis 9, doch er bekommt keinen
spontanen Fahrgast, der uns vor einer Konfrontation retten würde.
Stattdessen taucht unser neu angeheuerter Taxifahrer
mit einer schwarz-gelb karierten Krawatte auf. Er unterhält sich mit seinem Kollegen.
Sie werfen uns aus der Ferne argwöhnische Blicke zu.
Wir wissen genau worum es geht. St. Lucia ist ein
kleiner Ort.
Als wir mit unseren Backpacks auf sie zugehen, lehnen
sie mit verschränkten Armen an ihren Autos, wie zwei verärgerte Väter, die
ihren Töchtern nach einer Dummheit mal gehörig die Ohren waschen wollen.
Wie alt sind wir noch mal? 26 und 27. Wir könnten
eigene Kinder haben, denen wir Manieren beibringen müssen und machen uns wegen
zwei alten Kubanern in die Hose? Das geht nicht.
Wir atmen tief durch und entschuldigen uns ganz
erwachsen bei dem zuerst angefragten Fahrer und betonen gleichzeitig, dass er um
kurz nach 9 Uhr nicht mehr da war, um unsere Erklärung entgegen zu nehmen. Immer
schön die Schuld auf die anderen schieben… sehr reif!
Er sagt etwas in Richtung Verlässlichkeit und
geplantes Budget. Aber richtig sauer wird er nicht. Wir flüchten schnell in das
neue Taxi und kommen schon nach 1 1/2 h in Camagüey an. Diesmal machen wir
keine ungeplanten Stops und der etwas modernere Wagen, wahrscheinlich ein Hyundai,
hat sogar ein funktionierende Amateuren, die anzeigen, dass wir mit 110 km/h
vorwärts kommen.
Dass die Frontscheibe einen riesigen Riss hat und es
keine Anschnallgurte gibt, verunsichert uns mittlerweile nicht mehr.
Am Viazul Busbahnhof müssen wir noch 1 Stunde warten,
ehe wir im Office das Ticket für den Bus nach St. Clara kaufen können. Das geht
erst, wenn der Bus da ist. Warum auch immer.
Der Taxivermittler, der uns vor 4 Tagen den hüpfenden Oldtimer
als Transfer vermittelt hat, erinnert sich an uns und schlägt uns ein Taxi für
40 CUC (30 €) vor. Der Bus kostet zusammen 30 (21 €). Wir lehnen dankend ab.
Bei 4 Stunden ist die Busfahrt deutlich bequemer.
Die Wartehalle ist allerdings ziemlich ungemütlich. Es
wimmelt von Fliegen und ich ziehe mir meine dehnbare Stoffhose bis über die Füße.
Zwei Kubanerinnen wischen den Boden. Dazu schütten sie
einfach mehrere Eimer Wasser aus und fegen das Wasser mit einem Gummiabzieher
durch die ganze Halle. Eine wischt mit einem Lappen die Reste auf. Das Tempo in
Kuba kann man eigentlich nicht Tempo nennen, da es absolut nichts mit
Schnelligkeit gemein hat. Die eine setzt sich zwischendurch einfach zu den
wartenden Gästen und legt ein Päuschen ein, während die andere seelenruhig
weiter wischt.
Sie machen sich einen Spaß daraus, jeden
anzuschnauzen, der durch ihren Putzweg läuft. Nach einer Stunde sind sie mit
der max. 50 qm großen Halle immer noch beschäftigt.
Im Bus lernen wir ein Schweizer Mädel kennen. Sie hat
grad ihre Ausbildung zur chemischen Assistentin abgeschlossen und bereist 4 Monate
lang Mittelamerika, bevor sie ihr Studium beginnt. Sie ist erst 20 Jahre jung und
hat noch während und nach dem Studium so viel zeit zu reisen.
Wenn ich eins in meinem Leben bereue ist es, dass ich
die Semesterferien nicht zum Reisen genutzt hab!
Jedenfalls war die blonde Melanie mit ihrem lila Adidas
Rucksack bereits 4 Wochen in der Sprachschule in Havanna, da sie zuvor kein Wort
Spanisch sprechen konnte. Sie findet es schwer als allein Reisende in Kuba
andere Backpacker kennen zu lernen. Das stimmt.
Da es keine Hostels gibt und in den Casas meist nur
1-2 Zimmer vermietet werden, ist man auf Busfahrten oder Ausflüge angewiesen,
um Anschluss zu finden. Melanie ist sympathisch und wir laden sie ein, heute Abend
mit uns feiern zu gehen.
In ihrer kurzen Reisezeit hat sie schon unfreiwillig
ein kleines Abenteuer erlebt. Eines Morgens überhörte sie den Wecker und hatte
noch 10 Minuten Zeit, ihren Rucksack zu packen, als der Taxifahrer bereits an
ihre Tür klopfte.
In der Hektik fiel sie mit dem Knie gegen eine Treppenstufe.
Als sie im Bus saß, war ihre Hose bereits blutdurchtränkt. Als der Busfahrer das
sah, fuhr er den voll besetzten Bus entschlossen zum nächsten Krankenhaus. Dort
wurde ihre Wunde genäht. Die restlichen Fahrgäste warteten geduldig 1 1/2 h im Bus
und kamen nach und nach ins Krankenhaus, um sich nach ihrem Wohl zu erkundigen.
Was für ein herzliches Völkchen. Eile ist für sie ein Fremdwort. Die komplette
Behandlung war zudem umsonst. Der Dank gilt dem Sozialstaat.
Auf dem Weg von Camagüey nach St. Clara spüren wir zum
ersten Mal, dass Regenzeit ist. Über uns bricht ein Gewitter mit krachendem
Donner und gewaltigen Regenbächen herein. Bisher hatten wir echt Glück mit dem Wetter.
Melanie war bereits in Havanna, als nachts der Hurrikane Isaac die Straßen überschwemmte
und Wände wackeln ließ.
In St. Clara angekommen, erleben wir eine kleine
Enttäuschung.
Ich möchte euch daher einen Tipp geben: haltet die Kubaner
nicht immer für freundlich und geht nicht immer drauf ein, wenn sie euch ihre Hilfsdienste
anbieten. Oft wollen sie leider einfach nur dein Geld.
Melanie hatte an der Busstation von ihren Casa Besitzern
geschwärmt, die ihr immer ein Zimmer in der nächsten Stadt vermitteln. So habe
sie jetzt auch schon eins und werde sogar abgeholt.
Da wir uns nichts im Vorfeld organisiert haben, fragen
wir den Mann, der sie abholt, ob in der Casa ein zweites Zimmer frei ist. „Si
si“ bejaht er und wir steigen zu ihm ins Auto.
Die 10-minütige Fahrt müssen wir mit insgesamt 5 CUC (3,50
€) bezahlen. Das hatte ich nicht erwartet. Es klang nach einem kostenlosen
Pickup. Außerdem ist die Casa nicht groß genug und Melanie wird spontan in
einer Nachbarcasa einquartiert.
Ob wir schon wissen, wo wir zu Abend essen, fragt uns
die Besitzerin. Als wir verneinen, preist sie das Restaurant eines Freundes an,
das immer voll sei. Aber sie könne uns etwas reservieren. Ich frage nach dem Namen,
um zu sehen, ob es im Lonely Planet erwähnt ist. Fehlanzeige. Sie sagt, es sei
neu und stehe daher noch in keinem Guidebook.
Wir haben schon ein etwas mulmiges Gefühl. Melanie
bringt den Kubanern vollstes Vertrauen entgegen und es ist sicher auch nicht
richtig, jedem in der Touristenbranche mit Misstrauen gegenüber zu treten. Also
sagen wir zu. (Das war noch nicht die Enttäuschung).
Das Zimmer ist nett und kitschig wie eh und je. In dem
großen Kühlschrank liegt ein riesen Brocken Fleisch im Gefrierfach. Ob es sich
dabei wohl um ein Problem mit einem Vormieter oder mit einem zu kleinen
privaten Kühlschrank handelt? Wir schließen schnell die Tür zu, schalten das Licht
aus und holen uns mit einem Power Nap Energie für die Nacht.
Pünktlich treffen wir uns mit Melanie vor der Casa,
die von ihrem Casa Besitzer per extrem modernen Mountain Bike begleitet wird.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er uns aus Freundlichkeit bringt oder weil er
sicher gehen will, dass wir nirgendwo anders unsere Scheinchen ausgeben.
In dem so unglaublich beliebten Restaurant ist genau 1
Tisch von einem Backpackerpärchen besetzt, das genau wie wir, hier hergelockt
wurde.
Der grausam kitschigen Inneneinrichtung mit
Stuhlhussen aus glänzendem Polyester entkommen wir zum Glück in den etwas
rustikaleren Innenhof.
Die Talfahrt geht weiter: es gibt keinen Rum und damit
keinen Mohito! Ich bin bockig, wie ein kleines Kind.
Cristal Bier hat er auch nur warm im Angebot, sodass
ich am Ende Wasser trinke.
Die Menükarte ist definitiv special. Hier wird alles
ge-cordon-bleut. Es gibt Fisch Cordon Bleu, Rind Cordon Bleu und Schweine
Cordon Bleu. Kein Wunder, Schinken-Käse ist nicht nur auf dem Brot ein
Bestseller.
Der Salat besteht aus den üblichen Verdächtigen: Tomate,
Gurke, Avocado und sogar zwei verschiedenen Sorten Kohl. Mit Reis und Bohnen
gemixt schmeckt das tatsächlicher lecker. Melanie verabschiedet sich nach dem Essen,
wegen ihrer Wunde am Knie muss sie Antibiotika nehmen und ist total schläfrig.
Für uns besteht heute die letze Gelegenheit,
eine kubanische Partynacht zu erleben. Daher steuern wir den Club Mejunje am Plaza
Vidal an. Auf dem Platz und an den Treppen der mächtigen Gebäude rund um den Platz
sitzen Gruppen von Jugendlichen und Erwachsenen zusammen. Mit ihnen teilen wir
uns an diesen Freitagabend die Nacht.
Beim Mejunje angekommen, gehen
wir erst mal in die Bar. Dort stehen einige Tisch-Bank-Kombinationen aus dunklem
Holz, wie man sie von deutschen Raststätten kennt. Es sind ausschließlich junge
Kubaner hier, die sich an der Bar Espresso bestellen, der in winzigen blauen
und gelben Tassen serviert wird.
Heute ist Gay Night, was durch
ein riesiges Banner in Regenbogenfarben symbolisiert wird. Aus den Boxen ertönen
ausnahmsweise mal keine Salsa- oder Son-Klänge. Der junge DJ legt House auf.
Ein Thriller-Remix ist auch dabei. Michael lebt weiter, auf der ganzen Welt.
Wollten wir eine Rede schwingen,
hätten wir sicher ungeteilte Aufmerksamkeit. Wir werden von allen Seiten
angestarrt. Offensichtlich sind zwei Blondinen auf einmal eine echte Sensation.
Als wir uns mit einem Bier an
einen Tisch setzen, dauert es nicht lange, bis sich eine Kubanerin zu uns
gesellt. Sie fragt uns in gebrochenem Englisch wo wir her kommen und wie lange
wir hier sind. Sie heißt Diamante und trägt ein hellblaues Spaghettitop, das
auf ihrer schwarzen Haut fast wie neonblau wirkt. Der Ausschnitt ist gewaltig
und die weiße, lange Perlenkette lenkt den Blick zusätzlich auf ihr Dekolleté.
Schon nach ein paar Minuten schreibt sie uns ihre Email-Adresse auf, „um in Kontakt
zu bleiben“. Sie schenkt uns einen ihrer silbern glänzenden Armreifen, die an
ihren Handgelenken schaukeln. Wir freuen uns über diese Nettigkeiten aber wie
bei der Casabesitzerin bleibt ein mulmiges Gefühl und die Frage nach der Intention
ihrer Offenheit.
Diamantes Freunde sind
mittlerweile auch an unseren Tisch gekommen. Ein Typ ist erst 18 Jahre alt.
Sein schmales Gesicht ist von Pickeln und Aknenarben übersäht, seine schwarzen,
asymmetrisch geschnittenen Haare, die ihm tief ins Gesicht fallen, streicht er
mit seinen langen Nägeln zur Seite. Um den rechten Arm trägt er eine dünne grau
gemusterte Stulpe. Zur elektronischen Musik bewegt er ihn in abgehackten Bewegungen,
die er Break Dance nennt. Wahnsinn, ich habe einen kubanischen Emo kennen
gelernt. Ich hätte nie gedacht, dass diese Seuche bis nach Kuba gelangt!
Die fünf Freunde reißen sich förmlich
um unsere Aufmerksamkeit. Manchmal weiß ich gar nicht, wem ich zuhören soll. Um
11 Uhr gehen wir in den Club im Innenhof des Gebäudes. Ein Dach gibt es hier nicht
mehr.
Nach der Grottenparty in Trinidad
sind wir nun auf einer Ruinenparty.
Diamante kennt die Türsteher. Sie
nimmt Anne an der Hand und zieht uns vorbei an der Schlange. So sparen wir uns den
Eintritt.
Heute ist unsere letzte Chance Salsa
zu lernen. Also stimmen wir zu, als wir von Diamantes Freunden aufgefordert
werden. Ich bin überrascht, wie einfach es geht. Linker Fuß zurück, linker Fuß
vor. Rechter Fuß zurück, rechter Fuß vor. Das ganze dann mal zur Seite und mal
mit einer Drehung kombiniert.
Um richtig in Schwung zu kommen,
bräuchte ich mehr Platz und etwas anderes als Flip Flops an den Füßen. Also
bedanke ich mich recht schnell und wechsel wieder in den deutschen lockeren Vom-einen-Bein-aufs-andere-wiegen-Tanz.
Dann finden wir den Grund für Diamantes
Nettigkeit heraus. Sie sagt, dass sie die Getränke hier günstiger bekommt als
wir. Mit den 1,50 CUC (2 €) holt sie gleich 5 Becher Rum-Minz-Gemisch. Jetzt
sind neben uns schon mal 3 unserer kubanischen "Freunde" versorgt.
Als Anne und ich uns in einem
unbeobachteten Moment allein Bier kaufen, fordert sie, davon etwas in ihren Becher
zu bekommen. So leicht lässt sie sich nicht abschütteln.
Andauernd sagt sie uns, wir sollen
hierhin oder dahin mitkommen. Langsam haben wir keine Lust mehr.
Die vier bochumer
Geographiestudenten, die wir an unserem ersten Abend an der Poolbar in Playa St.
Lucia kennen gelernt haben, kommen wie gerufen. Milan, Stefan, Florian und Sebastian
waren in der Zwischenzeit in Santiago de Cuba und machen auf ihrem Rückweg nach
Havanna wie wir einen Zwischenstopp in St. Clara.
In der Party-Hauptstadt Kubas schließen
die Clubs untypisch früh. Um 1 Uhr werden im Mejunje die Türen verriegelt. Die Nacht
ist noch jung und die Menge zieht weiter auf den Plaza Vidal. Sebastian geht
kurz verloren und taucht wenig später mit einer Kubanerin im Schlepptau wieder
auf. Milan holt bei Rapido, der kubanischen Fast Food Kette, Biernachschub. Mein
Wunsch nach Mohito wird heute wohl nicht mehr erhört. Wir setzen uns auf die
hohen Treppen vor das Schnellrestaurant und quatschen.
Ich weiß gar nicht mehr wie ich
mit dem kubanischen Rastafari ins Gespräch gekommen bin, jedenfalls unterhalte
ich mich plötzlich mit - ich nenne ihn mal - Bob. Bob hat lange Dreads, die unter
seiner grün-gelb-rot gestreiften Wollmütze zusammen gehalten werden. Er ist
spindeldürr. An seinem Hals zeichnen sich deutlich die Adern ab.
Unter seinem Arm klemmt eine Plastiktüte,
in die er einen Collegeblock eingewickelt hat. Er blättert durch die Seiten und
zeigt mir eine Liste deutscher Vokabeln, die er bei einem Besuch seiner
Schwester in Göttingen gelernt hat, die selbstverständlich auch seine Flüge
bezahlt.
Aus seinem Portemonnaie holt er
ein Foto und zeigt mir stolz ein Bild von ihm und seiner deutschen Freundin.
Ein relativ junges Mädel mit rundem weißen Gesicht und rötlichen Haaren drückt Bob
auf dem Bild einen Schmatzer auf die Wange. Er grinst in die Kamera.
Bob liebt Reggae und war schon
mehrere Male beim Summer Jam in Köln, auf dem ich selbst ein paar Sommer hinter
einander zu den Konzerten weltberühmter Reggaegrößen getanzt habe.
Freudig zeigt er mir in seinem
Block kleine Papierbilder von Gentleman, Seed, Natty King, Fantan Mojah und Co.
Wir singen zusammen "Old Papa Noah" und ich bin froh, mich mit einem
Kubaner zu unterhalten, der weder an mein Geld noch an meinen Hintern will.
Als wir gehen, malt er mit meinem
Lipgloss seine Emailadresse auf ein Blatt und ich schieße ein Foto davon. Dank Facebook
werde ich also weiter sehen, was der kubanische Rastamann so treibt.
Ich wundere mich, dass es in Kuba
nicht mehr Gestalten wie Bob gibt, schließlich ist Jamaika nur einen Katzensprung
entfernt.
Wir verabschieden uns von den Bochumer
Jungs. Milan läuft mit uns noch ein Stück die Straße hoch, um sicher zugehen,
dass wir nicht verfolgt werden.
Ich habe mich in Kuba bisher noch
nie unsicher gefühlt. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich in dieser Nacht alleine
nach Hause laufen würde. Zu zweit mit Anne fühle ich mich definitiv besser.
Die Jungs fahren wie wir morgen
nach Havanna. Allerdings entscheidet das Wetter, ob sie an den Stadtstrand Playa
del Este oder in die Stadt fahren. Falls es regnet, verabreden wir uns für halb
neun im Bodiga de Medio, der Bar, in der Hemingway seinen Mohito getrunken hat
und in der man sich nach dem Getränk mit einem Stift an der Wand verewigen
kann. Irgendwann zwischen 3 und 4 Uhr fallen wir ins Bett mit einer Aussicht
auf maximal 3 Stunden Schlaf.
21.09.2012, Freitag – Havanna
Der Kreis schließt sich
Als der Wecker klingelt, kommt es mir vor, als hätte
ich grad eben erst die Augen geschlossen. Naja das stimmt ja auch beinah. Wir quälen
uns aus dem Bett, da wir den 07.30 Uhr Bus nach Havanna nehmen müssen.
Damit haben wir St. Clara zwar nie bei Tageslicht
gesehen, aber unsere Intention für den Stop war ja eh die Partynacht.
Um 7.10 Uhr ist weit und breit kein Taxi zu sehen.
Merkwürdig. Unsere Casa Besitzerin ist auch noch nicht wach. Sie hat uns am Vorabend
sowohl Taxi als auch Frühstück versprochen. Ich laufe durchs Haus und klopfe an
ein paar Türen, die nicht zu unserem Zimmer führen.
Im Pyjama schlurft sie schließlich aus einer dieser.
Schnell schmiert sie uns zwei Sandwiches und holt aus dem Kühlschrank eine Tüte
mit bereits am Vorabend geschnittenem Obst. Mineralwasser hat sie nicht.
Stattdessen bekommen wir eine Plastikflasche abgekochtes Wasser.
Mittlerweile wach genug zum Sprechen sagt sie uns,
dass sie gestern kein Taxi für uns rufen konnte, da das Auto ihres Fahrers
kaputt ist. Als ich ihr verärgert antworte, dass sie uns darüber hätte
informieren oder ganz einfach ein staatliches Taxi rufen sollen, zuckt sie
gleichgültig mit den Schultern. Mittlerweile sind es nur noch 15 Minuten bis
(der einzige) Bus nach Havanna abfährt. Den verpassen wir hundertprozentig.
Mit einem Funken Hoffnung laufen wir zur Hauptstraße Maceo
runter. Schon auf dem Weg spricht uns ein Mann an, ob wir ein Taxi brauchen.
Dankbar steigen wir in seinen alten roten Wagen, dessen Tür mit einem Knarren schließt.
Am Viazul Busbahnhof springen wir aus dem Auto und fliegen
ins Ticketbüro. Mittlerweile ist es 7.25 Uhr. "Das Ticket könnt ihr erst
kaufen, wenn der Bus da ist" hören wir die bekannte Leier.
Aber wie: der Bus ist noch nicht da, obwohl er in 5 Minuten
fahren soll? Ja, er hat Verspätung und kommt und 08.20 Uhr, so ungefähr. Das
ist in einer Stunde! Na super, die ganze Hektik war umsonst. Wir lassen uns auf
den Boden fallen und warten an die Mauer gelehnt.
Ich widme mich dem Frühstück und mag die Casa Trulla
noch weniger, als ich feststelle, dass sie zwei ham and cheese statt einem Schinken-
und einem Käsesandwich geschmiert hat. Ich kann Käse doch nicht ausstehen und
puhle angewidert die von der Wärme leicht glänzende gelbe Schicht von meinem Brot.
Die bestellte Ananas entpuppt sich als Mango, was in Ordnung
geht.
Es gibt in Kuba drei Busgesellschaften. Astro ist eine
Buslinie, die ausschließlich Kubaner transportiert. Viazul ist für alle offen
und fährt nur von Busbahnhof zu Busbahnhof, die meistens etwas außerhalb der
Stadt liegen. Transtour nimmt ebenfalls alle mit und hat meist zentralere Pickup
Punkte in der Stadt.
Natürlich werden die letzten beiden hauptsächlich von Touris
genutzt, da sie vermutlich weit aus teurer sind. Eine merkwürdige Sitte
herrscht bei allen drei Firmen. Bevor es los geht, wird grau-blauer Rauch in
den Gepäckraum geblasen, der extrem nach Abgasen stinkt.
Die Maschine, mit der er produziert wird, sieht sehr
selbstgebastelt aus. An einen Kanister ist eine Art Rohr befestigt, das der
Länge nach durchaus ein ausgedienter Auspuff sein könnte. Die beiden Elemente
sind durch etwas miteinander befestigt, was wie der Motor einer Kettensäge
aussieht. Die verschiedenen Teile der abenteuerlichen Konstruktion werden durch
Kabelbinder zusammen gehalten.
Mir fällt nur ein Grund für diese Aktion ein. Durch
die Abgasattacke wollen sie verhindern, dass sich blinde Passagiere oder Tiere
im Gepäckraum befinden. Die feine englische Art ist das nicht und unsere Backpacks
stinken nach jeder Fahrt wie eine Tankstelle.
Als wir endlich los fahren, schaue ich aus dem Fenster
und verabschiede mich von St. Clara. In einem Hauseingang sehe ich tatsächlich den
Rasta Bob sitzen. Sein Kopf ist zur Brust geneigt. Schlafend hält er seinen
Collegeblock mit beiden Händen umklammert.
An einer Raststätte verpassen wir den Bus beinah, da
wir im Souvenirshop vor dem CD Regal gefesselt sind. Wir wollen unbedingt die Klänge
des kubanischen Lebensgefühls mitnehmen. Wenn wir nur etwas mit den Titeln und Namen
der Interpreten anfangen könnten. Ich bin schon darauf gespannt, zuhause dieses
musikalische Ü-Ei auszupacken.
Zum Glück sind die Busfahrer in Kuba sehr aufmerksam
(oder wir einfach auffallend). Sie spüren uns immer wieder auf, wenn wir nicht
rechtzeitig im Bus sitzen.
Ein Mann in blauer Uniform, ich weiß nicht, ob er zum
Buspersonal gehört, bietet uns einen Transfer vom Busbahnhof in die Altstadt
von Havanna für 4 CUC (2,80 €) an. Das ist recht günstig, dafür auch abenteuerlich.
Zuerst werden unsere Rucksäcke auf die Ladefläche des weißen Transporters
geworfen, dann noch ein paar weiße Plastiksäcke, die was auch immer beinhalten
und schließlich werden wir aufgefordert, auf zwei Stühlen Platz zu nehmen, die
seitwärts zur Fahrtrichtung auf der Ladefläche befestigt sind. Safety first!
Ich habe das Gefühl, dass sich 90 % der Kubaner mit
gelegentlichen Fahrdiensten ein paar CUC dazu verdienen. Höchstens 70 % der Autos,
die uns bislang transportiert haben, sind von außen als Taxi erkennbar. Und nur
20% davon haben ein Meter und Funk.
Die Kubaner sind Meister der Improvisation und des
halblegalen Nebengeschäfts.
Wir lassen uns zu Raffaella und Pepe, unserer ersten Casa,
bringen.
Anne nimmt dankbar ihre grüne Regenjacke entgegen, die
sie hier vor zwei Wochen im Schrank vergessen hat. Leider ist in unserer Homebasis
kein Zimmer mehr frei. Die flotte Raffaella weiß natürlich Rat und telefoniert
mit ihrer Nachbarin, deren Casa Zimmer grad frei geworden ist. So müssen wir
nur ein Haus weiter ziehen und legen uns kurz aufs Bett, während sie das Badezimmer
reinigt.
Der Nachmittag ist dem Souvenirshopping und der Rückreisevorbereitung
gewidmet. Auf dem Obst- und Gemüsemarkt decken wir uns mit Ananas und Gurken
ein. Der junge Marktverkäufer, von dem wir schon einige Stücke Melone an
unseren ersten Tagen in Kuba gekauft haben, erkennt uns wieder. "Mi amigas
aleman!" ruft er uns strahlend zu und fragt, wie es in Vinales war.
Wir erzählen ihm, wo wir außerdem überall waren und er
fragt, wann wir zurück nach Kuba kommen. Dann besteht er noch auf ein Abschiedsfoto,
damit er uns in Erinnerung bleibt. Als Andenken schenkt er uns drei Orangen und
gibt uns alles zu
einem Freundschaftspreis.
Das Obst in der Casa deponiert, streifen wir durch die
Einkaufsstraßen von Habana Vieja und erstehen Zigarren, Rum und Süßigkeiten. Von
meinen letzten CUC kaufe ich mir einen Fotoband über Che Guevara. Sein Konterfei
ist überall in Kuba zu sehen und weckt bei mir viele Erinnerungen.
Unsere Henkersmahlzeit besteht aus einer gemischten Arabischen
Platte mit Köstlichkeiten wie Hähnchen, Hummus, Tabuleh und Pitabrot. Ich kann
abschließend sagen, dass ich kein Fan der kubanischen Küche geworden bin.
In die Bar Bodiga de Medio gehen wir nicht mehr. Keine
Moneten - kein Mohito. Da die Sonne scheint, vermuten wir eh, dass die Bochumer
Jungs an den Strand statt in die Stadt gefahren sind. Ich schaffe es grad, bis
21 Uhr meine Augen auf zu halten. Die letzten Stunden in Kuba verbringe ich im Tiefschlaf.
22.09.2012, Samstag – Havanna –
Toronto
Wie sieht man ganz Toronto in einer
Stunde?
Um 05.35 Uhr klopft der Taxifahrer an die Tür unserer Casa.
Wow, dieses Auto hat sogar Anschnallgurte und Haltegriffe
über dem Fenster. Wir sollen uns wohl langsam wieder an den westlichen Standard
gewöhnen.
Wer hat eigentlich dieses dumme Gerücht "Man muss
bei internationalen Flügen 3 h vor Abflug am Flughafen sein" erfunden?
Unsere Casa Mutter hatte uns das erst gestern wieder eingebläut. Und nun
stellen wir fest, dass der Air Canada Schalter erst 2 h vor Abflug öffnet. Wir ärgern
uns über die verschenkte Stunde Schlaf und setzen uns zur Asiatin mit dem
"University of Toronto" Pulli, die offenbar als Einzige noch früher
als wir da war.
Beim Check In amüsieren wir uns über zwei Kanadier,
die fassungslos feststellen, dass sie ihre Rückreise einen Tag zu früh antreten
wollen. Die kubanische Angestellte bekommt unter ihrem Kichern nur noch ein
"manana manana" hervor. Wir stimmen in das Lachen ein. Vom Stimmungshoch
geht es direkt ins Stimmungstief. Ich kann in meinem Reisepass mein Touristenvisum
nicht mehr finden. Ich durchwühle alle Taschen, doch der kleine grüne Papierschnipsel
ist unauffindbar. Unser Gepäck dürfen wir schon mal einchecken, aber ich muss
mit dem Supervisor zum Immigrationsbüro laufen. Zum Glück habe ich noch andere Einreiseformulare
aufbewahrt, die ich ihm zusammen mit meinem Pass gebe. Wir setzen uns vor dem Office
auf den Boden und warten.
Die Mitarbeiterinnen, die in den kleinen Kabinen
sitzen und prüfen, ob dass Foto auf dem Pass zur Person passt, beginnen gerade
ihre Schicht. In ihren engen grau-grünen Blusen und den dunkelgrünen Miniröcken
stolzieren sie von allen Seiten zu dem Büro, um sich dort ihren Stempel
abzuholen.
Sie begrüßen sich mit einem "Buena"
(kubanisch faule Abkürzung für buenas dias) und geben sich einen lauten Schmatzer
neben die Wange. Wir hören von allen Seiten Küsse durch die Luft fliegen. Es
ist richtig laut.
Anne wirft einen Blick in das Office, in dem drei
Männer offenbar nichts Weiteres tun, als gelangweilt an ihrem Schreibtisch zu
sitzen. Nach ein paar Minuten steckt einer von ihnen den Kopf durch die Tür,
ruft „Hanniii“, gibt mir meinen Pass wieder und wünscht uns "lucky
travel".
Das war unkomplizierter und vor allem günstiger als
gedacht. Juhu!
Zurück am Schalter bekommen wir unsere Flugtickets und
fallen vom Hoch erneut ins Tief. Unsere Maschine hat 4 Stunden Verspätung! Das
sind dann insgesamt 5 Stunden, die wir länger in der Tiefschlafphase hätten
verbringen können. Wir verlassen geknickt das zu kühl klimatisierte Gebäude und
legen uns wie zwei Penner neben dem Parkplatz auf eine Bank zum Schlafen.
Etwas entfernt sitzen die zwei Kanadier, die sich im Datum
geirrt haben. Sie mildern den Schreck mit einer Dose Bier. Das Wort
"fucking" fällt in Ihrer Unterhaltung ungefähr 10 Mal pro Minute und
wird von ungläubigen Lachanfällen abgelöst.
Wir stellen uns den Wecker und machen die Augen zu.
Der Hunger zwingt uns, in Kuba Mittag zu essen. Dabei
hatten wir auf Flugzeugfraß gehofft. Wie befürchtet gibt es am ganzen Flughafen
nur den kubanischen Nationalsnack: Käse- und/oder Schinken-Sandwich. Bitte
nicht schon wieder.
Wir improvisieren und greifen zu einer Tüte Maischips
mit Knoblauchgeschmack. Klingt ekelig, schmeckt aber ganz geil. Die Chips
knuspernd beobachten wir, wie mehr und mehr Nicht-Kubaner an der Theke enttäuscht
auf die in Plastikfolie gehüllten Beispiel-Sandwiches in der Auslage starren.
Drei Kanadier entscheiden sich für einen Pringles-Lunch
und wünschen uns mitleidig guten Appetit.
Um 14 Uhr heben wir endlich ab und landen drei Stunden
später in Toronto.
Unseren ursprünglichen Plan, dort ein Auto zu mieten
und die Niagarafälle zu bestaunen, können wir uns abschminken. Dabei haben wir Glück,
dass wir die Rückflugsoption mit zehn Stunden Aufenthalt ausgewählt haben. Hätten
wir den zwei- oder fünfstündigen Zwischenstopp gewählt, hätten wir unseren Anschlussflug
verpasst. Die vier Stunden, die uns nun zwischen Landung und Weiterflug
bleiben, wollen wir sinnvoll nutzen.
Mit Bus und Metro fahren wir in das Stadtzentrum
hinein. Das dauert zwar ne ganze Stunde, ist aber mit 3 $ pro Person 32 $ günstiger
als ein Taxi.
An der Union Station im Financial District verschlägt
es uns die Sprache. Einen krasseren Gegensatz zu Kuba könnten die riesigen, glänzenden
Türme, die zweifelsohne an den Wolken kratzen, nicht bilden. Die Straßen sind
breit und auf den Anzeigen der Ampeln müssten selbst Blinde noch etwas erkennen
können. Alles ist sauber, modern und strahlt Wohlstand aus.
Mit dem Stadtplan an der Hand laufen wir durch die
sonntäglich ausgestorbenen Straßen zum CN Tower. Das knapp 400 m hohe Wahrzeichen
der Stadt hat noch bis 20 Uhr auf.
Genug Zeit für einen Kurzbesuch. Der mit 22 km/h
aufsteigende Fahrstuhl lässt unsere Ohren erneut ploppen, als wären wir noch im
Flieger.
Oben angekommen liegt uns die riesige Stadt zu Füßen.
Die Häuser reichen bis an den Horizont. Im näheren Umkreis des Towers sind es
fast ausschließlich metallene, spiegelnde Bürotürme oder Veranstaltungshallen.
Gut gefällt uns der Hafen von Toronto. Der Lake Erie,
an dem auch New York liegt ist riesig. Da wir am Horizonts kein Ende erkennen,
scheint es, als ob Toronto am Meer liegen würde. Nach einem schnellen Rundlauf
geht es mit 22 km/h zurück auf kanadischen Boden.
Ich habe ein riesiges Loch im Bauch und gemäß Buddha
essen wir im hier und jetzt, so wie es für das Land, in dem wir uns befinden,
typisch ist bei einer Fastfoodkette. Es gibt Burrito mit Rind, Bohnen, Guacamole
und Käse. Das hat immerhin noch den lateinamerikanischen Touch.
Im Convenience Store nebenan investieren wir unsere
letzten Dollar in kanadische Haribos bevor wir zur Metro zurück hetzen. Am Eingang
der Union Station stellen wir fest, dass wir im Süssigkeitenwahnsinn zu viel
ausgegeben haben und uns nun Geld für die U-Bahn fehlt.
Die Kontrolleurin am Eingang ist gnädig. Wir geben ihr
alle Münzen, die noch übrig sind, in eine durchsichtige Plastiksparbox, die wie
eine Art Sammeldose für Tickets für Obdachlose und verplante deutsche Backpackerinnen
aussieht. Mit einem schnellen Danke laufen wir die Treppe herunter.
Nun bleibt nur noch das Busproblem. Den müssen wir schließlich
auch bezahlen. An der Haltestelle ist weder ein Ticketautomat, an dem wir mit Kreditkarte
zahlen können, noch ein Geldautomat, der Visa akzeptiert. Wir überlegen kurz,
den Fahrer mit 2 Tüten Haribo zu bestechen, die immerhin den gleichen Wert wie
die Tickets haben.
Dann fallen uns die Euro ein, die wir noch im Portemonnaie
haben. Der erste wartende Kanadier, den wir ansprechen, ist sofort bereit 5 €
gegen 6 $ zu tauschen. Bei dem Kurs würde jede Wechselstube pleite gehen. Er
ist eh auf dem Weg nach Europa, um mit einer Yacht von Griechenland in die Türkei
zu segeln. Da kommen ihm die € sehr gelegen.
Irgendwie haben wir die Mitmenschlichkeit in dieser Stunde
auf unserer Seite. Schließlich will der Busfahrer unsere 6 $ nicht ein Mal und
der Kanadier ist so nett, das Tauschgeschäft rückgängig zu machen.
Wir kommen gerade rechtzeitig ans Gate, an dem das Boarding
in dieser Minute begonnen hat.
Das waren sicher die vier am besten genutzten Stunden,
die ich je zwischen zwei Flügen verbracht habe. Allerdings waren es auch die vier
hektischsten, da alles im Schnelldurchlauf geschehen musste. Das hat uns einige
Nerven und Anne einen Fingernagel gekostet. Immerhin haben wir jetzt ganz Toronto
gesehen, wenn auch nur von oben.
23.09.2012, Sonntag – Frankfurt
Posturlaubsdepression
Abwehrreaktionen - Drei Inder in der Reihe vor uns
brechen, als wir in Frankfurt landen. Der Himmel ist grau und es sind gerade mal
14 Grad. Ich stimme ihnen zu. Ich möchte auch nicht in Deutschland sein. Ich
habe keine Lust, morgen ins Büro zu gehen und die Perspektive, dass ich Weihnachten
erst das nächste Mal frei habe, ist schrecklich.
Ich diagnostiziere mich selbst mit einer Posturlaubsdepression.
Es sind sogar psychosomatische Symptome zu erkennen. Meine Unterlippe ist mit
riesigen Herpesbläschen übersäht und es mangelt mir an Appetit - Abwehrreaktionen.
Auch Anne ist betroffen. Ihre Nase läuft, ihr Hals
schmerzt und das Ohr geht nicht mehr auf. Sie will und kann nichts vom Deutschland
hören.
Der Abschied fällt schwer. Wir haben uns schon so
aneinander gewöhnt. Ich sag schon aus Versehen „Hänni“ zu ihr. Wir sind zu
einer Person verschmolzen.
In der S-Bahn scheucht mich eine Inderin wie ein
schnatterndes Huhn zur Seite. Ich soll meinen Rucksack wegstellen und den Klappstuhl
für ihre Begleitung frei machen. "Ja, si si, don't get all hectic"
antworte ich genervt und mixe dabei unbewusst die Sprachen der drei Länder der
letzten 24 h.
Am Frankfurter Hauptbahnhof kehrt beim Anblick des Asia
Gourmet Restaurants mein Hunger zurück. Einmal "Rindfleisch mit Thai Basil
bitte". Endlich wieder vernünftiges Essen!
Auf meinem Gleis kommt mir ein buddhistischer Mönch
entgegen. Das sind eindeutige Grüße. Doch am Ende der Reise, muss ich Buddha
leider Unrecht geben. Wie soll ich bitte in der Gegenweit leben, wenn sie so
trist ist und die kubanische Vergangenheit so bunt?
Typisch Kuba
-
die Menschen
verkaufen aus ihren Fenstern, vor denen meist ein schnörkeliges Gitter hängt
-
Pastellfarben
-
Prunkbauten aus der
Kolonialzeit
-
ein wilder Mix aus
Barock, Klassizismus, Art Deko und Eklektizismus
-
verzierte Buntglasbögen
über den Fenstern
- Mohito, Cuba Libre, Pina Colada
und Daiquiri
-
Musik und Tanz
überall
-
den Jungs ist warm,
sie ziehen ihr T-Shirt am Bauch hoch
-
die Röcke der Mädels
sind kurz und die T-Shirts eng, auch wenn ihr BMI locker bei 24+ liegt
-
geheimnisvolle Türen
mit gefliesten Treppen, die nach oben führen
-
Ziergitter
-
Vogelkäfige
-
leere Schaufensterauslagen
-
Eiscreme, am besten
von Copellia Strohalme, die mit einer Eiszangen angefasst werden
-
riesige Nestlé Eis
Becher
-
wenn sie etwas nicht
wissen, schicken sie dich mit ausgestrecktem Zeigefinger zum nächsten Shop
-
Geldabheben geht nur
persönlich mit Personalausweis
-
Oft gibt’s nur kleine
0,5 Liter Wasser Flaschen, die großen sind ausverkauft
-
bunte Wäsche hängt an
den Balkonen
-
Motorroller mit
Beiwagen
-
kaum
Zigarettenraucher, viele Zigarrenraucher
-
Che und Revolutions-Graffitis
und Tattoo
-
Alles ist frittiert:
Bananen, Kartoffelchips, Churros etc.
-
die Kubaner möchten
Fotos mit uns auf unserer Kamera machen, obwohl sie ja keinen Abzug bekommen. Sie
möchten gern in Erinnerung bleiben.
-
vor Geschäften wird Schlange
gestanden, Anstehen für Konsumgüter ist normal
-
keine
Fahrbahnmarkierungen auf den Straßen
-
Pferdekutschen und
kleine Laster als öffentliche Verkehrsmittel
-
wenn wir die Straße
überqueren, werden wir ständig von den auf uns zu fahrenden Autos angehupt,
obwohl diese noch mindestens 150 m entfernt sind
-
Straßen- und
Verkehrsschilder sind gemalt, nicht gedruckt
-
Schinken-Käse-Sandwich
-
Schilder mit den 5 Köpfen
von Befreiungskämpfern, die in den USA in Haft sitzen
-
verlassene Häuser
werden nicht abgerissen, sondern verfallen
-
Tüten sind
Mangelware, daher kommt auf dem Markt alles in eine Tüte: geschnittene Melone,
Bananen und Zuckeräpfel
-
in schmalen, langen
Papiertütchen, die oben zusammengefaltet sind, wird eine Portion gesalzene
Erdnüsse verkauft
-
lange Hunde, in denen
viel Dackel steckt und alles mögliche andere
-
die Autos sind alt
und kaputt aber bis zum geht nicht mehr gepimpt
-
für die Kleinen
gibt’s dunkelrot- weiße Schuluniformen, für die Großen besch-weiße
-
Grünflächen sind sich
selbst überlassen. Es wir viel weniger angebaut und Acker bestellt, als
eigentlich möglich wäre
-
Domino, aber wir
sehen sie nur mischen, nicht spielen
-
Zigaretten werden gelötet,
es gibt zu wenige Feuerzeuge
-
Improvisationstalent
-
Musik – überall und betörend
laut
-
Salsa, Son und Rumba
-
Und Rum natürlich!
Kuba vs. Südostasien
Im Vergleich zu Südostasien ist Kuba noch viel weiter
entfernt von westlicher Zivilisation. Sogar im Vergleich mit dem armen Kambodscha,
macht Kuba einen noch ärmeren Eindruck. In dem südostasiatischen Land haben
viele Menschen Handys und ein TV. In jeder noch so einfachen Unterkunft gibt es
W-LAN. Das findet man in Kuba kaum. Medien und die Geräte, um zu kommunizieren,
spielen keine Rolle.
Statt W-LAN gibt es in jeder einfachen Unterkunft warmes
Wasser. Das war in SOA wiederrum Mangelware.
Die Transportmittel in Kuba sind veraltet und verrostet.
Nur ganz selten sehe ich Fahrräder oder Roller, von denen es in SOA nur so
wimmelte.
SOA liebt Karaoke, Comics und
bunte Smoothies. Kuba liebt Salsa, Rumba,
Son, Reggeaton und eine Oper beim Putzen zu schmettern.
In SOA gibt es an jeder Ecke Kaffee mit gezuckerter Milch
und crushed Eis. In Kuba fehlt eine Kaffeekultur. Dafür haben sie die Rumkultur
und ziemlich gute Cocktails.
Den zwei Sorten kubanisches Bier stehen die
zahlreichen Sorten in SOA entgegen. In Vietnam gab es sogar pro Stadt mehrere Sorten.
In SOA wird Zigarette geraucht, in Kuba Zigarre.
In SOA ist Ananas gelb, in Kuba weislich.
In SOA und vor allem in Thailand sind 70 % tätowiert.
In Kuba höchstens 3 % und davon tragen 2 % Chés Antlitz auf der Haut.
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