Sonntag, 14. Oktober 2012

KUBA - Musik, Rum und viele lachende Geischter


 














08.09.2012, Samstag – Köln

Hinflug - Wie, die Niagarafälle sind bei Toronto?


Der Wecker klingelt um 5.30 Uhr.
Ich springe aus dem Bett, laufe im Kreis und werfe die Arme über den Kopf! Waaahhh! Auf geht’s zum Bahnhof in Köln, um Anne zu treffen. Eike drückt uns noch ne Tüte mit geschmierten Stullen in die Hand, weil Flugzeugessen nicht schmeckt.
Auf dem Weg zwischen dem Fernbahnhof am Flughafen Frankfurt und dem Terminal 1 fallen mir wieder die unzähligen Bretzelstände auf, die ausländischen Reisenden sofort eine deutsche Atmosphäre vermitteln (sollen).
Beim Check In wird es kurz spannend, da ich bei der Buchung Anne statt Annegret als 2. Reisenden angegeben habe. Für Air Canada ist das allerdings kein Problem. Gut, dass wir nicht über die USA fliegen.

Unser Zwischenstopp ist nach knapp 10 h Flug Toronto und irgendwie fühlen wir uns, als ob wir Urlaub in Kanada machen. Kuba ist in unserem Kopf noch ganz weit weg. In Toronto haben wir knapp 5 h Aufenthalt. Wir überlegen einen schnellen Kaffee in der Stadt zu trinken. Allerdings sagt uns das Infopersonal am Flughafen, dass es sich nur mit einem Taxi lohnen würde und das ist zu teuer. Uns fällt auf, dass die Kanadier, die am Flughafen arbeiten, sehr gemischte Nationalitäten haben. Es gibt viele Inder, Asiaten, Südamerikaner und nur wenige Weiße. Ich fände es schön, in so einem Multi Kulti Land zu leben. Deutschland ist so einheitlich.

An einem Infostand decken wir uns mit Prospekten ein, da wir auf dem Rückflug sicherlich Zeit für Unternehmungen haben und stellen fest, dass die Niagara Fälle
quasi direkt neben der Stadt liegen. Wer hätte das gedacht?! Noch mal im Kreis laufen, freuen und einen lebensgroßen Plüschelch mit Kanada-T-Shirt umarmen!

Annes Chefin hat ein Kommunikationsproblem. Sie kann ihren Mitarbeitern gegenüber nicht persönlich freundlich sein. So hat sie Anne zum Urlaub eine Email geschrieben: „Traure nicht der Vergangenheit hinterher. Verschwende deine Gedanken nicht in der Zukunft. Lebe im hier und jetzt. Buddha.“
Das ist schön. Das nehmen wir uns jetzt als Urlaubsmotto und trinken erst Mal ein kanadisches Bier für 5 $ und setzten uns in ein Fastfood Restaurant. Das Bier ist total leicht und die kanadischen Haribos richtig gut!

Wir wollen die Besitzer unserer Unterkunft in Havanna per E-Mail darüber informieren, dass wir erst gegen 23 Uhr ankommen. Das hat Annes Schwester, die uns mit ihrem fließenden Spanisch das Zimmer gebucht hat, nicht erwähnt.
Ich hatte immerhin ein Semester lang Spanisch, vor 5 Jahren. Wenn ich mich an diese Zeit zurück erinnere, fällt mir allerdings als erstes Jenny ein, die neben mir saß und permanent mit einem übertriebenen spanischen Akzent  „Yo soy muy sexy“ rief und wir danach einen Lachkrampf bekamen. Das hilft uns grad nicht weiter.
Wir versuchen einen Satz auf Spanisch zu kreieren, der halbwegs normal klingt. Daraus wird „Arrivos a 11 pm hoy noche“. In den Betreff scheiben wir noch „Nuestra habitacion“. Das Können wir uns aus der Reservierung abgucken.
Wir haben keinen Schimmer, ob ein Kubaner das versteht. Allerdings glauben wir mit dem „11 pm“ auf der sicheren Seite zu sein. Wir werden sehen.

In der Schlange des Check Inns meint Anne, dass ihre Eltern jetzt, wo die Kinder groß sind, sehr viel reisen. Erst grade waren sie in dem Land mit den "vielen Stationen von Jesus". Ich schau sie fragend an: "Was gibt es da denn sonst außer Israel?!" "Ja genau, in Israel waren sie!" sagt Anne und ich muss lachen. Den katholischen Religionsunterricht an den Ankumer Schulen gewöhnt, kann ich es mir nicht vorstellen, dass man so etwas nicht weiß. Anne hingegen ist in Adorf bei Chemnitz in der ehem. DDR. Ungetauft hat sie in der Schule auch nichts über das Land mit den Stationen von Jesus gelernt…

Wir entdecken den ersten Willkommensgruß Kubas: ein kleiner dicker Mann mit glänzenden schwarzen Locken und einem Ché-Tattoo auf dem braunen Oberarm. Viva la revolucion!

Bei der Ticketkontrolle piept Annes Ticket nicht und der Stewardess fällt auf, dass wir am falschen Gate stehen, es sein denn, wir wollen nach Holguin in Kuba fliegen. Nein Danke.
Jetzt müssen wir uns beeilen und laufen zum Gate 81. Dort fällt der Stress schnell wieder von uns ab. Unser Flieger ist noch nicht mal angezeigt, da zuerst eine Maschine nach Mexiko Boarding hat.

Im Flugzeug vor uns sitzt eine Familie. Der Mann hat (heute) sein Deo vergessen. Ein beißender Schweißgeruch weht herüber. Anne sagt: „Denk an Heisswürstchen. Sell dir einfach vor, es würde nach leckerem Essen riechen.“ Das ist irgendwie unmöglich und macht mich nur noch hungriger.

Wider Erwarten gibt es auf dem 3 h Flug von Toronto nach Havanna kein Essen und so machen wir uns über unsere Fresstüte her. Das sind bestimmt schon der 3. Apfel heute und die 2. Tüte Haribos, die aufgerissen wird.

Wie spät ist es eigentlich? Hier in Kanada, in Kuba und in Deutschland? Wir sind verwirrt, da unsere Uhren unterschiedlicher Meinung sind. Deutschland müsste 6 h voraus sein. Kanada und Kuba gleich...? Wir beschließen, unsere Uhren alle auf Kuba einzustellen.
Lebe in der Zeitzone, in der du dich befindest. Buddha.

09.09.2012, Sonntag – Havanna

Havanna ist ein Freilufttheater in Pastelltönen

Es ist 20.00 Uhr Ich stehe im Bad unserer Casa Particular (kleine private Pension) und wasche mir die Sonnencreme von der Haut. Mit einem Knall geht das Licht aus. Auf dem Flur schreit jemand laut „eehh“ und dann fangen Raffaella und Pepe an zu singen.

Das Singen ist eine Geste, die in allen möglichen Situationen verwendet wird, um z.B. Unannehmlichkeiten zu überbrücken.
Am Flughafen sang ein Kubaner vor uns in der Schlange beim Warten aufs Boarding. In der Straße singt jemand auf dem Weg vom Bäcker nach haus und auf der Parkbank singt jemand, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen und uns kurzerhand einen Schmatzer und ein „que linda“ durch die Luft zuzuwerfen.

Raffaella und Pepe sind ein kubanisches Pärchen um die 60, die sich liebevoll um ihre Gäste kümmern. Sie sprechen kein Wort Englisch, dafür ziemlich schnelles kubanisches Spanisch. Wir sind mit unseren Brocken-Kenntnissen nicht in der Lage, mit ihnen zu plauschen. Aber die wichtigen Dinge wie "halte die Handtasche nah am Körper" kann Raffaella uns auch mit ihrer lebhaften Gestik vermitteln. Wir bekommen ein Schlüsselbund mit 4 Schlüsseln, die mit pinkem und rotem Nagellack unterschiedlich gekennzeichnet sind. Es ist aussichtslos sich zu merken, welcher Kleks für welches Schloss steht.

Die Einrichtung der Casa ist genauso farbenfroh. Die Wände sind in einem kräftigen türkis gestrichen. In der Mitte steht ein verschnörkelter Tisch mit ebenso verschnörkelten Stühlen. Auf ihm ist abends bereits blumiges Porzellan für das Frühstück eingedeckt.
An die Wände des Raums lehnen barocke Kommoden aus dunklem Holz. Auf einem Tisch neben dem Fernseher steht eine ganze Armada von Porzellanfiguren, in Pastellfarben natürlich. Ein brauner Löwe guckt einen holzbeinigen Piraten an, der neben einer hellgrünen heiligen Maria mit gefalteten Händen steht. Amen.
An der Wand bilden bunt bemalte Porzellanteller einen Halbkreis über einer Kommode auf der eine Etagère mit Krimskram steht. Von den Tellern eingerahmt sind Fotos von der Tochter bei ihrem Uniabschluss.
So eine Einrichtung habe ich wirklich noch nie gesehen, es ist wie ein kleines pompöses Museum.

Es ist unser erster Tag und ich genieße es im Getümmel von Havanna, die neuen Eindrücke aufzusaugen ohne das, was ich sehe, für selbstverständlich zu halten. Morgens beobachte ich beim wach werden von unserem Balkon, wie die Menschen mit leeren, im Wind flatternden Plastiktüten, wie wir sie in türkischen Supermärkten bekommen, durch die Straße gehen und die Panaderia (Bäckerei) gegenüber ansteuern. Kurz darauf kommen sie mit der vollen Tüte wieder raus. Es scheint so, als ob in der Panaderia ein Lager von 1000 Weißbrötchen ist. Allein in 2 Minuten zähle ich 30 Kunden.
Die Brötchen sind wie bei einem großen Flickenteppich aneinander gebacken und liegen in einem breiten gefliesten Regal. Es gibt nur die eine Sorte. Die Verkäuferin reißt die bestellte Anzahl aus dem Teppich und notiert den Verkauf gleich in ihrem Buch. Hier findet Anne ihr Frühstück.

Ich finde meins auf dem Mercado Agricultural. Ein Frischwarenmarkt, auf dem in kleinen Holzhäuschen alles von Limetten, Zwiebeln, Süßkartoffeln, Chilis, Fleisch und Eiern angeboten wird. Drei riesige Stücke Melone kosten nur 1 CUC (70 Cent).

Essend laufen wir die Straße entlang und grinsen über die "Quieres ta melon?" - Rufe, die uns vom Fahrrad oder Bordstein erreichen. In Havanna läuft man auf der Straße. Wenn ein Auto vorbei will, macht es schon mit der Hupe auf sich aufmerksam.
Uns kommt zum zweiten Mal ein Kerl mit weißem Shirt, Dreads und einer dicken Kamera entgegen. Diese und seine iPhone Kopfhörer verraten, dass er nicht zu den Einheimischen gehört. Ein Backpacker vielleicht?
Auch er nutzt die Melone, um mit uns ins Gespräch zu kommen. Wider Erwarten erzählt er uns, dass er Kubaner ist aber schon seit einem Jahr in Perth in Australien lebt. Er verdient sein Geld als Fotograph und wollte sich gerade alte Fenster- und Türrahmen von einem Haus holen, um mit diesen seine Bilder einzurahmen. Jetzt sind wir neugierig und nehmen die Einladung in sein Atelier natürlich an. Es liegt nur ein paar hundert Meter die Straße hinunter. Seine Schwarz-Weiß-Fotographien zeigen hauptsächlich Szenen aus dem Alltagsleben auf der Straße.
Die meisten der Modelle kennt er persönlich. Auf einem Bild ist ein alter Mann, der aussieht wie der Opa von Che Guevara. Dazu trägt er ein Che T-Shirt und eine Baskenmütze. Der Mann war ein total beliebtes Fotomotiv und wurde von den Touris für einen Schnappschuss meist mit Rum bezahlt, sodass er nur noch torkelnd durch Havanna lief. Leider  ist er vor kurzem gestorben.

Brian, der Fotograph, ist mächtig stolz auf seine Stadt und gibt uns Unmengen von Tipps zu Museen, Plätzen, Restaurants und Bars. Für unser nächstes Ziel Vinales schreibt er uns die Handynr. einer Freundin auf, die uns dort zum Klettern mitnehmen kann. Er hört kaum mehr auf zu reden und ich merke, wie Anne vom einen Bein auf das andere wackelt. Der Kreislauf ist durch die Zeit- und Temperaturumstellung noch etwas irritiert.
Wir machen noch ein Foto vom Fotographen, bedanken uns und setzen uns erst ein Mal auf eine Parkbank.

Kleine grüne Oasen erscheinen immer mal wieder mitten in der Altstadt. Es macht unglaublich viel Spaß durch die Gassen zu laufen und die bunten Häuser zu bestaunen. Die Fassaden sind eine einzige Farbpalette, die vornehmlich aus Pastelltönen besteht. Wir verstehen gar nicht, warum Deutschland so grau ist, schließlich gibt es doch blau, gelb und grün!?
Viele Häuser haben aufwendig verzierte Gitter vor den Fenstern und Türen. Glas sehen wir kaum. Über den Fenstern sind bei einigen Häusern halbkreisartige  Bögen montiert, die in verschiedenen Farben leuchten.
Barock, Klassizismus, Art Deko und der verrückte Eklektizismus lassen unseren Schöngeist Luftsprünge machen. Viele der Gebäude sind noch sehr gut erhalten oder restauriert. Wiederum andere sind total heruntergekommen und es ist kaum vorstellbar, dass diese Ruinen bewohnt werden.
Die Eingangstüren sind meist schmal und wirken wie der Aufgang zu einem Geheimnis. Oft erkennt man nicht mehr, als eine aufwendig bunt geflieste Treppe, die hinauf führt. So gerne würden wir die Stufen herauf steigen und das Geheimnis lüften.

Nebenbei fragen wir uns, ob im Wortschatz des Kubaners das Wort Erdgeschoß vorkommt. Die Türen offenbaren immer nur eine steile Treppe. Eine von diesen verwandelte sich heute beim vorbei gehen in einen Wasserfall. Anscheinend, hat oben jemand geputzt und das ganze Dreckwasser einfach nach unten geschüttet und nochmal 30 Liter nachgespült, die den Rinnsal der Straße überschwemmten.

Sonntag ist generell Waschtag. Überall riecht es nach Seifenlauge und Waschmittel, dessen Duft von der Straße und den auf Balkonen trocknenden Kleidern herüber weht. Auf den Balkonen stehen Frauen und unterhalten sich. Ein Abstand von ein oder zwei Häusern wird problemlos überbrückt. Das Geschrei geht eh in der lärmenden Musik aus dem Nachbarhaus unter.
Noch mehr Frauen, aber vor allem die Männer, sitzen in den Hauseingängen oder auf der Straße. Sie unterhalten sich, reparieren Fahrräder, rauchen Zigarre und spielen Domino.
Schon am Vormittag ertönt in den engen Gassen der Altstadt Habana Vieja laute Salsa Musik. Statt sich beim Nachbarn zu beschweren, drehen die Bewohner im Nachbarhaus einfach ihre Anlage etwas lauter auf. Kuba ist ein einziges Konzert!

In einer Seitenstraße spielen ein paar Jungs Fußball. Einer kickt den Ball in Richtung der Fußgänger und er fliegt genau auf den Kopf einer ca. 16jährigen Kubanerin zu. Sie guckt finster und währt den Ball mit einem ziemlich coolen Move ab. Für eine Sekunde herrscht Stille. Dann fangen die Jungs an zu jubeln, klatschen bewundernd in die Hände und rufen ihr begeistert hinterher.
Sie lacht und ruft etwas zurück. Alle sind glücklich. Das ist Kuba.
Stellen wir uns das ein Mal in Deutschland vor: Kevin und seine Jungs zocken in einer Straße. Kevin ist sauer, weil sein Fuß heute nicht treffen will. Er haut so richtig auf den Ball. Der fliegt in Richtung Fußgänger und steuert genau auf Jacquelines Kopf zu. Die sieht den Ball kommen, währt ihn mit einer eiskalten Handbewegung ab. Es herrscht eine Sekunde Stille. Dann ruft Kevin: „Kannst du nicht aufpassen, wo du langläufst du dummes Stück?!“ Kevins Jungs bauen sich hinter ihm auf und starren Jacqueline an. Die ruft: lern erst mal Schießen, dämlicher Idiot und  geht weiter. Alle sind genervt.

Dieses Freilufttheater ist eindrucksvoll genug und so sind wir nicht traurig, dass die Museen, in die wir gehen wollten, heute geschlossen haben. Stattdessen schauen wir uns bei einem Second Hand Buch Markt ein Sticker Sammelalbum zur Revolution und verstaubte Werke von Karl Marx an. Die Revolution, in der Che und Fidel die Unabhängigkeit Kubas erkämpften, ist nun schon mehr als 60 Jahre vergangen. Trotzdem ist sie noch an jeder Ecke präsent und das nicht nur, weil Touristen gerne Postkarten mit Revoluzzerköpfen verschicken.
Wir sehen Graffitis mit "Viva la revulotion hasta siempre." und Che blickt aus Tattoos von Oberarmen und Unterschenkeln sowie vom Schlüsselanhänger von Raffaella, der von innen in der Haustür unserer Casa steckt.
Meine Ma erzählt mir im Nachhinein, dass sie als Jugendliche damals ebenfalls im Che-Wahn war und sein Antlitz mit Farbe und Pinsel auf ein Plakat gemalt hat, wass dann in ihrem Zimmer hing.

Teilweise habe ich das Gefühl, dass das Leben auch in den 1950er Jahren stehen geblieben ist. In unserer Casa steht im Badezimmer ein alter Armlehnensessel, die Waschbecken sind total verschnörkelt und erinnern an eine Muschel und in den Straßen cruisen die buntesten Oldtimer. Elvis würde schwach werden.
Sie schillern in pink, türkis und gelb und lassen das Stadtbild noch greller erscheinen. Viele werden als Taxen genutzt, einige nur privat oder als Fotomotiv. Die fahrenden Bon Bons sind oft nur notdürftig repariert und glänzen z.B. in min fünf verschiedenen himmelblautönen.
Ich muss mir unbedingt Bilder von Havanna in den 50ern angucken. Es hat sicher unglaublich ausgesehen, als die Architektur und Infrastruktur noch gut in Schuss war.

In diesen verblassenden Charme kann sich auch das Capitolio Gebäude einreihen. Es wurde in den 20ern von den Amerikanern errichtet und beherbergte die ehemalige Regierung. Die Bauweise ähnelt sehr dem Kapitol in Washington, nur, dass es noch größer ist. Der Eingang ist leider versperrt und so bleibt uns nur der Weg am Capitolio vorbei in Richtung Barrio Chino (China Town), wo wir heute essen wollen.

Das Viertel ist relativ überschaubar. Trotzdem finden wir das „Tien Tan Tuk! Restaurant nicht so einfach und irren zwischen roten Lampingions, Papierdrachen und tüchtigen Kellnern umher.

Die aufgeräumte schachbrettartige Straßenorganisation Havannas ist sicher nicht schuld. Wohl eher die 2 Daiquiris, die wir kurz vorher mit Hemingway im Floridita getrunken haben. Das ist die Bar, in der Ernest sich von seinen Hochseeangeltouren erholte und zur Abwechslung keine übertrieben großen Fische sondern köstliche Cocktails wie den Daiquiri erfand. Dies wird ihm mit einer lebensgroßen Bronzestatue an der Bar gedankt. Die Drinks hier gelten als die besten ihrer Art in Havanna und sind ihre 6 CUC (4,20 €) pro Glas definitiv wert. Für das Geld gibt’s außerdem ein Schälchen frittierte und gesalzene Bananenchips und eine Live Band, die kubanische Klassiker schmettert.
Ein definitiv lateinamerikanisches, Pärchen fühlt sich spontan zum Tanz aufgefordert. Unsere Blicke kleben an den fließenden Bewegungen.
„Und wie sieht unser Sonntagnachmittag klassischer Weise in Köln aus?" fragt Anne. Ein Kaffee im Bauturm unter Wollpulli-Hipstern kann wirklich nicht mit dieser Lebensfreude mithalten.

Wir freuen uns schrecklich, als wir schließlich das Restaurant finden und sind dann gleich wieder unglaublich enttäuscht, da die Rollläden herunter gelassen sind. „Es ist zu“, denken wir und schon gleich versucht uns die Kellnerin vom gegenüber liegenden China-Schuppen herüber zu locken.
Wir deuten auf den Konkurrenten hin, sie erbarmt sich und ruft den Türsteher von Tien Tan Tuk, den wir gar nicht bemerkt hatten. Der zeigt uns, dass wir einfach nur die Treppe hoch gehen müssen. Zum ersten Mal dürfen wir das Geheimnis lüften.

Wir kommen in einen großen viel zu kühl klimatisierten Saal. Das Ambiente ist gehoben, der Service gut und das kubanisch Bier, mit dem Namen Cristal, schmeckt. Jetzt müssten wir nur noch die Speisekarte lesen können. Dass Pollo Huhn heißt und  Pescado Fisch, hab ich aus unseren Familien-Spanienurlauben mitgenommen, aber wir wollen doch die Platte mit Hummer, Krebs und Garnelen, die Brian uns empfohlen hat, bestellen. Unsere Sprachführer geben uns auch keinen Rat. Zum Glück spricht die Kellnerin ein paar Brocken Englisch und so steht kurze Zeit später ein köstlicher Meeresteller vor uns. Krebs war wohl nicht im Fang dabei, dafür aber ein Fisch, Kartoffelbrei und frittierte Sticks aus Kochbanane. Hummer und Garnelen finden wir auch, obwohl wir zuerst Erkennungsschwierigkeiten haben, schließlich haben wir mit einer zu knackenden Schale gerechnet.

Brian und der Lonely Planet hatten recht. Der Hummer hier ist der Wahnsinn! Zwar haben wir keine Vergleichsmöglichkeiten, da es für uns beide der erste Hummer im Leben ist, aber der schmeckt einfach fantastisch. So salzig und gleichzeitig süß, ganz zart aber trotzdem auch hart.
Mmmhhh wir gehen jetzt jeden Tag Hummer essen! Schließlich kostet so eine Platte hier nur 10 CUC (7€). Auf dem Rückweg laufen wir auf dem totalen Hummer-Flash fast 15 Minuten in die falsche Richtung und sind erst um 19 Uhr zurück bei Raffa und Pepe.
Aus dem „mal kurz hinlegen“ ist ein unaufhaltsamer Dämmerschlaf geworden. Der Stromausfall reißt uns kurz aus unserer Trance. Pepe steht auf dem Nachbarbalkon und leuchtet jedem Vorbeigehenden ins Gesicht. Eine Frau auf der Straße stimmt eine Oper an. Ich singe jetzt auch: Sandmann, lieber Sandmann...

10.09.2012, Montag – Havanna

Ich glaub, ich träume - Kubaner mit weißen Lockenperücken im Stechschritt wie im 17. Jahrhundert.

Der Knall kommt so unerwartet und ist so laut, dass ich danach alles wie in weiter Ferne wahrnehme und für einen kurzen Moment denke, ich habe mein Gehör verloren. Das einzige Geräusch in meinem Kopf ist ein lautes schrilles Piepen, das zum Glück langsam abklingt.

So müssen sich also damals die Kanoniere gefühlt haben, wenn sie feindliche Boote beschossen haben.
Wir sind auf der Festung von Havanna und schauen uns die allabendliche Kanonenshow an. Die Bastion ist riesig und hat dicke Mauern, Türme und alles andere, was eine Stadt absichert.
Die Show ist unfreiwillig komisch! Zwölf Kubaner sind in weiße Pumphosen und rote Fracks gekleidet. Ihr braunes Schokogesicht ist von einer weißen Korkenzieherlockenperücke eingerahmt. Auf dieser trohnt ein schiefer schwarzer Dreiecks-Hut mit Krempe.
Die Möchtegern-Nobelmänner führen nun also die Kanonenzeremonie durch und laufen im Stechschritt. Allerdings fehlen ihnen dazu die nötige Körperspannung und der Elan, sodass ihre Arme unkoordiniert und vor allem asynchron in der Luft herum schwingen.
Es ist, als würden 12 betrunkene Jack Sparrows versuchen die Briten zu imitieren. Bei diesem Anblick frage ich mich, woher Che, Fidel und Co den Kampfgeist für die Revolution hernahmen. Ach ja, Che ist ja gar kein Kubaner - vielleicht sieht eine Kanonenshow in Bolivien etwas authentischer aus.

Nach der Show marschieren die Jacks zurück in die Festung. Ihr Weg wird von einer Salsa Band begleitet und schnell wird aus dem gespielten Stechschritt ein lockerer Gang.
Eine kubanische Schulklasse hat sich das Spektakel ebenfalls angeschaut. Als die Band anfängt zu spielen, sind einige Mädels direkt Feuer und Flamme und fangen ausgelassen an zu tanzen. Das ist so ein toller Anblick. In Deutschland brauchen die meisten erst zwei, drei Cuba Libre, um ihr Tanzbein zu befreien. Es ist wunderbar, wie spontan die Kubaner ihren Stimmungsschalter auf Party umlegen können.

Beim heutigen Abendessen im China-Restaurant „Flor de Loto“ wurde sogar gleich zwei Mal gefeiert. Dabei verdunkelte sich das Licht, der Kellner kam mit einem Riesennachtisch mit Wunderkerzen rein und das ganze Restaurant sang "Cumpleanos para ti", das im Hintergrund in einer flotten Salsaversion abgespielt wurde. Alle klatschten enthusiastisch mit. Ein Kellner ließ die Hände sogar direkt über dem Kopf des kleinen Jungen, der bei der ersten Spontanparty Geburtstag hatte, zusammenfallen. Wohlfühlabstand gibt es in Kuba nicht.

Warum sind wir Deutschen so kühl und reserviert? Warum können wir nicht mehr aus uns heraus gehen und unsere Freude für andere stärker ausdrücken?
Neben den zwei Geburtstagsparties gab es im „Flor de Loto“ einen grandiosen Hummer und einen unschlagbaren Mohito zu feiern. Anne und ich sind definitiv auf den Geschmack gekommen.

Standesgemäß haben wir nur für den Hummer roten Lippenstift aufgelegt und uns so richtig herausgeputzt. Dabei wären wir gar nicht hier gelandet, wäre es nach unserer Taxifahrerin gegangen. Die wollte uns davon überzeugen, dass es hier nur tiefgekühlte Kost gibt, da es ein von der Regierung geführtes Restaurant ist.
Sie meinte in diesen schmeckt es nicht und wollte uns lieber zu einem nicht staatlichen Paladar schicken, von dem sie wahrscheinlich Provision bekommt. Die Paladares werden wir sicher noch ausprobieren, wenn uns der Sinn nicht mehr nach roten Lippen und Hummer steht.

Nach dem Essen sind wir an den Malecon spaziert. Das ist eine große mehrspurige Straße, die am Wasser entlang führt. Wir setzen uns auf die Mauer und schauen Kubanern zu, die an der felsigen Wand herab ins Wasser springen oder angeln.
Wir haben uns den Malecon ehrlich gesagt etwas lebendiger vorgestellt. Vielleicht hatten wir eher das Bild einer belebten Promenade im Kopf. Aber  in Havanna gibt es diese Art von Massentourismus nicht.

Wären wir nicht an den Malecon gegangen, hätten wir uns vielleicht mit dem Schweizer Tobi getroffen. Den haben wir am Nachmittag beim super kitschigen und ramschigen Antikmarkt kennen gelernt. Dort kamen wir bei einer Kokosnuss ins Gespräch. Er fragte mich, ob ich ihn vor einer Wand mit Bildern fotografieren kann. Auf diesen waren in schwarz weiß und rot ziemlich erotische Szenen dargestellt und wir hatten sie schnell in die Kategorie „billiges Puffwand Accessoire“ eingeordnet.
Tobias ist ein Mensch, der gerne von sich erzählt und immer das Gesprächsthema bestimmt. Jemand, der kaum fragt und wenig zuhört. So war unsere Unterhaltung etwas anstrengend und ich hatte definitiv mehr Freude an meinem Popcorn und der Kokosnuss.
Als er einen gemeinsamen Drink am Abend vorschlug, waren wir ganz froh, kein Handy bzw. keinen Empfang und kein W-LAN zu haben. „Sorry, wie sollen wir uns da bloß treffen…?“ war unsere Antwort.

Wie der Zufall so will, laufen wir Tobias zufällig abends bei der Kanonenshow in die Arme. Dass er uns mit einem vorwurfsvollen "Ich dachte, ihr wollt an den Malecon" begrüßt, lässt sein Sympathiekonto weiter herab sinken. „Adios und safe travel“ wünschen wir ihm.

Neben dem Antikmarkt und der Kanonenshow haben wir uns heute noch das Rum Museum angeschaut. In Deutschland konnte ich nie den Rummel um die Wahl zwischen Havanna Club und Bacardi verstehen.
Hier die Erklärung: beide Marken kommen ursprünglich aus Kuba. Allerdings wurde Bacardi irgendwann an ein anderes südamerikanisches Land verkauft und nun nicht mehr in Kuba produziert. Deshalb darf man für die klassischen kubanischen Drinks Cuba Libre, Daiquiri und Mohito nur Havanna Club und eben nicht Bacardi verwenden.

Witzigerweise reift der Havanna Rum in Fässern, die in den USA hergestellt werden. Diese dürfen importiert werden, nachdem sie in Schottland oder Irland zur Whiskeyproduktion verwendet wurden. Dort im Einsatz, verschließt der Whiskey die Poren im Holz. So ist sichergestellt, dass der Rum im warmen Kuba nicht einfach aus den Fässern verdampft.
Am Ende der Führung durften wir einen 7-Jährigen Tropfen probieren. Pur, ohne Minze, Limette und Eis schmeckt der mir definitiv zu alkoholisch. Alle Sorten, die älter als 7 Jahre sind, darf man übrigens nicht mehr für gemixte Drinks verwenden. Das wäre Alkoholbanauserei!

Wie gut der Rum reift, wird in Kuba von 6 Rum-Mastern kontrolliert. Die werden wiederrum von persönlichen Doktoren rundum auf ihre Leberwerte hin überwacht. Das Internet wird wiederrum teilweise von der kubanischen Regierung kontrolliert und der Aufbau einer einzigen Website dauert mindestens eine Minute.
Mein Facebook Account lässt sich am PC im staatlichen Internet-Café nicht mal öffnen. W-LAN gibt es nur in den richtig großen Hotels und so bin ich total Social Media-los und - tädä -vermisse es kein bisschen. Beim Reisen zu zweit ist der reale soziale Kontakt doch eh viel schöner.

11.09.2012, Dienstag – Valle de Vinales

Steige niemals, NIEMALS auf einen kubanischen Pferdekarren!

Wir sitzen im Transtour Bus und kurven durch Havanna, um alle Reisenden einzusammeln, die Richtung Pinar del Rio und  Valle de Vinales wollen. Rund um das Capitolio fahren die Oldtimer vor den bunten Kolonialhäusern und ich denke erneut, dass wir mit dem Flug nach Kuba eine kleine Zeitreise gemacht haben. Oldtimer und Barrockbauten passen zwar nicht in eine Epoche aber in diesem Moment kann ausgeschlossen das 21. Jahrhundert sein. Diese Stadt glänzt und strahlt Prunk aus. Nur leider schimmert durch den Prunk immer die Trauer des Vergangenen. Die Karosserie des Oldtimers rostet und die hellblaue Fassadenfarbe blättert ab. Teilweise existieren von den Häusern nur noch die Fassaden. Dahinter gibt es keine Wände und keine Böden mehr.
Stattdessen ranken sich Pflanzen um die stolzen Mauern, die stehen geblieben sind. Wie schön wäre Kuba, wenn man alles restaurieren würde? Aber hätte es dann noch diesen Charme?

Im Bus lese ich mir den spanischen Sprachführer durch. Ich stelle fest, dass ich schon einige spanische Sätze zusammen bekomme, auch wenn die zumeist aus aneinander gereihten Wörtern mit unkonjugierten Verben bestehen. Bis zu den Zeitformen bin ich noch nicht gekommen. Von der Zukunft oder Vergangenheit kann ich nichts auf Spanisch berichten. Das macht aber auch nichts, besinne ich mich: „Spreche im hier und jetzt“. Buddha.

Die Route nach Vinales führt uns an grünen Feldern und bestellten Äckern vorbei. Vereinzelt stehen kleine Häuser im Grün. Sie sind mit Reet oder Wellblech gedeckt. Vor ihnen ist ein Ochse angeleint. Fleißige Bauern sieht man selten.

Die Straße zwischen Pinar del Rio und Valle de Vinales ist reichlich kurvig. Auch die Vegetation ändert sich. Gräser und Farne wachsen auf dem Boden. Die Bäume tragen Nadeln oder dicke fleischig glänzende Blätter.
In Vinales angekommen wartet an der Bushaltestelle am großen Platz ein kleiner Mann, der ein weißes Blatt Papier in die Luft hält. Auf diesem steht in großen pinken Buchstaben „JANNE“ und darunter „Esther y Josefina“. Die letzten beiden Namen stehen für die Besitzer der Casa, in der wir dieses Mal wohnen.
Mit Janne bin wohl ich gemeint.
Der Mann heißt Miguel und wirft uns ein charmantes dreizahniges Lächeln zu. Seine grauen Haare und sein melierter 5 Tage Bart lassen ihn mich auf mindestens 70 Jahre schätzen. Er führt uns durch zwei Straßen in unsere Casa. Dort werden wir von seiner Frau Josefina in Empfang genommen. Als erstes fallen mir ihre Zähne auf, die wie große Blöcke aus dem Unterkiefer heraus stehen. Wie sich die zwei wohl küssen?
Direkt beim Eintreten erklärt sie uns, dass der Baulärm nur am Tag ertönt und es nachts „tranquillo“ ist. Leider wird der im Reiseführer angepriesene Swimming Pool auch zufällig gerade umgebaut.

Da klingelt das Telefon. Wir schauen ungläubig, als Josefina meint, es sein für uns. Am Hörer ist Raffaella aus Havanna. Wir hatten Sie gebeten, uns die Casa in Vinales zu reservieren und sie hatte die Telefonnummer gespeichert.
Sie redet hektisch und ich verstehe kein Wort. Ich gebe das Telefon zurück an unsere neue Gastmutter mit den Blockzähnen. Ihre Tochter, die etwas Englisch spricht, dolmetscht und fragt uns, ob einer von uns ein grünes Oberteil in Havanna vergessen hat. Wir überlegen lange bis Anne einfällt, dass sie ihre Regenjacke im Schrank auf dem Bügel hängen gelassen hat. Jetzt müssen wir auf dem Rückweg nochmal zu Raffa und Pepe.

Wir gehen ins Dorf, das im Wesentlichen aus einer langen Straße in der Dorfmitte besteht. Die Sonne brennt und als ich mein Brillenetui öffne, ist es leer. Was für ein vergesslicher Start in den Tag.

Eine neue Sonnenbrille in Vinales zu finden, stellt sich als nahezu unmöglich heraus.  In den Geschäften gibt es die unglaublichsten Dinge wie 30 verschiedene Sorten Lampenschirme aber keine Sunglasses. Jeder Ladenbesitzer schickt uns zu einem anderen, bei dem wir meistens schon waren und ebenfalls weiter geschickt wurden. Auf einem niedrigen Open Air Verkaufstisch sehe ich eine rosa Kindersonnenbrille. Die Gläser sind einfach nur grau und der 1 CUC, den der Verkäufer verlangt ist immer noch zu viel. Ich frage nach einem anderen Modell und er bringt mir eine weiße Fliegersonnenbrille für Männer. Die ist irgendwie schon ganz angetatscht.
Anne fängt an zu lachen und sagt: „Du die hat der von nem Kumpel!“ Ich bin noch damit beschäftigt, ihm zu antworten und sage: „Die passt nicht, die ist für Männer.“ Dann realisiere ich Annes Worte und schaue ihm zu, wie er die weiße Brille tatsächlich einem Freund zurück gibt und stattdessen die etwas zierlichere Pilotenbrille von einem anderen Amigo nimmt und mir reicht.
„Die verscherbeln mir hier ihre eigenen Brillen“, wird es mir bewusst. Die zweite Fliegerbrille sitzt total gut und ist auch nicht allzu hässlich. Allerdings sind die 15 CUC (12 €), die er dafür haben will, unglaublich viel. Schließlich liegt das durchschnittliche Monatsgehalt bei 25 CUC.
Doch hier kommt es nicht auf den Preis sondern auf den Wert an und ich entschließe mich mürrisch dazu, das Vermögen für die Second Hand Brille auszugeben.
Die Jungs lachen sich natürlich kaputt. Sie haben das Geschäft ihres Lebens gemacht.

Neu ausgestattet machen wir uns auf den Weg über die Adele Aluz, (Name einer Straße und Freiheitskämpferin) Richtung Hotel Ermita.
Nach zwei Tagen dreckiger Großstadt wollen wir nun einfach am Pool relaxen. Doch das müssen wir uns erst Mal verdienen.
Der Weg ist 1,5 km lang, es geht nur bergauf und die Sonne brennt vom Himmel. Wir kommen an einer Unterkunft mit dem Namen „Fernan2“ vorbei. Ich lese meinen ersten spanischen Wortwitz und find ihn deshalb ziemlich gut.

Das Hotel wird im Ort als ausgezeichnet angepriesen. In Deutschland würde es wahrscheinlich zwischen 2 und 3 Sternen liegen. Der Pool ist ok. Wir sind allerdings vom Laufen so k.o., wir würden in jede Pfütze springen.
Das Wasser ist herrlich und es tut gut, ein paar Bahnen zu schwimmen. Wir haben 7 CUC (5 €) Eintritt gezahlt, von denen wir 6 an der Bar verzehren können.
Das sind 2 Mohito und 1 Sandwich für jeden.
Plötzlich ist es vorbei mit der friedlichen Atmosphäre. Die Bühne betritt eine Gruppe von  ca. 7 Personen. Angeführt wird sie von einem dicken Weißen, dessen Glatze grau schimmert. Er trägt eine riesige Musikbox, aus der laute Salsa Klänge dröhnen. Der Barkeeper ist gezwungen die Musik der Bar leise zu drehen.
Mit dem Störenfried treten ein paar dunkle Kubaner mit Dreads auf, die definitiv 20 Jahre jünger sind als er.
Der eine ist scheinbar der Freund der Tochter des Weißen, sie knutschen und kuscheln permanent.
Der ca. 19-jährige Sohn hat ebenfalls seine ziemlich übergewichtige Freundin dabei, die alles, was sie hat, in einem roten Bikini präsentiert.
Der dicke Weiße fängt wie ein Animateur am Beckenrand an zu tanzen. Offensichtlich fehlt ihm das Salsa-Gen. Das ist ihm natürlich nicht bewusst und er verhält sich, als gehöre ihm die Welt. Anne und ich sind zwischen Fremdschämen und Lachkrampf hin und hergerissen.

Da erlangt ein wesentlich zierlicheres Wesen unsere Aufmerksamkeit. In einem Busch schwirrt ein winzig kleiner grüner Kolibri. Kuba und vor allem Valle de Vinales ist für den Minikolibri bekannt. Jetzt fällt uns auf, dass auch der Himmel voll von kleinen flinken türkisen Fliegern ist. Wie niedlich!

Animalisch wird auch unserer Rückweg. Da ein paar Wolken aufgezogen sind und es nicht mehr so heiß ist, beschließen wir sportlich auch den Berg runter zu laufen.
Nach ein paar hundert Metern werden wir von einem Pferdekarren überholt, von dem uns einer der Hotelangestellten in seiner Uniform zuwinkt. Wir lachen ihn an und kurz drauf hält die Kutsche. Ob wir mitfahren wollen? Na klar, aber wie passen wir zu viert auf den winzigen Karren? Es wird eng aber es geht.
Schon nach einer Minute erreichen wir das Haus des Hotelmitarbeiters und er springt ab. Jetzt sitzen wir zwei mit dem faltigen, kleinen Juan auf seinem Ungetüm und uns fällt auf, wie klein und klapprig das Pferd ist. Auf der Teerstraße geht es steil bergab und im Trab rutscht dem Pferd ab und zu ein Huf weg. Anne und ich kriegen Angst und fangen in dieser aussichtslosen Situation an, panisch an zu lachen. Unser letzter Moment ist gekommen. Ich sehe das Pferd schon am Boden und uns im hohen Bogen auf die Teerstraße fliegen. Rechts und links ziehen die Büsche verschwommen an uns vorbei.
Juan versteht unsere Aufruhr nicht und stimmt freudig in unser Gelächter ein. Sein Lachen klingt jetzt irgendwie wahnsinnig. Hilfe! Das kann nur de Teufel in Person sein.
Wir lassen Fernan2 links liegen und es geht weiter bergab. Die Bergbewohner, die uns auf der Straße entgegen kommen, rufen Diabolo etwas hinterher. Wir verstehen nix. Er lacht noch lauter. Wir sagen „tranquillo, lento und no rapido“ aber Juan und sein Pferdchen galoppieren unaufhaltsam weiter. Ich halte mich verkrampft an der Eisenreling fest und schließe die Augen.

Wer hätte es gedacht? Wir kommen heile im  Dorf an und bedanken uns schließlich für die Achterbahnfahrt, machen ein Foto von Juan und seiner Höllenmaschine mit den klapprigen Stelzen und geben ihm 3 CUC (2,10 €), dafür, dass wir noch am Leben sind.
Das war fast so schlimm wie Bungee springen und unser Adrenalinspiegel ist auch mindestens genauso hoch. Kinder, steigt nie zu wahnsinnigen Kubanern auf den Pferdekarren!

Beim Dinner, das wir in unserer Casa einnehmen, haben wir allen Grund dazu, die Köchin als wahnsinnig zu erklären. Für mich serviert sie einen ganzen Hummer, der auf der einen Seite noch seine Schale trägt, auf der anderen ist er aufgeknackt und in der Pfanne gebraten. Für Anne gibt es ein ganzes Hähnchen mit Soße und Kartoffeln.
Als ob das nicht genug wäre, deckt sich der Tisch außerdem mit einer Schüssel Reis und einer Schüssel Bohnen/Wurst/Soße-Gemisch, einer Platte mit Tomatenscheiben und Avocadostückchen, einem Kohlsalat mit Bohnen, Bananenchips und gebratener Banane. Die Krönung des Schlaraffenlands ist ein Stück Karamell-Flan für jeden.
Wer soll das alles essen? Davon würden Annes und meine komplette Familie satt werden. Fällt Weihnachten in Kuba irgendwie auf einen anderen Tag? Ist das hier versteckte Kamera mit Jumbo von RTL 2 und wir sitzen in einem kubanischen XXL-Restaurant? Oder ist das etwa normal?
Wir bedanken uns bereits im Voraus überschwänglich und machen uns über das Festmahl her. Der Hummer ist unglaublich und der Flan hat Käsekuchenkonsistenz.
Als wir fertig sind, sieht es aus, als hätten wir nichts gegessen und dabei platzen wir aus allen Nähten. Wir versichern uns bei der Tochter, dass die Familie auch noch etwas von dem Mahl isst. Alles andere wäre eine Sünde.
Das Ganze hat uns übrigens 10 CUC, also 7 Euro pro Person gekostet!
Für das Frühstück bestellen wir nur Obstsalat und Kaffee.

Jetzt wollen wir mal sehen, was die Drinks in Vinales können. Im Centro Cultural, in dem jeden Abend eine Salsa Show läuft, ist noch nichts los. Daher setzen wir uns in eine der Bars am Marktplatz. Neben uns parkt ein roter Ferrari. Ein Ferrari in Kuba? Moment, auf den zweiten Blick erkennen wir, dass die Ferrarizeichen auf dem schnittigen Wagen nur aufgeklebt sind.
Ich wette, der Besitzer ist trotzdem so stolz auf sein Auto, wie es ein echter Ferraribesitzer nur sein kann.

Den Rum nehme ich heute mal in Form von Havanna Club Special ein. Bei diesem Drink wird er mit Limonen-, Ananassaft und Eis gemischt. Maraschinolikör kommt eigentlich auch noch rein. Der ist heute aber aus. Den Satz 'no hay'- 'gibt es nicht' hören wir in Kuba sehr oft. In den meisten Läden ist Mangelwirtschaft statt Überfluss angesagt. Die Auslagen in den Geschäften sind oft spärlich. Für westliche Augen sieht es nach den letzten Zügen eines Ausverkaufs aus.
Anne, die in Chemnitz geboren ist, sagt, dass sie die Läden in Kuba an die ehemalige DDR erinnern. Der Drink schmeckt jedenfalls auch ohne Maraschino.

Wir beobachten die Fußgänger und andere Bargäste. Auf ein Mal steht der junge Kubaner Miguel an unserem Tisch. Er grinst über beide Backen und fragt uns den Standard Small Talk Satz: 'First time in Kuba?' und setzt sich prompt an unserem Tisch. Das war schneller als ein Mal „viva la revolucion“ zu sagen.
Unser neuer Freund ist 28 Jahre alt, hat ordentlich kurz geschnittene Haare, ein Silberkettchen und ein schwarzes T Shirt mit weißem Print. Auch wenn er nicht so aussieht, vor uns sitzt ein Cowboy.
So bezeichnet er sich zumindest selbst. Das bedeutet, dass er als Guide für Reit -Touren im Tal arbeitet. Ich frage ihn nach einer Klettertour, da wir die Reittour bereits in unserer Casa für morgen gebucht haben und die Freundin von Havanna-Brian anzurufen, zu umständlich scheint.
Daraufhin antwortet er in spanischem Akzent: “Climbing? No, no es good for heart of a Cowboy. Cowboy is afraid of hight. The heart of a Cowboy is all for horses.” Dabei grinst er wie der geborene Schelm.
Seine Rosse hören auf die Namen Shakira, Enrique Iglesias, Rici Martin und Eros Ramazotti, auch wenn der letzte als Italiener etwas aus der Reihe fällt. Miguel hat noch mehr zu bieten.
Ein anderes Thema als sein Cowboy-Leben und seine Pferde hat Miguel allerdings nicht.

Statt beim Anstoßen „Salud“ zu sagen, bringt er uns einen kubanischen Trinkspruch bei. Zuerst werden alle Gläser nach oben zusammen geführt, dann nach unten, in die Mitte und dann wird getrunken. Dazu rufen wir: „Ariba, abacho, al Centro y al dentro“ - auf die Zähne sozusagen.
Da fällt mir glatt die alte Ariel Spülmittelwerbung aus den 90ern ein: In Villa Abacho schrubben sie noch die Pfanne, während in Villa Ariba (wo sie mit Ariel säubern) schon wieder gefeiert wird... die Konsumgesellschaft lässt grüßen.

Aus dem Augenwinkel erkennen wir Sean, der mit ein paar Jungs unterwegs ist und rufen sie zu uns. Sean haben wir heute im Reisebüro kennen gelernt, als wir uns über Ausflüge informiert haben.
Er und der Belgier Hajo, der in England lebende Pole mit unbekanntem Namen und der deutsche Jens setzen sich an unseren Tisch.
Sean kommt aus Calgary in Kanada. Er ist professioneller Oboenspieler in einem von sechs Ensembles in Canada. Außerdem arbeitet er als Elektriker und lässt sich im höchsten Norden einsetzen, wo er unter extremen Bedingungen in einem Monat 15.000 $ verdient. So möchte er sich noch mehr Reisen ermöglichen.
Wenn er in seinem Haus mitten im Wald Oboe übt, kommt oft eine Herde Elche aus dem Dickicht, die von den Klängen angezogen werden. Ich bekomme bei der Vorstellung eine Gänsehaut, so schön ist das.
Ihn nerven die Viecher und er möchte einen Jagdschein machen. Wenn man einen Elch oder ein Caraboo schießt, hat man ca. für 2 Jahre Fleisch.

Jens aus Frankfurt wird von uns nur „Bärg“ genannt. Er ist bestimmt 2 m groß, wiegt min. 150 kg, hat eine Glatze und lispelt. Er zeigt uns Bilder von "total süsfffsen Schweinen" die er gemacht hat. Jens ist ein riesen Berg und ein gemütlicher Bär. Wir sind uns ziemlich sicher, dass er sich abends gerne an einen anderen (männlichen) Bärg kuschelt. Hajo und der Pole sind sehr ruhig. Von ihnen erfahren wir wenig. Nach 3 Drinks, die übrigens nicht so riesig sind, wie die deutschen Humpen sondern eher an schmale Kölschstangen erinnern, gehen wir nach Hause und fallen in unser plüschiges Bett.

12.09.2012, Mittwoch – Valle de Vinales

Respekt an alle Esprit-tragenden Miriams, Katharinas und Franziskas dieser Welt – Reiten ist unglaublich anstrengend!
Auf dem Rücken Von Chocolaté und Pallomo reiten wir durch das saftig grüne Tal von Vinales. Vorbei an Feldern, die Bauern mit Ochsenkarren pflügen, entlang der knollig runden Mogotes, die wie ins Tal geworfen wirken. Diese runden, saftig grün bewachsenen Bergchen sehen aus wie die große Version vom Hobbitland.
Schmale braune Pfade führen durch die Landschaft, in der vereinzelt Holzhütten mit langen spitzen Palmendächern stehen, in denen die Tabakblatter zum Trocknen. hängen. Davor sitzt ein Bauer im Schaukelstuhl. Er trägt einen Cowboyhut, schaut dir lange in die zugekniffenen Augen und muss seine Zigarre nicht ein Mal aus dem Mund nehmen, um ein „buenos dias“ zu rufen.

Chocolaté trägt heute Anne durchs Tal. Er möchte stets der erste in der Pferdereihe sein und rennt ständig vor. Das namenhafte Schleckermaul denkt, es sei die Raupe Nimmersatt und hält alle 2 Minuten am Wegesrand an, um hier mal vom Bambus und dort mal vom Farn abzubeißen. Es läuft sogar mit offenem Maul, um die im Weg hängenden Gräser einzufangen. Anne weiß nicht, ob sie Fluchen oder Lachen soll.

Mein Hengst Pallomo ist eher von der gemütlichen Sorte und stammt definitiv von keinem Rennpferd ab. Ich muss ihn schon ziemlich anfeuern, nach vorne zu traben und dann lässt er sich doch immer wieder von den anderen Caballos zurück drängen. Mensch Pallomo, so gewinnen wir nie den ersten Rang, schließlich haben doch so viele auf uns gewettet.

Eigentlich sind Choco und Pallomo Freunde, aber als Pallomo etwas nah an Choco herangeschnaubt, tritt Choco ihn kurzerhand mit dem Hinterhuf ins Gesicht. Zum Glück tragen die beiden das ohne uns Reiter aus und werfen uns nicht ab.
Über den Büschen und Blumen am Wegrand flattern ganze Schwärme von Schmetterlingen. Weiße und zitronengelbe Falter sehe ich am häufigsten und freue mich total, da sie in Deutschland immer seltener vorkommen. Der Weg ist teilweise ganz schön schlammig und als wir durch einen kleinen Fluss reiten, werden meine Schuhe vom hochspritzenden orangenen Wasser gefärbt.

Zuerst sind wir in einer Gruppe mit 3 Münchenern unterwegs, deren Urlaub in Kuba schon fast vorbei ist. Sie haben die vier Stunden Reit-Tour gebucht, wir nur drei Stunden. Unser Weg trennt sich daher und wir reiten zu einer kleinen Tabakplantage.

Auf einem winzigen Hügel liegt ein mintgrün gestrichenes Haus, dessen vier Wände aus waagerechten Holzstreben bestehen, die wiederrum von einem Palmendach gedeckt sind.
Rund herum liegt eine kleine steinerne Veranda im Schatten des Dachvorsprungs. Das Haus hat in allen vier Himmelsrichtungen eine Tür und ist luftdurchflutet. Innen stehen in einem langen Flur 6 Stühle.
Rechts liegt das Schlafzimmer, in dem ein breites Bett mit einer ordentlich ausgebreiteten rosa Steppdecke steht. Links warten in der kleinen Küche schon Kokosnüsse, Limetten und Ananas auf uns.
In diesem kleinen Schloss wohnt der zierliche Salvador. Den dunkelbraunen Cowboyhut mit dem roten Band hat er sich tief ins Gesicht gezogen. Das besch karierte Hemd sitzt 1A in der schwarzen Jeans. Seine Haut ist fast so ledrig und zerfurcht wie die  getrockneten Tabakblätter, aus denen er Zigarren rollt. Doch bevor wir an einer Zigarre ziehen dürfen, müssen wir uns Mut antrinken.

Die Spezialität des Hauses nennt sich Coco Loco, was so viel wie verrückte Kokosnuss bedeutet. Eine junge Kokosnuss wird geköpft und das erfrischende Kokoswasser wird mit Rum. Limettensaft, Ananassaft und Honig vermischt. Eis gibt es hier auf der Farm nicht.
Mit dem Drink in der Hand setzen wir uns auf kleine Holzstühle und Salvador erklärt uns, wie Zigarren gerollt werden. Er zeigt uns die trockenen Tabakblätter. Der Stängel in der Mitte ist pures Nikotin. Er rollt uns eine ca. 10 cm lange, schmale Zigarre. Das Mundstück wird in Honig getaucht und dann dürfen wir paffen.
Ich bin überrascht, wie gut es schmeckt. Salvador setzt mir seinen Hut auf und ich fühle mich wie ein Loco Cowgirl.

Wieder auf dem Pferd reiten wir zum Mural de Prehistoria, einer Felswand, an der eine bunte, ca. 50 m hohe Wandmalerei die Evolutioinsgeschichte darstellt.
Bei der Entstehung haben die anliegenden Bauern den Malern mit Megafonen zugerufen, wie und wo sie malen sollen, so groß sind die Dimensionen.
Die Tour neigt sich dem Ende zu. Über eine geteerte Straße traben wir zwischen saftigen Hügeln zurück ins Dorf. Mittlerweile verstehe ich was „sich im Rhythmus des Pferdes bewegen bedeutet“ und freue mich, in der Bewegung mit Pallomo eins zu werden.

Als wir nach drei Stunden endgültig vom Pferd steigen, sind unsere Beine zu einem O geformt. Wir können gar nicht mehr richtig laufen und watscheln zur Casa zurück. Als wir uns das erste Mal auf einen normalen Stuhl setzen, fangen wir beide an zu jammern. Das sind entsetzliche Poschmerzen!
Hiermit möchte ich meinen Respekt an alle Esprit-tragenden Miriams, Kathrins und Franziskas der Welt aussprechen. Reiten ist echt wahnsinnig anstrengend und wir sind tierisch k.o.
Deshalb müssen wir uns schnell entspannen und lassen uns von einem motorisierten Taxi den Berg hoch zum Hotel Ermita bringen. Der Eintritt kostet heute nur 2 CUC (1,40 €). Irgendwas ist bei der Pool-Reinigung schief gelaufen, die Chemikalienkombi stimmte nicht so ganz und jetzt ist das Wasser grün.
Schwimmen könne man laut Poolboy aber trotzdem ganz ohne Probleme. Uns reicht das Liegen schon aus.
Der Bärg Jens taucht irgendwann mit seinem neuen Kumpel Phillip auf, den er uns als Sebastian vorstellt. Es dauert nicht lang bis Bärg sich mit einem der streunenden Hunde im Hotel angefreundet hat. Der ist total „süfffss“ und will ihm nicht mehr von der Ferse weichen. Bärg gibt schließlich auf und mit einem 'Vamos' verabschiedet sich das Trio wieder.

Nach 3 Mal Hummer an den vergangenen Abenden, essen wir heute vegetarisch, was unsere Casa Mama Josephina sichtlich enttäuscht. Selbst das abgespeckte Mahl können wir nicht aufessen.
Am Nebentisch sitzt ein Schweizer Pärchen, das heute in Vinales angekommen ist. Sie sind schon ein paar Tage in Kuba, oderrrr?! und haben durch Gespräche mit Einheimischen schon einiges über das kubanische Leben erfahren, oderrr?!.

Das durchschnittliche Monatsgehalt eines Kubaners beträgt 25 (19 €) CUC. Das ist auch etwa de Preis, den Anne und ich zusammen für eine Übernachtung zahlen. Die Besitzer einer Casa müssen, wenn sie mehr als 1 Zimmer vermieten, 200 CUC pro Monat an den Staat bezahlen, egal, ob ihr Zimmer vermietet wurde oder nicht. Ein gebrauchtes Auto kostet zwischen 10.000 und 15.000 CUC. Neuwagen gibt es kaum, da beim Import zwischen 75 und 100% Steuern gezahlt werden müssen. Das können sich nur die ganz reichen Exilkubaner leisten. Ein Schmuggel ist bei der guten Kontrollierbarkeit einer Insel zu aufwendig.
Durch solche Regeln steuern Raul und Fidel den Konsum im eigenen Land.

Medial nutzbare Geräte wie Handys, Fernseher oder Laptops gibt es kaum. Ich sehe auch wenige Zeitungen und aus den Radios kommt hauptsächlich Musik.
Nicht Mal die Uni in Havanna hat Internetzugang! Stellt euch das mal vor. Eine weibliche Bloggerin schreibt über diese Verhältnisse, die die meisten jungen Kubaner nicht mehr lange erdulden wollen. In Kuba selbst kann sie nicht veröffentlichen. Sie schickt ihre Texte an Freunde in Deutschland, die sie für sie online stellen.
Für die Kubaner ist es außerdem unverständlich, dass wir Wasser in Flaschen kaufen. Sie kochen Leitungswasser ab und stellen das im Kühlschrank kalt.

Die beiden Castro-Brüder sind schon ziemlich alt und gesundheitlich nicht mehr voll auf der Höhe. Aber sie haben gute Gene. Es kann noch ein paar Jahre dauern, bis sich Kuba öffnet.

Nach dem Essen machen wir es uns im Zimmer gemütlich, schreiben Tagebuch und lesen. Morgen geht es schließlich schon um 7 Uhr mit dem Bus nach Maria la Gorda zum Tauchen. Ich bin gespannt, ob ich Anne vom einem Schnuppertauchgang überzeugen kann.


13.09.2012, Donnerstag – Maria la Gorda
Wie bitte? Ich muss meine Tauchkenntnisse auffrischen?

Es ist dunkel und riecht nach verbranntem Holz. Der Geruch erinnert an Weihnachten.
Straßenbeleuchtung gibt es in Vinales nicht. Dennoch ist auf der Hauptstraße schon reger Betrieb. Ein Kiosk verkauft Sandwiches und ich laufe fast gegen einen Karren mit Bananen. Früh um 7 Uhr fährt uns ein Taxi in den Strandort Maria la Gorda, der am nordwestlichsten Zipfel der Insel liegt.
Im Reisebüro wurde uns ein Bus versprochen. Doch statt die Beine lang zu machen, quetschen wir uns nun mit einem englischen Pärchen zusammen ins Auto.
Den Taxifahrer schätzen wir auf 68 Jahre. Seine Haut ist durch die Sonne fast so dunkel wie die von Chocolaté. Sein Arm ist ledrig und hat Querfalten, als ob ihn jemand zusammengeschoben hat. Er sieht aus, wie der Rüssel eines Elefanten, nur in braun.

Wir verlassen Vinales und schlängeln uns über eine kurvige Bergstraße, die mit grünen Wäldern gesaumt ist. Anschnallgurte, die uns halten würden, gibt es nicht. Das Ausbalancieren hat leider mehr von Bauchmuskeltraining als von einer schaukelnden Krippe und so ist an Schlafen nicht zu denken.
Wir erreichen Pinar del Rio, eine Kleinstadt, in der die morgendliche Rush Hour zu spüren ist. Viele Schulkinder sind in ihren Uniformen auf dem Weg zum Unterricht. Sie tragen weiße Hemden mit einem kleinen roten Band um den Kragen, das am Hals ein Mal geknotet ist. Dazu eine dunkelrote Hose und schwarze Schuhe. Ich frage mich, ob die vom Staat finanziert wird. Anders können sich die meisten die Kleider sicher nicht leisten. Wir verlassen die Kleinstadt. Die Straße verwandelt sich zunehmend in eine unebene Schotterpiste.

Unser dickhäutiger Fahrer weicht den Schlaglöchern aus, indem er die gesamte Fahrbahn nutzt. Am Straßenrand stehen in regelmäßigen Abständen Menschen, die auf dem Weg zur Arbeit auf eine Mitfahrgelegenheit hoffen. Es scheint so etwas wie öffentliche Verkehrsmittel zu geben. Jedenfalls sehen wir viele Pferdekutschen und Kleinlaster, die auf ihrer hoch eingerahmten Ladefläche stehende Personen transportieren.
Einige Trecker haben abenteuerliche Anhänger, deren Ladefläche mit ca. 1,70 m hohen, sporadisch gesäten Holzpfählen umzäunt ist. Zwischen diesen sind Seile gespannt, an denen sich die Passagiere festhalten. Orange-schwarze Busse mit der Aufschrift „escolar“ transportieren nicht nur Schulkinder.
Dünne Männer in karierten Hemden fahren auf schmalen klapprigen Fahrrädern, dessen Sättel nicht mehr verstellbar sind. Einer kommt mit seinen Knien beim treten fast bis an den Lenker. Nur vereinzelt knattern Motorroller am Straßenrand vorwärts. Aus dem Auspuff steigen schwarze Qualmwolken herauf.
Viele nehmen ihren Weg zu Fuß in Angriff. Eine feste Zeit für den Arbeitsbeginn kann es mit dieser Methode nicht geben.

Etwas später wird der Wegrand von Tieren dominiert. Pferde grasen an einer Leine, Ochsen und Kühe laufen auf der Straße und werden von unserem Fahrer an die Seite gehupt. Esel kauen gemächlich mit kreisendem Kiefer ihr Frühstück. Ziegen und kleine schwarze Schweine hüpfen durchs Gras. Hühnerfamilien wuseln umher. Truthähne sitzen auf kleinen steinernen Pfeilern am Straßenrand. Sogar Krebse überqueren die Straße. In der Luft kreist oft ein riesiger schwarzer Greifvogel mit mächtigem Flügelspann. Wikipedia identifiziert ihn als „Truthahngeier“, den es in Nord-, Mittel- und Südamerika gibt. Hunde und Katzen machen den kleinen Straßenzoo komplett.

Die Häuser, die hinter dem Streifen aus Getier und Gestrüpp stehen, sind aus Stein gebaut. Ihre Front ist schmal. Höchstens 5 Meter breit. Ein kleines Vordach auf ein oder zwei Säulen spendet Schatten für die weißen Holzschaukelstühle, die rechts und links von der offenen Haustür auf dem gefliesten Patio stehen. Nach hinten ragt das Haus relativ weit ins Land herein. Es ist sozusagen lang und schmal. Die Decken sind recht niedrig, höchstens 2,20 Meter. Sie sind mit rot-orangenen Ziegeln oder Wellblechplatten flach gedeckt.
Die verputzten Außenwände leuchten mintgrün, türkis, rosa, hellorange oder in einer anderen Bonbonfarbe. Die Grundstücksgrenzen werden von Holzzäunen abgesteckt, deren Pfähle aus abgesägten Ästen bestehen, die mehr krumm als gerade in der Erde stehen. Hinter den Häusern ragen hohe Palmen bis weit in die Landschaft hinein.

In Maria la Gorda angekommen, widmen wir uns der Unterwasserwelt. Der lang gezogene Strandort besteht aus ein paar kleinen Hotels und Casas. Der Sand ist hellgelb und unter hohen Palmen, die vereinzelt aus dem Sand herausragen, stehen weiße Liegen, die von allen genutzt werden können.
Schon nach wenigen Metern Richtung Wasser wird der Strand felsig. Das Korallenriff beginnt.
Maria la Gorda ist das Tauchmekka von Kuba und genau deshalb sind wir hier. Für 42 CUC (30 €) gibt es einen Tauchgang inklusive der Ausrüstung.
Ich konnte Anne vom Introduction Dive, also Schnuppertauchgang, vor dem ihr der Tauchlehrer die wichtigsten Basics erklärt, überzeugen.
Als ich ihm sage, dass mein letzter Tauchgang schon knapp 1 Jahr vergangen ist und ich bisher insgesamt 9 Mal getaucht bin (plus die vielen Male im Tauchkurs) ist er sehr bedenklich und meint, dass ich auf jeden Fall einen Auffrisch-Tauchgang machen soll.
Oh nee. Da hab ich jetzt ja gar keine Lust zu. Und vor allem glaube ich, dass er mir das Geld aus der Tasche ziehen will, da er sagt, dass ich dann am Nachmittag den normalen Tauchgang machen kann (und zusätzlich bezahlen muss).
Anne glaubt, dass er sich einfach nur Sorgen macht und die Regeln genau nimmt, da er noch sehr jung ist.
Schließlich stimme ich zu, einen einfachen Tauchgang zu machen, bei dem wir vom Steg aus starten und nur bis 8 m tief gehen. So können wir zumindest zusammen tauchen. Anne hat am Anfang etwas Probleme, abzutauchen, da sie ist zu leicht ist. Der Tauchlehrer packt ihr kurzerhand einen dicken Stein in die Tauchweste und schon geht’s abwärts.

Das Tauchen ist total schön und ich genieße die Schwerelosigkeit unter Wasser. Wie ein Fisch lasse ich mich treiben. Die Arme verschränke ich vor meinem Körper und navigier mich nur mit meiner Hinterflosse durch die Strömung. Leider ist das Riff, so nah vor der Küste nicht besonders aufregend.
Das Spannendste ist eine Schildkröte, die wir kurz verfolgen und ein silbern glitzernder Barrakuda, der unter einem Boot am Steg liegt.
Barrakudas sind total faul. In Australien haben wir sie beim Tauchgang als Orientierungspunkt genommen: "Dort wo die Barrakudas liegen, musst du rechts lang". Mit ihrer langen Schnauze und dem Überbiss sehen sie recht unfreundlich aus.
Einen Fisch fand ich besonders interessant, da ich ihn zuvor noch nicht gesehen habe. Er hat einen orangenen Grundton und die breiten Schuppen sehen aus wie Dachziegel in verschiedenen rot-braun Tönen. Insgesamt sind wir 40 min unter Wasser. Angefühlt haben sie sich maximal wie 15.

Das Auffrischen war ganz nett aber ich ärgere mich etwas, dass ich so einen unspektakulären Tauchgang machen musste. Anne hat es gut gefallen, wobei sie auch nicht begeistert ist. Kein Wunder, bei der geringen Tiefe ähnelt das Tauchen sehr dem Schnorcheln.  Den Nachmittag verbringen wir auf den Liegen unter den Palmen und kühlen uns im türkisfarbenen Wasser ab.
Zufällig treffen wir die 3 Münchener vom Reitausflug. Sie sind mit einem Mietwagen hier und probieren in der Affenhitze Palmen hochzuklettern. Was tut man nicht alles für das perfekte Profilfoto.

Unser Fahrer hat eine gute Nachricht: Wir fahren nur zu zweit zurück.
Kaum sitzen wir im Auto, tropft Regen aus den grauen Wolken auf die Frontscheibe. Im CD Player läuft ein und dieselbe CD rauf und runter. Eine Frau singt zu Keyboard und Querflöte spanische Schlager. Sehr tiefgründig können die Texte nicht sein. Der Refrain gerade ging „Me gusta el sucero de caramello“. Das muss aber guter Karamellzucker sein, wenn er ein ganzes Lied wert ist.

Zurück in unserer Casa essen wir vegetarisch und es ist wiedermal zu viel, um alles aufzuessen. Unsere Casa Mutter ist erneut enttäuscht, dass sie uns aufgrund der Fleischlosigkeit nur die Hälfte des Preises berechnen kann.
Dafür nehm ich ihr direkt 2 Mohito ab, die sind in diesem kleinen Bergdorf nämlich Weltklasse!

13.09.2012 2, Donnerstag - Trinidad

Hilfe, wir wurden verschleppt!

Bei der Ankunft in Trinidad fallen wir aus dem Bus direkt in die Hände einer Horde von Schleppern, die gedrängt zwischen Bus und Hauswand stehen, um uns eine Unterkunft in Trinidad zu vermitteln. Zum Glück haben wir bereits etwas reserviert und müssen nur die Frau finden, die ein Blatt mit unseren Namen in die Luft hält.

Der Weg zur Casa ist kurz. Durch eine hohe dunkle Holztür gelangen wir in das Wohnzimmer, das mit antiken dunklen Möbeln und den üblichen Porzellanpuppen ausgestattet ist. Der Casa Mann spricht etwas Englisch und erklärt uns, wie wir den Wasserhahn auf und zu drehen und wie die Klospülung funktioniert. Vielleicht glaubt er, dass wir in Deutschland noch auf Plumpsklos gehen.
Auf den Betten liegen wild gemusterte Steppdecken als Bettschoner.
Auch der Klodeckel wird geschont, und zwar von einem rosa-plüsch-Bezug. Der passt hervorragend zum rosa Mülleimer in Hello Kitty Optik.
Das ist allerdings nichts gegen die Touch - Nachttisch - Lampe, die aufleuchtet, wenn man den gläsernen Lampenschirm mit dem rosa-grünen Blumenmuster berührt. Future Technik im Retro Look.

Nachdem wir unserer Casa Mama einen riesigen Berg Wäsche in die Hand gedrückt haben, machen wir uns auf den Weg in die Stadt.
Komisch, irgendwie passen die Straßennamen an den Hauswänden nicht zu denen auf unserem Stadtplan, egal, wie ich den Plan drehe und wende.
Erschreckt stellen wir fest: Wir sind in einer ganz anderen Ecke von Trinidad! Bloß in welcher Casa?
Zuerst vermuten wir, dass Josephina, die wir in Vinales gebeten haben, für uns telefonisch zu reservieren, bei den Unterkünften im Lonely Planet in der Spalte verrutscht ist. Allerdings passt keine der dort beschriebenen Casas zu unserer Unterkunft. So langsam beschleicht uns die Vermutung, dass sie einfach eine befreundete Casa Besitzerin in Trinidad angerufen hat und uns quasi heimlich vermittelt hat. Wir sind Opfer der Schlepper Mafia geworden! Das ist ganz schön kleinkriminell!
Hm, eigentlich egal bei wem wir sind, es ist schön hier und die Besitzer sind sehr nett.

Das Reisefieber im Blut ist unsere erste Station bei der Stadterkundung das Büro von Havannatour. Wir buchen einen Wanderausflug in die Sierra del Escamray für Morgen und einen Bus nach Camagüey für Übermorgen. Danach wenden wir uns im Internetcafé dank sozialer Medien der Außenwelt zu und verständigen unsere Liebsten über unser Wohlergehen.

Hungrig laufen wir die Kopfsteinpflaster-Straßen hoch zum Plaza Major. Hier vereinen sich alle Touristenattraktionen. Zwei Kirchen und ein Museum. Der Platz ist schön gepflegt und geometrisch durch Blumenbeete in vier Quadrate aufgeteilt. Die Kirchen sind, wie immer, verschlossen.
Wir steuern ein italienisches Restaurant an, in der Hoffnung hier endlich einen richtig guten großen Salat zu finden. Das kubanische Essen, das hauptsächlich aus Käse-Schinken-Sandwiches mit Weißbrot, Reis und Bohnen, Süßkartoffeln, Fleisch und frittierter Banane besteht, geht uns so langsam auf die Nerven.

Für die Busfahrt haben wir uns schon zwei Gurken vom Markt zum snacken gekauft und in unsere Kekstüte geworfen. Auf dem Weg zum Italiener spricht uns eine kubanische Transe an, die sich in ein pinkes Spaghettishirt und silberne Kreolen-Ohrringe geschmissen hat. Ihre Lippen sind rot angemalt. Er/sie sagt uns, dass der Italiener geschlossen hat.
Da wir im Vorfeld oft von sogenannten Jinteros gehört haben, die versuchen, Touris mit allen Mitteln in Restaurants zu locken, glauben wir ihm/ihr erst mal nicht. Leider hat er/sie recht.

Aber dank den Empfehlungen im Lonely Planet finden wir das Paladar Estella. Paladares sind privat geführte Restaurants, deren Gerichte und Preise nicht von der Regierung vorgegeben werden. Estella führt uns durch die geflieste Eingangshalle in den kleinen Innenhof, in dem auf einem Podest vier gedeckt Tische stehen. Zwei davon sind schon besetzt. In der Mitte des Hofs steht ein riesiger Avocadobaum, der viele Früchte trägt. Die kubanischen Avocados sind mindestens doppelt so groß wie ihre Verwandten im deutschen Supermarktregal.
Die Hofmauern sind mit grünen Ranken bewachsen. Auf der Dachterrasse eines Nachbarrestaurants spielt eine Liveband die kubanischen Klassiker.
Die Atmosphäre ist wirklich einmalig. Das Cristal Bier kühlt mich runter und Anne stellt ganz richtig fest: „Ein Bier am Abend ist nährend und labend“.

Auf der Karte werden vier Gerichte angeboten. Es gibt entweder Fisch, Schwein, Hühnchen oder Lamm mit Reis und Bohnen, Salat, Bananen und Süßkartoffeln. Wir teilen uns eine Portion Lamm, das als Spezialität des Hauses gilt. Estella sagt uns, dass wir die Bananen unter den Reis mischen sollen. So machen es die Kubaner. Am Anfang finde ich das etwas gewöhnungsbedürftig aber dann irgendwie gut. Insgesamt ist der Abend einfach köstlich! Nach dem Essen laufen wir die für Trinidad typischen Kopfsteinpflaster Straßen herab. Um 22 Uhr liegen wir im Bett und schlafen erschöpft ein.

14.09.2012, Freitag - Trinidad

Ein Bad im Wasserfall, eine Grottenparty in der Partygrotte und eine unvergesslich musikalische Nacht

In Kuba kann man viel Geld für Mohito ausgeben und viel Zeit am Strand verbringen. Doch nirgendwo ist Zeit und Geld besser investiert als in der Natur.
Das Gefühl nach einer schweißtreibenden 1 1/2 stündigen Wanderung in das Becken eines 60 m hohen Wasserfalls zu springen, ist besser als jeder Kater und jeder Sonnenbrand.

Wir sind auf einer Wanderung in Toppes de Collantes, einem Gebiet im National Park der Sierra de lEscamray. Ein russischer LKW aus den 80er Jahren, der in grün gelben Streifen im military look angemalt ist, hat uns die 18 km herauf in die Berge gefahren.
Mit uns sind die Holländerinnen Milou und Janneke und das französische Pärchen Marie und Piere auf der Tour.
Die Holländerinnen verbringen grad die ersten Tage ihrer insgesamt 8 Monate in Süd- und Mittelamerika. Ich will sofort mit ihnen tauschen!
Unser Guide Iglesio spricht witziges Englisch. Manchmal lässt seine Aussprache Raum für Interpretation. So erklärt er uns auf der Kaffee Plantage, dass es 5 Sorten Gourmet Kaffee gibt. Das Gourmet spricht er „Gurr Mett“ aus, so dass Anne good made versteht.
Der kubanische Kaffee wird übrigens in der Regel als Espresso serviert. Er ist dickflüssig, tiefschwarz und definitiv in der Lage, müde Geister zu wecken.
Als Iglesio uns von Schmetterlingen erzählt, klingt es nach Buddahfly statt butterfly. Buddha begleitet uns auf unserer gesamten Reise, obwohl wir nicht in Südostasien sind.
Sein bester Versprecher ist allerdings seine englische Übersetzung von Schwiegermutter. Als er uns eine giftige Pflanze erklärt, erwähnt er im Nebensatz, dass man sie benutzen kann, falls man sich mit seiner „mother in love“ nicht so gut versteht.

In Kuba gibt es nur 30 heimische Tierarten, von denen 27 Fledermäuse sind. Die anderen zwei sind eine Mischung aus Ratte und Schwein, die auf Bäume klettern können.
Iglesio zeigt uns auf seinem Handy Fotos von den Tieren, die häufig im Nationalpark vorkommen. Teilweise sind die Bilder von einem Computerbildschirm abfotografiert und zudem in schwarz-weiß.
Mit seinem Handy spielt er auch den Laut des rotbauchigen Nationalvogels von Kuba ab, der darauf prompt antwortet und durch die Bäume fliegt. Ganz schön modern, die Natur hier!
Wir gehen ein Stück und wieder bleibt er stehen, um aus seiner Tasche eine Hand Holzklötze zu holen. Jeder Klotz gehört zu einem Baum. Mahagoni und Zeder sind die wertvollsten.
Nach einer Stunde Bio- und Sportunterricht, erreichen wir den mächtige Wasserfall und das grün-türkise Becken an dessen Ende. Wir klettern über Felsen zum Ufer und springen ins kühle Nass. Das Wasser ist herrlich erfrischend!

Das, was wir bergab gelaufen sind, müssen wir anschließend berghoch wieder zurück. Normalerweise dauert das 1 1/2 h, aber wir schaffen es in 45 min. Iglesio ist stolz auf uns.
An der kleinen Bar am Ziel tanke ich mit einem pinken, eiskalten Guavensaft meine Energiereserven auf. Köstlich!
Auf den letzten Metern hat es angefangen zu tropfen. Nun prasselt der tropische Regen auf die kleine Hütte herab. Der grün-gelbe Truck holt uns aus dem Nass und bringt uns in ein Bergrestaurant, in dem wir bei einem ordentlichen Lunch mit Schweinefleisch und den üblichen Beilagen die Tour beenden.

Zurück in Trinidad ändern wir bei Havanatour das Datum für unsere Busfahrt nach Camagüey. Hier ist‘s schön. Hier bleiben wir länger.
Heute Abend wollen wir Feiern und morgen einfach in den Tag hineinleben und am Strand entspannen.
Wie war das noch mit der Investition des Geldes in die Natur...? Manchmal darf man auch faul und unvernünftig sein.

In der Stadt suche ich eine SD-Karte, da ich nach einer Woche schon 1 GB verknipst habe und unmöglich Bilder löschen kann. Annes SD-Karte ist schon am ersten Tag kaputt gegangen und wir photographieren zusammen mit meiner Kamera.
Im Elepunto, einem Technikladen, gibt es natürlich keine SD-Karten. Dafür macht die Frau hinter der Verkaufstheke einen Anruf und gibt uns auf Spanisch zu verstehen, dass wir 10 Minuten warten sollen. Dann kommt ein junger Kubaner mit Rucksack und Sonnenbrille rein. Er geht direkt auf uns zu und holt aus seiner Tasche zwei verschiedene 4GB SD-Karten. Der Preis von 15 CUC (10 €) pro Stück ist nicht verhandelbar. Fidel und Raul haben auch hier ihre Finger im Spiel. Wir freuen uns, wieder knipsen zu können.

Zum Dinner treffen wir uns mit den Holländerinnen in der Casa de la Musica. Dieses Restaurant liegt auf einer ca. 30 m breiten Treppe, die neben der alten Kirche am Plaza Major in die Höhe führt. Die Treppe wird auf der Hälfte durch einen Platz unterbrochen. Auf diesem stehen grün lackierte Eisenmöbel.
Das Essen ist so la la. Mein gemischter Salat besteht nur aus Gurken und Tomaten. Gut, dass Milou mir ein paar Pommes abgibt. Salat kann man in Kuba als eigenständiges Gericht total vergessen.

Wie der Name schon sagt, wird in der Casa permanent Live Musik gespielt. Zuerst heizen zwei Salsa Bands die Stimmung an. Um 22 Uhr wechselt der Sound. Eine Rumba Band tritt auf. Sie sind etwa 10 Musiker, drei davon Trommler. Ein alter Mann trommelt so schnell, dass wir mit bloßem Auge kaum seine Handbewegungen verfolgen können. Die Tänzer sind weiß gekleidet. Die Frauen tragen wallende, mehrschichtige Röcke, deren obere Lage sie am Saum fassen und im Takt auf die Höhe ihrer Hüften heben. Die Männer haben rote und weiße Halstücher, die sie vom Körper lösen und diese ebenfalls an zwei Zipfeln haltend nach vorn schwingen. Sie bücken sich nach vorn und heben ihre Füße beim Tanzen hoch in die Luft. Der Tanz soll das Werben eines Mannes um eine Frau darstellen.
Die Sprache, in der sie singen, ist definitiv nicht spanisch. Es hört sich eher afrikanisch an. Vielleicht ist diese Art von Musik durch die afrikanischen Sklaven nach Kuba gekommen.

Es dauert nicht lang, bis unsere Runde wächst. An unseren Tisch kommt ein Typ, den wir heute auf der Wanderung gesehen haben. Anne und ich kennen ihn auch schon aus Vinales. Er hat damals unglaublich abwertend seine Augen verdreht, als ich im Hotel Ermita auf Spanisch versucht habe dem Kellner zu erklären, was bereits auf unserer Rechnung steht. Das war kein guter Start für uns zwei.
Er stellt sich als Roberto vor, der in Trinidad arbeitet, gebürtig aber aus Russland kommt. Das kaufe ich ihm nicht ab. Er sieht total spanisch/kubanisch aus. Ich taufe den angeblichen Russen „Robertomir“. Janneke unterhält sich viel mit ihm und Milou stellt fest, dass ihre Freundin sichtbares Interesse an Robertomir hat.
Da kommt auch schon der Schweizer Tobi, den wir in Havanna getroffen haben, um die Ecke. Sein Sympathiekonto ist ja leider ebenfalls schon im Minus. Allerdings ist er einer der Sorte Mensch, die so ichfixiert sind, dass sie Reaktionen anderer nicht wahrnehmen. Daher greift er sich einen Stuhl und setzt sich zu uns, als wären wir alte Kumpels. Die zwei Deutschen, eher bodenständig drein schauenden Mädels, mit denen er hergereist ist, lässt er links liegen
.
Die Casa de la Musica ist nur eine Vorstation unseres eigentlichen Abendprogramms. Wir wollen in die Disco Alaya. Robertomir schlägt vor, uns mit seinem Auto dort hin zu fahren. Ich muss lachen. Das sind doch nur 5 Minuten Fußweg. Außerdem sind wir mit unserem Schweizer Anhängsel nun eh zu viele für einen Wagen. Wir winken also ab und machen uns stattdessen zu Fuß auf den Weg. Durch kleine Gassen geht es bergauf, bis wir schließlich über einen dunklen Feldweg laufen.

Von außen ist die Disco kaum zu erkennen. Kein Gebäude und kein Parkplatz deuten darauf hin, dass hier bald eine Menschenmenge feiern soll. Schließlich handelt es sich bei der Location um eine unterirdische Grotte. Wir tanzen heute mit Stalagniten und Stalagtiten. Das ist für mich bisher einmalig. Ich habe in Südostasien bereits einige Höhlen und Grotten besichtigt, aber ich war noch nie in einer Partygrotte!
Ich erinnere mich an das riesige Höhlensystem in Halong Bay in Vietnam. Als wir dies damals besichtigten, planten wir in unserer Fantasie die coolsten Parties in dieser Location. Und nun soll dieser Traum wahr werden.
Der Eingang ist gut bewacht und immer nur fünf Personen werden gleichzeitig an die Kasse gelassen. Nachdem wir 3 CUC (2,20 €) Eintritt gezahlt haben, steigen wir eine lange Treppe hinab.
Das Klima ist relativ feucht. Ab und zu fällt ein Tropfen von den unregelmäßigen Gesteinsformationen herab. An der Bar gibt es einen Gratisdrink, mit dem wir uns an einen Tisch setzen. Den Schweizer haben wir auf dem Weg aus Versehen verloren. Der Russe ist schon kurz nach uns da und setzt sich zu uns an den Tisch. Er unterhält sich die ganze Zeit mit Milou. Jannekes Blick ist leicht genervt. Als wir die Tanzfläche stürmen, dauert es nur knapp 10 Minuten, bis die beiden sich küssen. Kurz darauf verschwinden sie Richtung Toilette, wobei das nicht das gleiche bedeutet, wie bei uns. Die Toiletten sind in Kuba nämlich nur durch max. 1 70 m hohe Mauer voneinander getrennt, sodass man seinen Nachbarn problemlos inspizieren könnte. Sie stehen nur im etwas ruhigeren Bereich vor den Klos.
Janneke ist stocksaurer. Milou wusste doch ganz genau Bescheid und spannt ihr eiskalt den Kerl aus. Das machen Freundinnen nicht. Ehrenkodex!
Noch mehr stört sie allerdings, dass Milou einfach verschwindet, ohne ein Wort zu verlieren. Das ist ziemlich leichtsinnig und gefährlich in einem fremden Land.
Anne und ich geben unser Bestes die verlassene Freundin aufzuheitern und kitzeln ihre wildesten Tanzmoves aus ihr heraus.

Der Schweizer hat sich auch wieder an uns geklettet. Er ist ziemlich betrunken. Beim Reden versucht er seine Hand ab und zu auf meinen bzw. Annes Rücken zu legen. Reden bedeutet für ihn Sätze zu sagen wie: „Ich weiß auch nicht warum, aber alle Frauen mögen mich, ausnahmslos.“ Die Ausnahme bilden dann wohl Anne und ich.

Meine Flip Flops hab ich mittlerweile ausgezogen bzw. bin mit dem Fuß durch eine der zwei Schlaufen gestiegen, sodass sie nun an meinem Bein klemmen. Zum Tanzen sind sie einfach nicht geeignet.
Ein Kubaner fordert mich zum Tanzen auf. Ich habe genug Mohito im Blut, um „Ja“ zu sagen. Er legt gleich mit einem unglaublichen Tempo los und schleudert mich durch die Gegend. Nach der dritten Drehung rutsche ich auf dem glatten Boden weg und lande mit meinem Hintern auf der schmierigen Dancefloor. Schnell rappel ich mich wieder auf. Janneke zupft mir das Kleid zurecht. Anne meint, dass es bis zum Fall, sehr professionell aussah. Das verschafft mir nun 4 Sekunden professionellen Salsa Tanz. Yeah.
Außerdem ist die Musik schuld. Es kommt sehr nahe an den Sound einer Trashpop Party heran. Wie soll ich auch zu Britney Spears Salsa tanzen. Gegen 3 Uhr haben wir genug. Janneke faucht Milou kurz an. Sie ist zu wütend, um ein normales Gespräch mit ihr zu führen. Milou bleibt irritiert bei Robertomir, als wir gehen.

Ich liege in meinem lachsfarbenen Kleid auf dem warmen Kopfsteinpflaster neben der Kirche und schaue mir die Sterne an. Anne bläst den Qualm ihrer Zigarette der Marke Hollywood in die Nacht. Auf unserem Weg von der Disco Alaya sind wir an diesem Platz vorbei gekommen und mussten bei den Gitarrenklängen stehen bleiben. Ein Mann in seinen 50ern sitzt auf einer Mauer und spielt Gitarre.
Seine dunklen Locken bahnen sich den Weg in die Freiheit heraus aus seiner Baskenmütze. Er singt ein englisches Liebeslied, dass er über eine Frau aus Trinidad geschrieben hat. Neben ihm stehen eine halbvolle Flasche Rum und ein paar Plastikbecher.
Wir sind nicht die einzigen, die seinem nächtlichen Konzert lauschen. Rechts und links von ihm sitzt ein Pärchen, das ihm gebannt zuhört. Einer der Männer klopft den Takt auf seinem Knie mit. Als der Song aufhört, übersetzt er ihn für sie ins Spanische. 
Als er in seiner Muttersprache weiter singt, stimmen sie in den Song ein.
Während ich diese Zeilen schreibe, erklärt der junge Alexandro, den wir auf dem Weg getroffen haben, Anne und Janneke die Geschichte von Trinidad. Es geht um Prostitution. Er jammert, dass es in Kuba wenig junge Erwachsene wie uns gibt, die weltoffen sind, reisen und sich für Zusammenhänge interessieren.
An dem Dreierkreis von Anne, Janneke und Alexandro haben nur meine Füße teil, die in ihre Runde rein reichen. So entspannt kann ich nicht glauben, dass ich erst seit einer Woche hier bin. Die kubanische Kultur ist so leicht zu greifen.
Janneke lehnt sich zu ihm über meine Beine. Sie möchte nicht zu laut nachfragen. Sonst würde sie den Gesang stören.
Ich würde dem Gitarrenspieler gerne sagen, dass ich genau in diesem Moment über ihn schreibe, aber das gibt mein Spanisch nicht her. Sicher denkt er, dass ich gelangweilt SMS tippe. Wie falsch er doch liegt. Ich lache ihn an. Spontan singt er „I like your teeth.“ Danke Dr. Lodde, Sie sind eine super Kiefernorthopädin.

Ich drehe meinen Kopf nach links und schaue in die Augen eines streunenden Hundes. Wie konnte ich ihn nur überriechen? „Lo entiendo, aber ich habe heute leider keinen Knochen für dich.“
Anne streichelt mir über meinen Fuß. Ich schaue sie an. Ich glaube, sie versucht mir zu signalisieren, dass sie gehen möchte. Das will ich grad nicht verstehen. Dieser Moment ist magisch und kann jetzt unmöglich aufhören.
Der Lockige gibt die Gitarre ab. Als ein anderer singt und spielt, imitiert er mit seinen Lippen und seiner Stimme ein Saxofon.
Das Lied muss witzig sein, die Kubaner lachen.
Irgendetwas krabbelt über meinen Arm. Diese scheiß Insekten überall.
Janneke legt sich auch hin. Neben mir ist allerdings kein Platz mehr frei. Dort putzt sich der Hund und sie hat trotz Impfung schreckliche Angst vor Tollwut.
Ich weiß nicht, ob ich ein Foto machen soll. Kein Bild wäre diesem Moment gerecht. Anne ist müde und kuschelt ihren Kopf an meine Beine. Sie kann dort ruhig schlafen. Der Lockige lacht uns an und singt zu ihr: „If you miss him, if you fucking miss him, just tell him!” Anne schaut mich an und sagt: „Wieso weiß der das bloß?“ Er wiederum singt: „Love is in the air. Love is everywhere.“ Er klemmt seinen, mit braunem Rum gefüllten, Plastikbecher zwischen die Zähne und tanzt.
Eine Kubanerin singt nun klar in die Nacht hinein. Sie hat ein schweres Kreuz am Hals hängen.

Um die Ecke kommt ein weiteres Pärchen. Ich erkenne den Typen an seinem kastigen Schädel und seinen kurzen blonden Haaren wieder. Es ist Vlat aus Latvia, den wir kurz in Vinales gesprochen haben. Er war schon letzte Nacht hier und ist wiedergekommen.
Anne nimmt einen tiefen Atemzug. In der Luft liegt mehr als nur Entspannung. Ich möchte hier leben, eher noch geboren sein. Dieses Unbeschreibliche braucht man im Blut. Ich möchte wenigstens ihre Sprache verstehen. Wie soll ich denn im hier und jetzt leben, wenn ich nicht kommunizieren kann, Buddha?
Wie spät ist es eigentlich? Irgendwas zwischen 3 und 5. Immerhin ist es dunkel. Die Schritte der Menschen, die über das Kopfsteinpflaster den Weg von der Disco zurück in die Stadt gehen, hören sich an wie Pferdehufe vor einer Kutsche. Der Hund knurrt ab und zu jemanden an, der zu hektisch geht. Südostasien ist aufregend, Südamerika vermittelt Gefühl.

Als wir Janneke zu ihrer Casa bringen, steht ein weiß glänzender Neuwagen vor dem Eingang auf der Straße. Das ist sicher die Russenkarre. Tatsächlich, Robertomir hat Milou kurz nachdem wir gegangen sind, nach Hause gebracht. Die beiden warten also schon eine ganze Weile auf Janneke. Anne und ich verabschieden uns und sind auf die Fortsetzung des Dramas gespannt.

15.09.2012, Samstag – Trinidad

Der Kopf sagt Früchte, der Bauch sagt Pizza.

Als um 10 Uhr der Wecker klingelt, sind wir wie gelähmt. In unserem Zimmer ist es noch stockdunkel, als wäre es immer noch tiefste Nacht.
Die Grottenparty in der Partygrotte hat ihre Spuren hinterlassen. Wir sind ziemlich langsam im Kopf und packen angestrengt unsere Tasche für einen Strandausflug. Um 11 Uhr fährt der Bus vor dem Havannatour Reisebüro ab. Vorher müssen wir uns noch schnell Proviant besorgen. Ein Mann verkauft Früchte aus einem großen Fenster heraus. Für 3 CUC (2,20 €) kaufen wir eine Ananas, eine Mango, zwei Orangen und zwei Bananen. Dieses gesunde Frühstück wird uns zurück ins Leben holen. In den Läden herrscht mal wieder Wasserknappheit. Limo und 5 Liter Kanister wollen wir nicht.

Kurz vor 11 Uhr kommen wir verschwitzt am Reisebüro an und setzen uns auf den Bordstein zu den anderen Wartenden.
Aus einer Seitenstraße zieht der Duft frisch gebackener Pizza herüber. Wir schauen auf unsere Tüte voller Vitaminbomben. Der Kopf sagt: „Iss die Früchte“. Der Kater sagt: „Stürz dich auf die Pizza.“ Und wer gewinnt? Na klar: der Kater.
Ich stelle mich in die Schlange, während Anne die Stellung an der Bushaltestelle hält. Der Imbiss ist in einem Hauseingang, in dessen Haustür ein Brett als Theke gebaut wurde. Eine junge Frau gibt mit einem Holzschieber runde Bleche in den Ofen. Als wir zwei Schinkenpizzen bestellten ruft sie:"Mami, dos con jamon" die Treppe herauf und kurze zeit später reicht ihre Mutter ihr zwei belegte Bleche an. Das ist familiäre Arbeitsteilung.
Auf die fettig glänzenden Pizzen kommt grobkörniges Salz und extra Tomatensoße. Dieses Essen, was man in Deutschland bei Ditsch für max. 3 Euro  bekommt, kostet hier 10 CUC (7 €), wofür man wiederrum ebenfalls kubanischen Hummer mit reichlich Beilagen bekommen kann. Wir gehen heute wieder mal nicht danach, was es kostet, sondern was es uns wert ist.

Anne ist zu mir rüber gekommen. Der Bus fährt heute nicht. Es sind zu wenige Touristen da. Janneke und Milou sind außerdem nicht aufgetaucht. Wahrscheinlich schlafen sie ihren Rausch aus. Wir nehmen uns für 5 CUC (3,50 €) ein Cocotaxi zum Playa Ancon. Die Cocotaxen sind kleine gelbe Gefährte, die rund wie eine Kokosnuss sind und fast wie ein Roller mit einer großen Kugel rundherum aussehen. Wir setzen uns hinter den Fahrer auf eine kleine Bank und sausen über die Landstraße vorbei an Seen und Flüssen, aus denen ein alter gesunkener Tanker in Schieflage ragt.

Der Strand ist sonnengelb und mit Schatten spendenden Bäumen bewachsen. Meist residiert unter einem Baum eine Familie, die ihren Sonntagsausflug an den Strand macht. Sie sind mit Sack und Pack gekommen. Sogar Tische, auf denen sie Riesenportionen von Fleisch aufhäufen, haben sie dabei.
Im Wasser spiegelt sich die Familienkultur ebenfalls wieder. Im Abstand von einigen Metern stehen Grüppchen zusammen. Sie bleiben dort eine Ewigkeit stehen und unterhalten sich. Wenn sie könnten, würden sie das Buffet sicher hier aufbauen.
Um sich vor der Sonne zu schützen, tragen sie Cowboy- oder Strohhüte und Longsleeves. Schwimmen ist für sie nebensächlich. Sie quatschen nur. Das Wasser ist dazu perfekt geeignet, es hat Badewannentemperatur und Wellen gibt es hier an der Südseite de Insel eh nicht.
Tretboote werden auch pro Familie ausgeliehen und sind dementsprechend doppelt so groß wie in Deutschland. Auf einem zähle ich 11 Personen plus einen Hund und drei Kids, die sich hinten am Boot festhalten und durchs Wasser ziehen lassen.

Da kommt auch schon unsere Trinidad-Backpackerfamilie. Die zwei Holländerinnen und das französische Pärchen. Sie haben schlichtweg vor dem falschen Reisebüro gewartet und sind auch mit dem Taxi gekommen. Zusammen gehen wir zu den blauen und gelben Hotelliegen, die unter Sonnenschirmen aus Palmenstroh stehen. Für 2 CUC (1,40 €) pro Person dürfen wir es uns hier gemütlich machen.
Prompt begrüßt uns ein dicker Kubaner in knallrotem Shirt, der mit einem in der Hälfte durchgeschnittenen Karton als Tablett Getränke aus seiner nahegelegenen Strandbar serviert. Die Französin Marie sagt: „Der Urlaub ist zu kurz, um auf Mohito zu verzichten.“ Recht hat sie. Anne probiert stattdessen einen Pina Colada, welcher von uns direkt zum besten Pina Colada der Welt erklärt wird. Er ist hellgelb statt weiß und auf der Sahnehaube trohnt eine Schicht Zimt. Köstlich.

Erst am Abend fahren wir zurück in die Stadt. Auf Nahrungssuche müssen wir mit einer Krokodilsträne in den Augen feststellen, dass das Paladar Estella heute geschlossen hat. Vor der Tür und auf der Straße warten schon einige Schlepper, die uns für ihr Restaurant gewinnen wollen. Wir weichen ihnen aus und gehen stattdessen in ein größeres staatliches Restaurant, auf dessen Terrasse mehrere Tische besetzt sind. Leider ist das nicht immer ein verlässliches Zeichen für Qualität. Heute haben wir das schlechteste Dinner des gesamten Urlaubs. Das Brot ist trocken und mindestens einen Tag alt. Die Bohnen im gemischten Salat sind ungenießbar. Die Bananenchips pappig statt kross und der Streifen Avocado schon leicht bräunlich.
Doch die Krönung ist der Fisch. Was hier auf dem Teller liegt, ist grau und sieht aus, wie ich mir ranzig gebratene Katze vorstelle. Ich wage mich als erste und stelle fest, dass der Geschmack nicht ganz so schlimm ist, wenn man die fettigen Stücke raus schneidet. Wir sind super enttäuscht und ziehen mindestens so grimmige Gesichter wie die Mitglieder der Restaurant-Salsa Band, die keine Lust mehr hat auf „Chan Chan“ und „Mi Coracon“ haben.
So schnell wie möglich verlassen wir diese Resteverwertung und bestellen uns in der Casa de la Musica eine Pommes Schranke. Milou und Janneke, die wir eigentlich hier treffen wollen, können wir nicht erspähen. Dafür kleben unsere Blicke an den Paaren, die zur Live Musik Salsa tanzen. Ein altes kubanisches Paar, die sehr stilvoll gekleidet sind und offenbar zur Oberschicht des Landes gehören, hat meine Aufmerksamkeit ganz für sich. Der Opi ist so schick, wie ich mir die Besucher bei einem Konzert des Buena Vista Social Clubs in den 40er Jahren vorstelle.

16.09.2012, Sonntag – Camagüey

Nicht nur das Eis schmilzt in Camagüey

Camagüey ist definitiv der heißeste Ort, an dem wir bisher in Kuba waren. Es ist so heiß, dass sich auf meiner Schulter unter der Haut kleine Wasserbläschen gebildet haben, so als ob der Schweiß unter der Haut nicht abfließen kann.
Wir sind mitten in der Mittagssonne hier angekommen. Im Bus mussten wir uns von Janneke und Milou verabschieden, die weiter bis in den äußersten Osten fahren, um von Bayamo aus den höchsten Berg Kubas zu besteigen.
Camagüey dient uns nur als Zwischenstation auf dem Weg nach Playa St. Lucia, wo wir am Strand die Seele baumeln lassen wollen. Der Weg dorthin soll ein Abenteuer werden. Es gibt nämlich keine regelmäßige Busverbindung. Entweder muss man sich in einem der Hotelbusse einen Platz ergattern, mit einem der russischen Personen LKWs fahren, die eigentlich nur Kubaner nutzen oder mit dem Zug nach Nuevitas tuckern, was aber nur auf dem halben Weg liegt und eine anschließende Taxifahrt erfordert. Das Taxi von Camagüey direkt ist mit 70 CUC (50 €) zu teuer.
Wir beschließen von Viazul Busbahnhof zum lokalen Busbahnhof zu fahren, um uns dort auf einen der Personen-Trucks einzubuchen.
Als wir den Busbahnhof verlassen wollen, werden wir von einem Schwarm Taxifahrer belagert. Ich weiß gar nicht, wen ich anschauen soll. Alle schreien und fuchteln mit ihren Händen. Schließlich wenden wir uns einem zu, der gut Englisch spricht. Als wir ihm sagen, dass wir zum lokalen Busbahnhof und anschließend mit dem LKW nach St Lucia wollen, bietet er uns die Fahrt für 40 CUC (28 €)  an. Das ist fast die Hälfte vom offiziellen Preis und relativ günstig.
Aber wir haben uns doch auf das Abenteuer gefreut. Auf der anderen Seite ist es viel zu heiß, um mit dem Rucksack herum zu laufen und ein Abenteuer zu organisieren. Da ist es auch schon wieder vorbei mit unserem eisernen Entdeckerwillen und wir verabreden uns mit dem Taxifahrer für 18 Uhr an einem Platz in der Stadt. Adé Abenteuer.

Unsere Backpacks können wir für 3 CUC (2,10 €) im Grand Hotel lassen.
Auf der Maceo Straße wollen wir Souvenirs kaufen. Leider sind die angebotenen Mitbringsel meist kitschig und uninteressant. Porzellanteller mit floralem Print und Che T-Shirts kann ich auch in Deutschland kaufen.
Zufällig kommen wir an der berühmten Eisdiele Copellia vorbei. Die Beliebtheit lässt sich deutlich an der langen Schlange vor dem Eingang erkennen. Das müssen wir überprüfen.
Wer sich in diesem Land irgendwo anstellt, muss immer nach „el ultimo“, dem letzten in der Reihe, fragen. So weiß man, wer wann an der Reihe ist und trotzdem kann man sich zu Bekannten weiter vorn gesellen und quatschen, ohne das System durcheinander zu bringen.
Nach 10 Minuten werden wir von einer Mitarbeiterin herein gewunken. Es geht direkt weiter zur Kasse. Dort müssen wir uns für einen Becher entscheiden, ohne vorher gesehen zu haben, wie er aussieht. Vor dem Eingang war lediglich eine Tafel mit ein paar Becher-Bezeichnungen.
Anne bestellt Banana Split. Ich sage nur „Fresa..?“ und bekommen für 3,5 Pesos Cubanos (0,20 €), die Währung der Einheimischen, ein Pappmärkchen, auf dem „3 Gracies“ steht.

Das Gebäude ist alles andere als das, was wir uns unter einen Eisdiele vorstellen. Es ist so groß wie eine Turnhalle und hat fest montierte Plastikstühle und Tische. Die Eisbecher bekommt man auf runden Metall Tabletts. Ich fühle mich wie in einer Kantine, in der es nur Nachtisch gibt.
Wir stellen uns an der Eisausgabe an. Ein Kubaner mit Cappi, der uns schon die ganze Zeit auf Spanisch irgendwas erzählt hat, erklärt uns, wo wir das Tablett herbekommen und schenkt uns ein Glas Wasser ein, dass es zur Selbstbedienung und freien Verfügung gibt. Auf seinem Tablett liegen vier Eismärkchen, da er meint, dass nur ein Becher zu wenig sei. Tatsächlich haben die meisten Kubaner 2-5 Portionen vor sich stehen. Ein Mann füllt sogar eine Portion in eine Tupperdose, obwohl das Eis schneller schmilzt, als man gucken kann.

An der Eisausgabe portionieren zwei Frauen die Bällchen. Das Eis holen sie aus weißen Plastikeimern oder Säcken, wie in einer Massenproduktion. Dazwischen stehen Eimer mit Keksbröseln und Baieserhaufen. Das ganze richten sie in einfachen Glasschüsseln an.
Bei gefühlten 40 Grad wagt sich niemand, das Eis aus dem Gebäude in die Sonne zu tragen. Meine 3 Kugeln, die ich als Vanille mit Rosinenstückchen deklariere, schmecken sehr lecker. Das Eis ist fast etwas schaumig. Zusammen mit der Karamellsoße, den Keksen und einer Eischaummasse (wie Sahne) ist es perfekt, um an diesem heißen Nachmittag abzukühlen.

Nach dem Eis gehen wir unter der gleißenden Sonne durch die Gassen. Der Friedhof, der aus weißen Marmor- und Steingräbern mit riesigen Kreuzen besteht, blendet im Licht. Hier zwischen den hohen Mauern steht die Luft. Anne wartet unter einem schattigen Baum während ich durch die schmalen Gassen laufe, um mir schnell einen Eindruck und ein paar Fotos zu machen.
Natürlich sind die meisten Gräber direkt von ganzen Familien belegt. Die Grabsteine sind eher klein im Vergleich zu unseren. Dafür sind die Leichname nicht in der Erde eingelassen sondern in Stein einbetoniert und überirdisch.
Zierblumen sehe ich kaum. Wahrscheinlich welken sie bei den Temperaturen bereits nach weniger als einer Stunde.

Von diesem ruhigen Ort soll es zu einem weit aus lebendigeren gehen, dem Obst- und Gemüsemarkt im Westen der Stadt. Im Lonely Planet wird er als der interessanteste Markt Kubas beschrieben. Marktschreier und ominöse Gewürzhändler reichen sich dort angeblich die Hand.
Als wir auf dem Markt ankommen, sehen wir die Gassen aus kleinen bunten Buden. Doch leider haben sie fast alle die Rollläden herunter gelassen. Nur ein langweiliger Getränkestand hat geöffnet. Wir lassen uns enttäuscht vor einer rosa Hütte nieder. In beiden Reiseführern steht, dass heute um dieses zeit definitiv das pure Leben hier spielen soll. Doch wie es aussieht, war der halbstündige Marsch durch die brennende Sonne umsonst.

Ratlos marschieren wir zurück. Eine Gruppe Teenager hat sich am Wegesrand einen kleinen viereckigen Tisch in den schattigen Straßengraben gerückt, um sich ihre Zeit mit Domino zu vertreiben.

Zurück in der Stadt suchen wir Zuflucht in einer klimatisierten Bäckerei. Dort sehen wir zum vierten Mal eine kubanische Frau, die uns nach einem Stift fragt. Generell werden wir in Camagüey die ganze Zeit belagert. Wir sollen Taxi fahren, Casas mieten oder einfach nur Geld locker machen. Das ist ziemlich nervig.
Nach den langweiligen Souvenirgeschäften auf der Maceo sind wir auch wenig motiviert, die Läden auf der Republica anzuschauen. Stattdessen setzen wir uns in ein Restaurant am Platz, an dem wir abgeholt werden und verbringen die Zeit damit, vorbeilaufende Kubaner und Touris anzuschauen - „Leute gucken“, wie man es so schön nennt.

Unser Fahrer, dessen Vermittler uns mindestens fünf mal gesagt hat, dass wir uns um Punkt 18 Uhr treffen (ohne Handys muss man sich schließlich verbindlich und präzise verabreden) winkt uns schon kurz vor der Zeit ins Restaurant rüber.
Wir fahren heute mit einem grünen Oldtimer (wäre ich männlich, wüsste ich jetzt wohl auch die Marke), dessen breite Sitzbänke sind mit rotem Leder bezogen sind. Hinten haben mindestens vier schmale Personen Platz.
Beim Reinsetzen versinken wir, wie auf Omas Couch. Eine Federrung existiert praktisch nicht. Jedes kleinste Schlagloch lässt uns in die Höhe hüpfen.

Die Pimplaune der Kubaner hat auch vor diesem Fahrzeug keinen Halt gemacht. Dort, wo im Türrahmen normalerweise die kleinen Knöpfchen sind, mit denen man die Tür von Innen verriegeln kann, grinsen uns silberne Totenköpfe an.
An der Decke ist kurz vor dem Heckfenster eine Leuchtröhre angebracht, die rot-blau blinkt. Ich habe permanent das Gefühl, die Polizei verfolgt uns.

Die Straßen von Camagüey sind zwar ein einziger Irrgarten, aber die Abzweigung, die der Fahrer gerade genommen hat, kommt uns sehr merkwürdig vor. Über einen engen Schotterweg hüpft der Oldtimer in eine Siedlung.
Er hält vor einem ziemlich heruntergekommenen Holzschuppen. Rechts und links sind riesige Hecken stachliger Kakteen, die vor den Blicken der Nachbarn schützen. Auf der Straße spielen Jungs mit Kieselsteinen eine Art Boccia.
Unser Fahrer, der kaum mit uns spricht, ganz gleich in welcher Sprache, sagt etwas von „mi esposa y nino“. Er holt also seine Frau und sein Kind ab. Wir denken uns ganz romantisch, dass die drei wohl auch etwas Urlaub in St. Lucia verbringen oder dort Verwandte besuchen. Merkwürdig nur, dass sie einen riesen Korb Wäsche in den Kofferraum packen.

Die Frau ist komplett in schwarz-pink gekleidet, vom Zeh bis zum Zopfband. In ihren Ohrläppchen baumeln zwei Paar goldene Kreolen. Ihr Oberteil hat am Dekolleté einen leicht geöffneten Reisverschluss. Wie viele Kubanerinnen, ist sie sehr aufreizend gekleidet und zeigt, was sie hat.
Der kleine Sohn ist eine Wonne. Er ist erst ein Jahr alt und schaut uns mit seinen haselnussbraunen Kulleraugen neugierig und gleich aus mehreren Richtungen an. Dabei zieht er seine Unterlippe zurück und legt den Kopf schief. Er steht auf der Vorderbank und schaut uns die ganze Zeit an. Um seinen dunklen Hals, trägt er ein Silberkettchen, wie der Papa.
Mit dem idyllischen Familienurlaub liegen wir jedoch gewaltig falsch. Wir kurven nur ein paar Straßen durch die Siedlung, bis wir vor einem Haus mit braunem Eisentor halten. Ein ca. 10 jähriges Mädchen mit Down Syndrom bedeutet dem Fahrer zu stoppen und umzudrehen. Sie schaut richtig böse und entschlossen, wie eine erwachsene Frau, die hier die Straße regiert.
Unser Fahrer beachtet sie kaum. Seine Frau und der knuffige Sohn steigen aus und wir fahren weiter.
"Ob die sich wohl gerade getrennt haben?", fragt Anne. So glücklich sahen sie nicht aus. Allerdings hätte sie dann sicher etwas anderes als einen Berg Wäsche mitgenommen.

Jetzt geht es endlich los auf die Straße nach St. Lucia. Es ist mittlerweile dunkel geworden. An der Straße gibt es weder eine Fahrbahnmarkierung noch Straßenlaternen. Sie unterscheidet sich kaum vom grauen Gras rechts und links.
Ein Mal fahren wir auf einen Pferdekarren zu, der erst im letzten Moment sichtbar wird. Er hat kein Licht und keine Reflektoren, durch den wir ihn hätten bemerken können. Wäre einer von uns gefahren, hätten wir ihn sicher gerammt.
Wir halten schon wieder. Unser Fahrer ist hungrig und bestellt sich an einer Imbissbude ein Sandwich und einen Saft. Wir sind mindestens genauso hungrig und wollen endlich ankommen.
Unter dröhnend lauter kubanischer Musik fahren wir 2 Stunden lang auf der Schlaglochpiste in den Strandort an der Nordostküste.
Wir sind im Hotel Costa Blanca untergebracht, das ziemlich weit vom Zentrum entfernt ist. Da es keine Cassa gibt und das Teracero geschlossen hat, ist es dies die einzig bezahlbare Option. Den Check In verschieben wir auf später. Schließlich hat das Hotelrestaurant nur bis 21 Uhr geöffnet und uns bleibt noch eine halbe Stunde zum Essen. Obwohl wir eine Dusche bitter nötig hätten, entscheiden wir uns für den kleinen klimatisierten Raum, in dem auf den Tischdecken noch die Krümel der letzten Gäste liegen.
Gerade kommt ein junges deutsches Pärchen aus der Restauranttür. "Joa, macht satt" sagen sie, als ich frage, wie das Essen schmeckt. Sie sind heute angekommen und total enttäuscht vom Ort. Die meisten Hotels sind geschlossen.
Dass nur 7 km entfernt der Traumstrand Los Cocos und eine Lagune voller Flamingos liegt, wissen sie gar nicht. Wer Lonely Planet liest ist klar im Vorteil.
Wir lassen uns erst mal nicht verunsichern und stillen unseren Hunger mit ziemlich fettig gebratenem Fisch bzw. Garnelen und gehen anschließend an die Poolbar.
Dort setzen sich zwei deutsche Jungs zu uns, die eine Exkursion von ihrem Geographiestudium in Kuba machen.
Sie empfehlen uns als Reiseziel Baracoa, ganz im Osten, falls uns St. Lucia nicht gefällt. Mit Ihren Locken und Bärten machen sie einen total entspannten und alternativen Eindruck. Schade, dass sie morgen schon abreisen.
Geschafft vom Reisetag schließen wir früh die Augen. Die Klimaanlage bläst kühle Luft ins Zimmer. Endlich.

17.09.2012, Montag – Playa St. Lucia

Vor uns das Meer, hinter uns eine Lagune mit Flamingos

Habt ihr schon mal Flamingos in ihrem natürlichen Lebensraum gesehen? Einfach so, in freier Wildbahn? Ich schon!
Und zwar in der Lagune am Playa los Cocos. Das Wasser ist seicht und warm. Am Ufer wächst viel Gestrüpp und mitten im See tummeln sich ganze Schwärme der orange-rosanen Vögel. Einige stehen in einer Reihe nebeneinander und schlafen, den Kopf ins Gefieder gesteckt. Andere stochern mit dem Schnabel im Wasser nach etwas Essbarem. Insgesamt sind es sicher 100 Tiere, die wir hier beobachten können. Drei fliegen sogar über uns hinweg auf das Meer hinaus. Fliegende Flamingos sehen total unbeholfen aus. Ihre Beine und ihr Hals sind viel zu lang und schlackern in der Luft herum.

Der Strand liegt zwischen der Lagune und dem Meer und ist max. 80 m breit. So gibt es zu beiden Seiten etwas zu beobachten. Wir liegen unter einem mit Palmenblättern gedeckten Schirm. Das Meer sieht herrlich aus. Es schimmert türkis, blau und hellblau. Der Sand ist grob und besteht aus kleinsten Muschelteilchen, die anhänglich am Körper kleben. Im Bucanero, dem Strandrestaurant essen wir frisch gefangenen, köstlichen Fisch, Garnelen und Hummer. Hach, was geht es uns gut.
Der Strand in St. Lucia, dem Ort, in dem wir wohnen, kann da um Längen nicht mithalten. Er ist total verdreckt von Algen und ziemlich schmal.

Leider startete der Tag nicht ganz so idyllisch. Unser Hotel Costa Blanca hat den Preis für die lauteste Unterkunft Kubas verdient. Durch die leichten Türen, die aus Aaluminiumlamellen bestehen, dringt jedes Geräusch. Zudem mündet der lange Flur, an dem die Zimmer liegen, an der Rezeption im Eingangsbereich. Dort ist immer reger Betrieb und heute Morgen um 6 Uhr ging der altertümliche Drucker los, der noch auf Lochpapier druckt und jede gedruckte Seite mit einem Quietschen verabschiedet.
Beim Frühstück hatten wir die Wahl zwischen Schinken-, Käse- oder Schinkenkäsetoast. Wir können es nicht mehr sehen. In Deutschland essen wir sowas nie. So sehr wünschen wir uns ein Müsli, Obst und Jogurt oder ein Körnerbrötchen. Meinetwegen auch Reis mit Gemüse, wie in Thailand, hauptsache nicht mehr dieses grässliche Toast, das den Hunger nur steigert.
Nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg, um unsere nächsten Schritte zu planen. Dazu laufen wir von A nach B nach C wieder nach B und schließlich A um bei B zu landen.
Irgendwie suchen wir uns auch immer die prallste Mittagssonne für diese Märsche aus. Ich bekomme Sonnenbrand auf dem Stück Schulter, dass zwischen Kleid und Handtaschenträger liegt.
Da im Costa keine dritte Übernachtung möglich ist, buchen wir bei Cubatour  deshalb eine Nacht im Gran Club St. Lucia, dem Stern der Hotelmeile für 31 CUC (22 €) pro Person. Der Preis unterscheidet sich nur um 3 CUC von den Mittelklassehotels.

Der Transfer  nach St. Clara lässt sich schwer organisieren. Irgendwie können die Mitarbeiter von Cubanacan nicht herausfinden, wann die Busse von Camagüey abfahren, sodass wir wissen, wann wir uns ein Taxi nehmen müssen.
Im Lonely stehen 4 Busse täglich, aber in der Nebensaison ist auf diese Info nicht allzu viel verlass. Nach dem Strand- und Organisiertag bin ich ziemlich k.o. und schaff es mit Mühe, mich bis 10 Uhr wach zu halten.
                         

18.09.2012, Dienstag – Playa St. Lucia

Muchacho, bring mir noch einen Daiquiri, por favor. - All Inclusive Backpacking


Wir sind mitten im Dschungel. Die Luft besteht nur noch aus Feuchtigkeit. Der Schweiß läuft uns in Bächen vom Körper. Danke, Evolution oder Gott, dass du uns Augenbrauen und Wimpern geschenkt hast. Mit dem verklebten Bundeswehrtaschenmesser von Annes Exfreund zerlegen wir das Wildschwein, das Bernardo für uns erlegt hat.
Der große dunkle Kubaner, der nur aus Muskeln besteht, ist im Dschungel groß geworden. Wir nennen ihn Mogli. Mit der bloßen Hand hält er den Hals des Schweins zurück, um ihn mit dem Messer durchzuschneiden. Wie sollen wir bloß in dieser tropischen Nässe ein Feuer anzünden? Bernardo zeigt uns, wie wir das Holz aneinander reiben müssen. Tatsächlich gelingt es uns. Wir nagen das Fleisch vom Knochen. Es ist haarig aber köstlich.

Und jetzt die true Story: Der alte dickliche Taxifahrer Bernardo hat uns von unserem unliebsamen Hotel Costa Blanca in das 2 km entfernte Gran Club Santa Lucia gefahren. Wir sind zu Flashpackern mutiert und machen einen Tag All Inclusive Urlaub im besten Hotel der Stadt. Kurz vor 10 Uhr checken wir ein und hetzen zum Frühstücksbuffet.
Mit den Poolhandtüchern reservieren wir noch schnell zwei Sonnenliegen. Sorry, wir kommen aus Deutschland.
Um 9.57 Uhr sitzen wir im Restaurant und grasen das Buffet ab, bevor uns die Kellner die Joghurtlöffel aus der Hand nehmen können. Es ist ja nicht so, als hätten wir heute noch nicht gefrühstückt, aber das langweilige Schinkensandwich im Costa Blanca kommt gegen dieses Schlaraffenland einfach nicht an.
Auf unserem Teller landen Obst, Crêpes, mit Puderzucker überhäufte Croissants, Wiener Würstchen und sogar Hackfleisch. Und das alles gleichzeitig. Mhhh, All Inclusive Backpacking ist toll! Wir sind nicht die einzigen Verfressenen. An einem Tisch sitzen vier französische Kanadier, die figürlich glatt bei Rosanne mitspielen könnten.

Als wir uns auf die Liege an den Pool legen, fängt hinter uns auf einer Bühne der Ballettunterricht an. Wir hüpfen erst mal ins Wasser. In 1 3/4 h wird das Lunchbuffett eröffnet. Vielleicht gibt es ja tatsächlich Wildschwein.

Aber erst schwimmen wir durch den reißenden Fluss zum Wasserfall. Wir schütteln an einer Palme und schlagen die runtergefallenen Kokosnüsse an einem Felsen auf. Ähm ich meine natürlich: Aber erst springen wir in den Pool und schwimmen zur Poolbar. Wir setzen uns auf die im Wasser eingelassenen Barhocker und lassen uns einen Daiquiri reichen.
Bernardo wird langsam etwas aufdringlich. Wir fesseln ihn an die Palme und überlassen ihn seinem Schicksal. Die ersten Geier kreisen schon am Himmel.
Alias: mich nervt ein Mosquito und ich schlage ihn auf meinem Fuß k.o. Ein Hund schnuppert an dem toten Insekt.

Apropos Tiere. Hier in der Anlage gibt es einen künstlich angelegten Flusslauf, dessen Bett betoniert ist. An einer breiteren Stelle recken zwei steinerne Zier-Flamingos ihren Hals in die Höhe und in nur einem 10 m entfernten Becken haben es sich tatsächlich zwei echte Flamingos gemütlich gemacht. Sie stochern mit ihren Schnäbeln im grünlich abgestandenen Wasser.
Ich frage mich kurz, ob der Daiquiri schon Halluzinationen verursacht oder wir doppelt sehen, aber es handelt sich tatsächlich um zwei steinerne und zwei echte Daiquiris, äh Flamingos.

Damit auch schon zur nächsten Frage: Was für Leute machen eigentlich All Inclusive Urlaub? Uns fallen nur negative Attribute ein: verfressen, Alkoholiker, faul, unselbstständig, oberflächlich, Kulturbanausen, hochnäsig und verwöhnt. Hm, genau wie wir eben!
Anne macht das Bild perfekt und pfeilt sich am Pool die Nägel.

Puh normalerweise fühle ich mich erst abends überfressen. Hier erreiche ich den Zustand schon mittags. Dabei hab ich doch grad nur ein bisschen Salat mit Rindfleischstreifen gegessen...und ein bisschen Obst und ein bisschen Reis und Kartoffelbrei naja und Annes flambierten Bananencrèpe hab ich nur kurz probiert. Ach ja und die zwei Frühstücks…Egal. Es ist jedenfalls herrlich, eine große Auswahl zu haben und nicht gelangweilt in ein Schinkensandwich beißen zu müssen.

Im Restaurant sind ganz schön viele Gäste. Ich frag mich, was die die ganze Zeit machen? Am Pool sind sie jedenfalls nicht. Vielleicht gucken sie im Zimmer TV, weil es ihnen vor 18 Uhr zu heiß ist.
Das Hotel ist total auf Kanadier ausgelegt. Ein Koch trägt sogar eine Schürze mit einem roten Ahornblatt drauf.

Am Nachmittag ist es vorbei mit der gefräßigen Ruhe. Wir werden animiert. Ein Team von ca. 8 Animateuren will uns bespaßen. Zuerst sollen wir Dart spielen, dann Salsa lernen und später beim Ringe werfen aus dem Wasser heraus mitmachen.
Bei diesem Spiel gibt es eine Flasche weißen Rum zu gewinnen. Jetzt lernen wir die klassischen All Inclusive Urlauber richtig kennen. Denn das Spiel ist genau das Richtige für die eh schon ziemlich angetrunkenen Kanadier, die vor uns in der Reihe Liegen sitzen. Sie sind eine Gruppe von 8 Pärchen zwischen 40 und 50, allesamt Burger-hüftig und Bier-bäuchig. Einer trägt auf seiner Glatze ein grün-rotes Kopftuch der portugiesischen Fußballnationalmannschaft, auf dem Ronaldo steht. Als er mit dem Ring den Kegel trifft, lässt er ziemlich eindeutig die Hüften kreisen. Das ist ekelig und Fremdschämen pur.

Wir verziehen uns lieber auf unser Zimmer und schreiben unter der Klimaanlage sitzend ein paar Postkarten.
Dann ist es auch schon wieder Dinner Zeit und wir widmen uns einer Beschäftigung, der wir heut ja noch gar nicht nachgegangen sind: ESSEN!

19.09.2012, Mittwoch – Playa St. Lucia

Charakteristika des typischen All Inclusive Urlaubers – Eine Analyse

Es ist aus mit uns. Wir sind total im All Inclusive Modus. Bewegung ist mittlerweile zu einem Fremdwort geworden. Nach dem Frühstück legen wir uns direkt an den Pool und überlegen 3 Mal, ob wir die 300 Meter zum Meer laufen sollen. Zu unserem Ärgernis wohnen wir auch noch in der ersten Etage eines Bungalows. Das sind mindestens 15 Treppenstufen zu viel. Ausflüge machen wir erst recht nicht mehr. Unser Tagesrythmus wird ganz klar durch die Buffetzeiten bestimmt.

Wir essen nicht nur dreimal am Tag, sondern sechsmal, da wir bei jeder Mahlzeit zwei Mal zugreifen. Heute Vormittag überfiel uns dann auch noch eine Gier nach Schokolade, die wir mit Milkyway (was hier wie Mars ist) und Smarties gestillt haben.
Am Nachmittag wird die Tüte Kaubonbons aufgerissen. Zwischendurch halten wir den Zuckerspiegel mit Daiquiri und Pina Colada oben.
Ich kann Anne gerade noch daran hindern, uns gegen 16 Uhr eine Pommes zu holen. Dafür gibt’s abends zwei Portionen Nachtisch. Die Sahne hier schmeckt übrigens wie die Füllung von Negerküssen. Total gut!

Nach dem Dinner bleiben wir noch etwas sitzen. A) weil wir uns nicht mehr bewegen können und b) weil wir All Inclusive Touristen analysieren. Anne hat die Erkenntnis, dass die „Allis“, die zu 90% übergewichtig und zu 50% fettleibig sind, sich keinen anderen Urlaub leisten können, weil sie einfach Unmengen bezahlen würden, äßen sie diese Portionen in Restaurants. Würden sie diese Mengen selber einkaufen und zubereiten, wären sie pausenlos beschäftigt und wahrscheinlich überfordert.

Anne starrt in die Gegend und sagt mit weit aufgerissenen Augen: „Da fühlst du dich noch gut und überlegen und denkst du kannst noch zurück und plötzlich wachst du auf und dann ist es vorbei. Alles schwabbelt."
Was Buddha wohl dazu sagen würde? Nach der Genieße-das-hier-und-jetzt-Theorie wahrscheinlich: „Nimm so viel du kannst und was anschließend in deine Tupperdose passt." Nach dem Motto hat die weise, menschliche Kugel wohl selbst gelebt.

Wir haben ja wirklich nichts gegen wohlgenährte Menschen aber diese Gefräßigkeit beim Dinner ist einfach erschreckend. Am Buffet wird geschubst, gedrängelt und auf den Haufen Hähnchen mit Reis noch eine Viertelpizza gelegt.
Allis sind schamlos: Ganz offensichtlich lassen sie sich die Getränke in Alutrinkflaschen abfüllen und tuppern was das Zeug hält, für den Mitternachtssnack.
Ein Mann zündet sich nach dem Essen im Restaurant sogar eine Zigarette an!

Allis sind ohne jegliches modisches Verständnis: Dass ein enges Top, dass nur bis zum Bauchnabel geht und eine enge fleckige Leggins, die dort anfängt, wo der Bauchnabel vermutlich ist, nicht gerade die schmeichelndste Kleidung für 150 kg Mensch ist, könnte der Mann seiner Ehefrau ruhig mal mitteilen.
Ein ältere Herr im gestreiften Poloshirt, das grässlich zu seiner karierten Hose passt, merkt beim Aufstehen gar nicht, dass sein Shirt hochgerutscht ist und wir freie Sicht auf seinen haarigen pinken Bauch haben.

Allis sind gefährlich: Die Brüste einer Frau sind so riesig, dass eine Brust hat den Umfang ihres Kopfes erreicht. Als sie an meinem Stuhl vorbeigeht, duckt sich Anne kurz weg: "Fast hätte sie dich mit ihrem Mops erschlagen" sagt sie alarmiert und wir lachen.

Allis sind unwissend: Am Buffet fragt mich ein Kanadier, mit Baseballcappi und Muskelshirt, ob das rosa Obst mit den schwarzen Punkten Wassermelone ist. Das hat er wohl noch nicht so oft in seinem Leben gesehen. Wahrscheinlich ist es zu gesund oder zu kalorienarm.

Ich hab ein leicht schlechtes Gewissen, weil ich so läster, aber wäret ihr dabei gewesen, könntet ihr verstehen, wie wir irgendwann eine Abneigung gegen diesen ganzen Überfluss und übermäßigen Verzehr bekommen haben.
Wir wissen, dass wir morgen wieder mit drei normal portionierten Mahlzeiten auskommen werden, auch wenn unser ultragedehnter Magen sicher ab und zu knurrend nach mehr verlangen wird. All Inclusive Urlaub mache ich nie wieder.

Zu Abendaktivitäten sind wir nicht in der Lage. Wir gammeln im Hotel. Es ist jetzt übrigens 21.19 Uhr. Ich kann meine Augen kaum noch offen halten und das Schlimmste ist: Ich habe Hunger.

20.09.2012, Donnerstag – St. Clara

Nach fast zwei Wochen verstehen Anne und ich uns ohne Worte. Ich biete ihr ihren Yoghurt in dem Moment an, als sie mich nach ihm fragen möchte. Sie hält mir die Haribotüte hin, nur nachdem sie aus dem Augenwinkel meinen Blick erahnt. Wie ein eingespieltes Team… ein verschworenes Team… wir müssen beichten.
Heute Morgen am Buffet haben wir uns genauso gierig und verfressen benommen, wie die typischen Allis, über die wir 12 h zuvor noch gelästert haben.
Da uns heute eine Taxi- und Busfahrt bevor steht, brauchen wir ordentlich Proviant und wollen beim Buffet tuppern. Allerdings haben wir keine Tupperdosen und wie immer herrscht Tütenmangel.
Deshalb nehmen wir die Plastikhauben, die als Zeichen der Hygiene über unsere Zahnputzbecher im Bad gestülpt sind. Mittlerweile würde ich mich gar nicht mehr über die Kubaner wundern, die ich am ersten Tag in Havanna mit leeren mitgebrachten Plastiktüten in die Bäckerei gehen sah. Zwei etwas größere Tüten haben wir aus einer Bäckerei in Camagüey behalten.
Die zwei am wenigsten einsichtigen Tische im Restaurant sind schon besetzt. Wir müssen den Tisch an der Treppe nehmen, der allerdings genau neben dem Buffet steht. Als wir unseren Plan in die Tat umsetzen wollen, stellt Anne fest, dass ihre Tüten verschwunden sind. Sie kann sich noch genau an das Geräusch erinnern, das sie abgaben, als sie sie in die Handtasche steckte. Merkwürdig. Auch auf dem Weg und im Zimmer wird sie nicht fündig.
„Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort“, denke ich mit schlechtem Gewissen. Das funktioniert auch bei Ungetauften, die sich nur nach Buddha richten.
Wir packen dafür meine große Tüte voll mit Ananas, Guave, Papaya, Banane und Orange. In meine kleine kommt Müsli mit Banane, dass mit ein bisschen Jogurt grad weich aber nicht flüssig wird. Die Auslaufgefahr ist zu groß.
Der Koch schlendert an uns vorbei, um den Zustand des Buffets zu kontrollieren. Mir ist es zu peinlich, ihn anzuschauen aber unsere Eintüt-Aktion kann unmöglich unbemerkt geblieben sein.

Die anderen Allis konzentrieren sich zum Glück zu sehr auf das Buffet und schenken uns keine Aufmerksamkeit. Der Kellner räumt unsere leer geputzten Teller ab und sagt keinen Ton zu unserem Proviantberg. Er ist eben professionell bis in die Spitzen seiner gegelten Haarlocken. Und durch die Toleranz, die er uns entgegen bringt, lässt das schlechte Gewissen langsam nach.

Es ist doch merkwürdig, wie schnell wir die Bewertung einer Handlung revidieren können, sobald sie durch uns selbst durchgeführt und von der Außenwelt (zumindest scheinbar) akzeptiert wird. Gestern lästern und heute gleich ziehen.
In dem Buch the „Lonely Island“ von Andrea Levy, das den Sklavenaufstand 1832 in Jamaika beschreibt, und das ich gerade lese, spiegelt sich unsere Situation wider. Dort imitiert die 16 jährige schwarze Sklavin July das Verhalten ihrer Missus, die wie alle Weißen von der Zuckerrohrplantage geflohen ist. July, die ihrer Missus jeden Wunsch von den Augen ablesen musste und die Faulheit der englischen fat-batty Dame verurteilte, pudert sich nun nach deren Flucht mit der Schminke der Missus ihr Gesicht weiß, schlüpft in ihre bestickte Seide, spreizt den kleinen Finger ab, und tut, als ob sie Tee aus dem blau weißen englischen Porzellantässchen trinkt.
Dazu hätte ich gerne mal eine Gruppenpsychologie Vorlesung gehabt, Herr Mierke!

Als wir nach dem Frühstück in die Hotel Lobby gehen, um auf unser Taxi zu warten, kommt das Schamgefühl schlagartig zurück.
Statt dem bestellten Taxifahrer, steht dort der Taxifahrer, den wir bei der Ankunft im Gran Club gebeten hatten, uns am Folge-Tag (also Gesten) um 9 vor dem Hotel abzuholen und nach Camagüey zu bringen. Erst später entschieden wir uns dazu, eine Nacht länger zu bleiben.
Ohne Handy hatten wir keine Chance, ihm von unserer Planänderung zu berichten. Stattdessen gingen wir gestern um 09.00 Uhr, vielleicht war's auch schon 09.05 Uhr in die Lobby, um ihm die Änderung mitzuteilen. Leider war er da schon wütend abgebraust.

Am Abend hatten wir dann über das Hotel einen neuen Taxifahrer für heute morgen bestellt. Als dieser uns fragte, ob wir bereits am Vortag einen anderen Taxifahrer gefragt hatten, verneinten wir mit unschuldiger Miene. Und jetzt steht dort unser versetzter Freund mit böser Miene. Wir bekommen ein mulmiges Gefühl.
Es sind noch 10 Minuten bis 9, doch er bekommt keinen spontanen Fahrgast, der uns vor einer Konfrontation retten würde.
Stattdessen taucht unser neu angeheuerter Taxifahrer mit einer schwarz-gelb karierten Krawatte auf. Er unterhält sich mit seinem Kollegen. Sie werfen uns aus der Ferne argwöhnische Blicke zu.
Wir wissen genau worum es geht. St. Lucia ist ein kleiner Ort.
Als wir mit unseren Backpacks auf sie zugehen, lehnen sie mit verschränkten Armen an ihren Autos, wie zwei verärgerte Väter, die ihren Töchtern nach einer Dummheit mal gehörig die Ohren waschen wollen.
Wie alt sind wir noch mal? 26 und 27. Wir könnten eigene Kinder haben, denen wir Manieren beibringen müssen und machen uns wegen zwei alten Kubanern in die Hose? Das geht nicht.
Wir atmen tief durch und entschuldigen uns ganz erwachsen bei dem zuerst angefragten Fahrer und betonen gleichzeitig, dass er um kurz nach 9 Uhr nicht mehr da war, um unsere Erklärung entgegen zu nehmen. Immer schön die Schuld auf die anderen schieben… sehr reif!

Er sagt etwas in Richtung Verlässlichkeit und geplantes Budget. Aber richtig sauer wird er nicht. Wir flüchten schnell in das neue Taxi und kommen schon nach 1 1/2 h in Camagüey an. Diesmal machen wir keine ungeplanten Stops und der etwas modernere Wagen, wahrscheinlich ein Hyundai, hat sogar ein funktionierende Amateuren, die anzeigen, dass wir mit 110 km/h vorwärts kommen.
Dass die Frontscheibe einen riesigen Riss hat und es keine Anschnallgurte gibt, verunsichert uns mittlerweile nicht mehr.

Am Viazul Busbahnhof müssen wir noch 1 Stunde warten, ehe wir im Office das Ticket für den Bus nach St. Clara kaufen können. Das geht erst, wenn der Bus da ist. Warum auch immer.
Der Taxivermittler, der uns vor 4 Tagen den hüpfenden Oldtimer als Transfer vermittelt hat, erinnert sich an uns und schlägt uns ein Taxi für 40 CUC (30 €) vor. Der Bus kostet zusammen 30 (21 €). Wir lehnen dankend ab. Bei 4 Stunden ist die Busfahrt deutlich bequemer.

Die Wartehalle ist allerdings ziemlich ungemütlich. Es wimmelt von Fliegen und ich ziehe mir meine dehnbare Stoffhose bis über die Füße.
Zwei Kubanerinnen wischen den Boden. Dazu schütten sie einfach mehrere Eimer Wasser aus und fegen das Wasser mit einem Gummiabzieher durch die ganze Halle. Eine wischt mit einem Lappen die Reste auf. Das Tempo in Kuba kann man eigentlich nicht Tempo nennen, da es absolut nichts mit Schnelligkeit gemein hat. Die eine setzt sich zwischendurch einfach zu den wartenden Gästen und legt ein Päuschen ein, während die andere seelenruhig weiter wischt.
Sie machen sich einen Spaß daraus, jeden anzuschnauzen, der durch ihren Putzweg läuft. Nach einer Stunde sind sie mit der max. 50 qm großen Halle immer noch beschäftigt.

Im Bus lernen wir ein Schweizer Mädel kennen. Sie hat grad ihre Ausbildung zur chemischen Assistentin abgeschlossen und bereist 4 Monate lang Mittelamerika, bevor sie ihr Studium beginnt. Sie ist erst 20 Jahre jung und hat noch während und nach dem Studium so viel zeit zu reisen.
Wenn ich eins in meinem Leben bereue ist es, dass ich die Semesterferien nicht zum Reisen genutzt hab!

Jedenfalls war die blonde Melanie mit ihrem lila Adidas Rucksack bereits 4 Wochen in der Sprachschule in Havanna, da sie zuvor kein Wort Spanisch sprechen konnte. Sie findet es schwer als allein Reisende in Kuba andere Backpacker kennen zu lernen. Das stimmt.
Da es keine Hostels gibt und in den Casas meist nur 1-2 Zimmer vermietet werden, ist man auf Busfahrten oder Ausflüge angewiesen, um Anschluss zu finden. Melanie ist sympathisch und wir laden sie ein, heute Abend mit uns feiern zu gehen.

In ihrer kurzen Reisezeit hat sie schon unfreiwillig ein kleines Abenteuer erlebt. Eines Morgens überhörte sie den Wecker und hatte noch 10 Minuten Zeit, ihren Rucksack zu packen, als der Taxifahrer bereits an ihre Tür klopfte.
In der Hektik fiel sie mit dem Knie gegen eine Treppenstufe. Als sie im Bus saß, war ihre Hose bereits blutdurchtränkt. Als der Busfahrer das sah, fuhr er den voll besetzten Bus entschlossen zum nächsten Krankenhaus. Dort wurde ihre Wunde genäht. Die restlichen Fahrgäste warteten geduldig 1 1/2 h im Bus und kamen nach und nach ins Krankenhaus, um sich nach ihrem Wohl zu erkundigen. Was für ein herzliches Völkchen. Eile ist für sie ein Fremdwort. Die komplette Behandlung war zudem umsonst. Der Dank gilt dem Sozialstaat.

Auf dem Weg von Camagüey nach St. Clara spüren wir zum ersten Mal, dass Regenzeit ist. Über uns bricht ein Gewitter mit krachendem Donner und gewaltigen Regenbächen herein. Bisher hatten wir echt Glück mit dem Wetter. Melanie war bereits in Havanna, als nachts der Hurrikane Isaac die Straßen überschwemmte und Wände wackeln ließ.

In St. Clara angekommen, erleben wir eine kleine Enttäuschung.
Ich möchte euch daher einen Tipp geben: haltet die Kubaner nicht immer für freundlich und geht nicht immer drauf ein, wenn sie euch ihre Hilfsdienste anbieten. Oft wollen sie leider einfach nur dein Geld.

Melanie hatte an der Busstation von ihren Casa Besitzern geschwärmt, die ihr immer ein Zimmer in der nächsten Stadt vermitteln. So habe sie jetzt auch schon eins und werde sogar abgeholt.
Da wir uns nichts im Vorfeld organisiert haben, fragen wir den Mann, der sie abholt, ob in der Casa ein zweites Zimmer frei ist. „Si si“ bejaht er und wir steigen zu ihm ins Auto.
Die 10-minütige Fahrt müssen wir mit insgesamt 5 CUC (3,50 €) bezahlen. Das hatte ich nicht erwartet. Es klang nach einem kostenlosen Pickup. Außerdem ist die Casa nicht groß genug und Melanie wird spontan in einer Nachbarcasa einquartiert.

Ob wir schon wissen, wo wir zu Abend essen, fragt uns die Besitzerin. Als wir verneinen, preist sie das Restaurant eines Freundes an, das immer voll sei. Aber sie könne uns etwas reservieren. Ich frage nach dem Namen, um zu sehen, ob es im Lonely Planet erwähnt ist. Fehlanzeige. Sie sagt, es sei neu und stehe daher noch in keinem Guidebook.
Wir haben schon ein etwas mulmiges Gefühl. Melanie bringt den Kubanern vollstes Vertrauen entgegen und es ist sicher auch nicht richtig, jedem in der Touristenbranche mit Misstrauen gegenüber zu treten. Also sagen wir zu. (Das war noch nicht die Enttäuschung).

Das Zimmer ist nett und kitschig wie eh und je. In dem großen Kühlschrank liegt ein riesen Brocken Fleisch im Gefrierfach. Ob es sich dabei wohl um ein Problem mit einem Vormieter oder mit einem zu kleinen privaten Kühlschrank handelt? Wir schließen schnell die Tür zu, schalten das Licht aus und holen uns mit einem Power Nap Energie für die Nacht.

Pünktlich treffen wir uns mit Melanie vor der Casa, die von ihrem Casa Besitzer per extrem modernen Mountain Bike begleitet wird. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob er uns aus Freundlichkeit bringt oder weil er sicher gehen will, dass wir nirgendwo anders unsere Scheinchen ausgeben.

In dem so unglaublich beliebten Restaurant ist genau 1 Tisch von einem Backpackerpärchen besetzt, das genau wie wir, hier hergelockt wurde.
Der grausam kitschigen Inneneinrichtung mit Stuhlhussen aus glänzendem Polyester entkommen wir zum Glück in den etwas rustikaleren Innenhof.
Die Talfahrt geht weiter: es gibt keinen Rum und damit keinen Mohito! Ich bin bockig, wie ein kleines Kind.
Cristal Bier hat er auch nur warm im Angebot, sodass ich am Ende Wasser trinke.
Die Menükarte ist definitiv special. Hier wird alles ge-cordon-bleut. Es gibt Fisch Cordon Bleu, Rind Cordon Bleu und Schweine Cordon Bleu. Kein Wunder, Schinken-Käse ist nicht nur auf dem Brot ein Bestseller.
Der Salat besteht aus den üblichen Verdächtigen: Tomate, Gurke, Avocado und sogar zwei verschiedenen Sorten Kohl. Mit Reis und Bohnen gemixt schmeckt das tatsächlicher lecker. Melanie verabschiedet sich nach dem Essen, wegen ihrer Wunde am Knie muss sie Antibiotika nehmen und ist total schläfrig.

Für uns besteht heute die letze Gelegenheit, eine kubanische Partynacht zu erleben. Daher steuern wir den Club Mejunje am Plaza Vidal an. Auf dem Platz und an den Treppen der mächtigen Gebäude rund um den Platz sitzen Gruppen von Jugendlichen und Erwachsenen zusammen. Mit ihnen teilen wir uns an diesen Freitagabend die Nacht.
Beim Mejunje angekommen, gehen wir erst mal in die Bar. Dort stehen einige Tisch-Bank-Kombinationen aus dunklem Holz, wie man sie von deutschen Raststätten kennt. Es sind ausschließlich junge Kubaner hier, die sich an der Bar Espresso bestellen, der in winzigen blauen und gelben Tassen serviert wird.
Heute ist Gay Night, was durch ein riesiges Banner in Regenbogenfarben symbolisiert wird. Aus den Boxen ertönen ausnahmsweise mal keine Salsa- oder Son-Klänge. Der junge DJ legt House auf. Ein Thriller-Remix ist auch dabei. Michael lebt weiter, auf der ganzen Welt.


Wollten wir eine Rede schwingen, hätten wir sicher ungeteilte Aufmerksamkeit. Wir werden von allen Seiten angestarrt. Offensichtlich sind zwei Blondinen auf einmal eine echte Sensation.
Als wir uns mit einem Bier an einen Tisch setzen, dauert es nicht lange, bis sich eine Kubanerin zu uns gesellt. Sie fragt uns in gebrochenem Englisch wo wir her kommen und wie lange wir hier sind. Sie heißt Diamante und trägt ein hellblaues Spaghettitop, das auf ihrer schwarzen Haut fast wie neonblau wirkt. Der Ausschnitt ist gewaltig und die weiße, lange Perlenkette lenkt den Blick zusätzlich auf ihr Dekolleté. Schon nach ein paar Minuten schreibt sie uns ihre Email-Adresse auf, „um in Kontakt zu bleiben“. Sie schenkt uns einen ihrer silbern glänzenden Armreifen, die an ihren Handgelenken schaukeln. Wir freuen uns über diese Nettigkeiten aber wie bei der Casabesitzerin bleibt ein mulmiges Gefühl und die Frage nach der Intention ihrer Offenheit.

Diamantes Freunde sind mittlerweile auch an unseren Tisch gekommen. Ein Typ ist erst 18 Jahre alt. Sein schmales Gesicht ist von Pickeln und Aknenarben übersäht, seine schwarzen, asymmetrisch geschnittenen Haare, die ihm tief ins Gesicht fallen, streicht er mit seinen langen Nägeln zur Seite. Um den rechten Arm trägt er eine dünne grau gemusterte Stulpe. Zur elektronischen Musik bewegt er ihn in abgehackten Bewegungen, die er Break Dance nennt. Wahnsinn, ich habe einen kubanischen Emo kennen gelernt. Ich hätte nie gedacht, dass diese Seuche bis nach Kuba gelangt!

Die fünf Freunde reißen sich förmlich um unsere Aufmerksamkeit. Manchmal weiß ich gar nicht, wem ich zuhören soll. Um 11 Uhr gehen wir in den Club im Innenhof des Gebäudes. Ein Dach gibt es hier nicht mehr.
Nach der Grottenparty in Trinidad sind wir nun auf einer Ruinenparty.
Diamante kennt die Türsteher. Sie nimmt Anne an der Hand und zieht uns vorbei an der Schlange. So sparen wir uns den Eintritt.

Heute ist unsere letzte Chance Salsa zu lernen. Also stimmen wir zu, als wir von Diamantes Freunden aufgefordert werden. Ich bin überrascht, wie einfach es geht. Linker Fuß zurück, linker Fuß vor. Rechter Fuß zurück, rechter Fuß vor. Das ganze dann mal zur Seite und mal mit einer Drehung kombiniert.
Um richtig in Schwung zu kommen, bräuchte ich mehr Platz und etwas anderes als Flip Flops an den Füßen. Also bedanke ich mich recht schnell und wechsel wieder in den deutschen lockeren Vom-einen-Bein-aufs-andere-wiegen-Tanz.

Dann finden wir den Grund für Diamantes Nettigkeit heraus. Sie sagt, dass sie die Getränke hier günstiger bekommt als wir. Mit den 1,50 CUC (2 €) holt sie gleich 5 Becher Rum-Minz-Gemisch. Jetzt sind neben uns schon mal 3 unserer kubanischen "Freunde" versorgt.
Als Anne und ich uns in einem unbeobachteten Moment allein Bier kaufen, fordert sie, davon etwas in ihren Becher zu bekommen. So leicht lässt sie sich nicht abschütteln.
Andauernd sagt sie uns, wir sollen hierhin oder dahin mitkommen. Langsam haben wir keine Lust mehr.

Die vier bochumer Geographiestudenten, die wir an unserem ersten Abend an der Poolbar in Playa St. Lucia kennen gelernt haben, kommen wie gerufen. Milan, Stefan, Florian und Sebastian waren in der Zwischenzeit in Santiago de Cuba und machen auf ihrem Rückweg nach Havanna wie wir einen Zwischenstopp in St. Clara.

In der Party-Hauptstadt Kubas schließen die Clubs untypisch früh. Um 1 Uhr werden im Mejunje die Türen verriegelt. Die Nacht ist noch jung und die Menge zieht weiter auf den Plaza Vidal. Sebastian geht kurz verloren und taucht wenig später mit einer Kubanerin im Schlepptau wieder auf. Milan holt bei Rapido, der kubanischen Fast Food Kette, Biernachschub. Mein Wunsch nach Mohito wird heute wohl nicht mehr erhört. Wir setzen uns auf die hohen Treppen vor das Schnellrestaurant und quatschen.

Ich weiß gar nicht mehr wie ich mit dem kubanischen Rastafari ins Gespräch gekommen bin, jedenfalls unterhalte ich mich plötzlich mit - ich nenne ihn mal - Bob. Bob hat lange Dreads, die unter seiner grün-gelb-rot gestreiften Wollmütze zusammen gehalten werden. Er ist spindeldürr. An seinem Hals zeichnen sich deutlich die Adern ab.
Unter seinem Arm klemmt eine Plastiktüte, in die er einen Collegeblock eingewickelt hat. Er blättert durch die Seiten und zeigt mir eine Liste deutscher Vokabeln, die er bei einem Besuch seiner Schwester in Göttingen gelernt hat, die selbstverständlich auch seine Flüge bezahlt.
Aus seinem Portemonnaie holt er ein Foto und zeigt mir stolz ein Bild von ihm und seiner deutschen Freundin. Ein relativ junges Mädel mit rundem weißen Gesicht und rötlichen Haaren drückt Bob auf dem Bild einen Schmatzer auf die Wange. Er grinst in die Kamera.
Bob liebt Reggae und war schon mehrere Male beim Summer Jam in Köln, auf dem ich selbst ein paar Sommer hinter einander zu den Konzerten weltberühmter Reggaegrößen getanzt habe.
Freudig zeigt er mir in seinem Block kleine Papierbilder von Gentleman, Seed, Natty King, Fantan Mojah und Co. Wir singen zusammen "Old Papa Noah" und ich bin froh, mich mit einem Kubaner zu unterhalten, der weder an mein Geld noch an meinen Hintern will.
Als wir gehen, malt er mit meinem Lipgloss seine Emailadresse auf ein Blatt und ich schieße ein Foto davon. Dank Facebook werde ich also weiter sehen, was der kubanische Rastamann so treibt.
Ich wundere mich, dass es in Kuba nicht mehr Gestalten wie Bob gibt, schließlich ist Jamaika nur einen Katzensprung entfernt.

Wir verabschieden uns von den Bochumer Jungs. Milan läuft mit uns noch ein Stück die Straße hoch, um sicher zugehen, dass wir nicht verfolgt werden.
Ich habe mich in Kuba bisher noch nie unsicher gefühlt. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich in dieser Nacht alleine nach Hause laufen würde. Zu zweit mit Anne fühle ich mich definitiv besser.

Die Jungs fahren wie wir morgen nach Havanna. Allerdings entscheidet das Wetter, ob sie an den Stadtstrand Playa del Este oder in die Stadt fahren. Falls es regnet, verabreden wir uns für halb neun im Bodiga de Medio, der Bar, in der Hemingway seinen Mohito getrunken hat und in der man sich nach dem Getränk mit einem Stift an der Wand verewigen kann. Irgendwann zwischen 3 und 4 Uhr fallen wir ins Bett mit einer Aussicht auf maximal 3 Stunden Schlaf.


21.09.2012, Freitag – Havanna

Der Kreis schließt sich

Als der Wecker klingelt, kommt es mir vor, als hätte ich grad eben erst die Augen geschlossen. Naja das stimmt ja auch beinah. Wir quälen uns aus dem Bett, da wir den 07.30 Uhr Bus nach Havanna nehmen müssen.

Damit haben wir St. Clara zwar nie bei Tageslicht gesehen, aber unsere Intention für den Stop war ja eh die Partynacht.
Um 7.10 Uhr ist weit und breit kein Taxi zu sehen. Merkwürdig. Unsere Casa Besitzerin ist auch noch nicht wach. Sie hat uns am Vorabend sowohl Taxi als auch Frühstück versprochen. Ich laufe durchs Haus und klopfe an ein paar Türen, die nicht zu unserem Zimmer führen.
Im Pyjama schlurft sie schließlich aus einer dieser. Schnell schmiert sie uns zwei Sandwiches und holt aus dem Kühlschrank eine Tüte mit bereits am Vorabend geschnittenem Obst. Mineralwasser hat sie nicht. Stattdessen bekommen wir eine Plastikflasche abgekochtes Wasser.
Mittlerweile wach genug zum Sprechen sagt sie uns, dass sie gestern kein Taxi für uns rufen konnte, da das Auto ihres Fahrers kaputt ist. Als ich ihr verärgert antworte, dass sie uns darüber hätte informieren oder ganz einfach ein staatliches Taxi rufen sollen, zuckt sie gleichgültig mit den Schultern. Mittlerweile sind es nur noch 15 Minuten bis (der einzige) Bus nach Havanna abfährt. Den verpassen wir hundertprozentig.

Mit einem Funken Hoffnung laufen wir zur Hauptstraße Maceo runter. Schon auf dem Weg spricht uns ein Mann an, ob wir ein Taxi brauchen. Dankbar steigen wir in seinen alten roten Wagen, dessen Tür mit einem Knarren schließt.
Am Viazul Busbahnhof springen wir aus dem Auto und fliegen ins Ticketbüro. Mittlerweile ist es 7.25 Uhr. "Das Ticket könnt ihr erst kaufen, wenn der Bus da ist" hören wir die bekannte Leier.
Aber wie: der Bus ist noch nicht da, obwohl er in 5 Minuten fahren soll? Ja, er hat Verspätung und kommt und 08.20 Uhr, so ungefähr. Das ist in einer Stunde! Na super, die ganze Hektik war umsonst. Wir lassen uns auf den Boden fallen und warten an die Mauer gelehnt.
Ich widme mich dem Frühstück und mag die Casa Trulla noch weniger, als ich feststelle, dass sie zwei ham and cheese statt einem Schinken- und einem Käsesandwich geschmiert hat. Ich kann Käse doch nicht ausstehen und puhle angewidert die von der Wärme leicht glänzende gelbe Schicht von meinem Brot.
Die bestellte Ananas entpuppt sich als Mango, was in Ordnung geht.

Es gibt in Kuba drei Busgesellschaften. Astro ist eine Buslinie, die ausschließlich Kubaner transportiert. Viazul ist für alle offen und fährt nur von Busbahnhof zu Busbahnhof, die meistens etwas außerhalb der Stadt liegen. Transtour nimmt ebenfalls alle mit und hat meist zentralere Pickup Punkte in der Stadt.
Natürlich werden die letzten beiden hauptsächlich von Touris genutzt, da sie vermutlich weit aus teurer sind. Eine merkwürdige Sitte herrscht bei allen drei Firmen. Bevor es los geht, wird grau-blauer Rauch in den Gepäckraum geblasen, der extrem nach Abgasen stinkt.
Die Maschine, mit der er produziert wird, sieht sehr selbstgebastelt aus. An einen Kanister ist eine Art Rohr befestigt, das der Länge nach durchaus ein ausgedienter Auspuff sein könnte. Die beiden Elemente sind durch etwas miteinander befestigt, was wie der Motor einer Kettensäge aussieht. Die verschiedenen Teile der abenteuerlichen Konstruktion werden durch Kabelbinder zusammen gehalten.
Mir fällt nur ein Grund für diese Aktion ein. Durch die Abgasattacke wollen sie verhindern, dass sich blinde Passagiere oder Tiere im Gepäckraum befinden. Die feine englische Art ist das nicht und unsere Backpacks stinken nach jeder Fahrt wie eine Tankstelle.
Als wir endlich los fahren, schaue ich aus dem Fenster und verabschiede mich von St. Clara. In einem Hauseingang sehe ich tatsächlich den Rasta Bob sitzen. Sein Kopf ist zur Brust geneigt. Schlafend hält er seinen Collegeblock mit beiden Händen umklammert.

An einer Raststätte verpassen wir den Bus beinah, da wir im Souvenirshop vor dem CD Regal gefesselt sind. Wir wollen unbedingt die Klänge des kubanischen Lebensgefühls mitnehmen. Wenn wir nur etwas mit den Titeln und Namen der Interpreten anfangen könnten. Ich bin schon darauf gespannt, zuhause dieses musikalische Ü-Ei auszupacken.
Zum Glück sind die Busfahrer in Kuba sehr aufmerksam (oder wir einfach auffallend). Sie spüren uns immer wieder auf, wenn wir nicht rechtzeitig im Bus sitzen.

Ein Mann in blauer Uniform, ich weiß nicht, ob er zum Buspersonal gehört, bietet uns einen Transfer vom Busbahnhof in die Altstadt von Havanna für 4 CUC (2,80 €) an. Das ist recht günstig, dafür auch abenteuerlich. Zuerst werden unsere Rucksäcke auf die Ladefläche des weißen Transporters geworfen, dann noch ein paar weiße Plastiksäcke, die was auch immer beinhalten und schließlich werden wir aufgefordert, auf zwei Stühlen Platz zu nehmen, die seitwärts zur Fahrtrichtung auf der Ladefläche befestigt sind. Safety first!

Ich habe das Gefühl, dass sich 90 % der Kubaner mit gelegentlichen Fahrdiensten ein paar CUC dazu verdienen. Höchstens 70 % der Autos, die uns bislang transportiert haben, sind von außen als Taxi erkennbar. Und nur 20% davon haben ein Meter und Funk.
Die Kubaner sind Meister der Improvisation und des halblegalen Nebengeschäfts.

Wir lassen uns zu Raffaella und Pepe, unserer ersten Casa, bringen.
Anne nimmt dankbar ihre grüne Regenjacke entgegen, die sie hier vor zwei Wochen im Schrank vergessen hat. Leider ist in unserer Homebasis kein Zimmer mehr frei. Die flotte Raffaella weiß natürlich Rat und telefoniert mit ihrer Nachbarin, deren Casa Zimmer grad frei geworden ist. So müssen wir nur ein Haus weiter ziehen und legen uns kurz aufs Bett, während sie das Badezimmer reinigt.

Der Nachmittag ist dem Souvenirshopping und der Rückreisevorbereitung gewidmet. Auf dem Obst- und Gemüsemarkt decken wir uns mit Ananas und Gurken ein. Der junge Marktverkäufer, von dem wir schon einige Stücke Melone an unseren ersten Tagen in Kuba gekauft haben, erkennt uns wieder. "Mi amigas aleman!" ruft er uns strahlend zu und fragt, wie es in Vinales war.
Wir erzählen ihm, wo wir außerdem überall waren und er fragt, wann wir zurück nach Kuba kommen. Dann besteht er noch auf ein Abschiedsfoto, damit er uns in Erinnerung bleibt. Als Andenken schenkt er uns drei Orangen und gibt uns alles zu
einem Freundschaftspreis.

Das Obst in der Casa deponiert, streifen wir durch die Einkaufsstraßen von Habana Vieja und erstehen Zigarren, Rum und Süßigkeiten. Von meinen letzten CUC kaufe ich mir einen Fotoband über Che Guevara. Sein Konterfei ist überall in Kuba zu sehen und weckt bei mir viele Erinnerungen.

Unsere Henkersmahlzeit besteht aus einer gemischten Arabischen Platte mit Köstlichkeiten wie Hähnchen, Hummus, Tabuleh und Pitabrot. Ich kann abschließend sagen, dass ich kein Fan der kubanischen Küche geworden bin.

In die Bar Bodiga de Medio gehen wir nicht mehr. Keine Moneten - kein Mohito. Da die Sonne scheint, vermuten wir eh, dass die Bochumer Jungs an den Strand statt in die Stadt gefahren sind. Ich schaffe es grad, bis 21 Uhr meine Augen auf zu halten. Die letzten Stunden in Kuba verbringe ich im Tiefschlaf.

22.09.2012, Samstag – Havanna – Toronto

Wie sieht man ganz Toronto in einer Stunde?

Um 05.35 Uhr klopft der Taxifahrer an die Tür unserer Casa.
Wow, dieses Auto hat sogar Anschnallgurte und Haltegriffe über dem Fenster. Wir sollen uns wohl langsam wieder an den westlichen Standard gewöhnen.

Wer hat eigentlich dieses dumme Gerücht "Man muss bei internationalen Flügen 3 h vor Abflug am Flughafen sein" erfunden? Unsere Casa Mutter hatte uns das erst gestern wieder eingebläut. Und nun stellen wir fest, dass der Air Canada Schalter erst 2 h vor Abflug öffnet. Wir ärgern uns über die verschenkte Stunde Schlaf und setzen uns zur Asiatin mit dem "University of Toronto" Pulli, die offenbar als Einzige noch früher als wir da war.

Beim Check In amüsieren wir uns über zwei Kanadier, die fassungslos feststellen, dass sie ihre Rückreise einen Tag zu früh antreten wollen. Die kubanische Angestellte bekommt unter ihrem Kichern nur noch ein "manana manana" hervor. Wir stimmen in das Lachen ein. Vom Stimmungshoch geht es direkt ins Stimmungstief. Ich kann in meinem Reisepass mein Touristenvisum nicht mehr finden. Ich durchwühle alle Taschen, doch der kleine grüne Papierschnipsel ist unauffindbar. Unser Gepäck dürfen wir schon mal einchecken, aber ich muss mit dem Supervisor zum Immigrationsbüro laufen. Zum Glück habe ich noch andere Einreiseformulare aufbewahrt, die ich ihm zusammen mit meinem Pass gebe. Wir setzen uns vor dem Office auf den Boden und warten.

Die Mitarbeiterinnen, die in den kleinen Kabinen sitzen und prüfen, ob dass Foto auf dem Pass zur Person passt, beginnen gerade ihre Schicht. In ihren engen grau-grünen Blusen und den dunkelgrünen Miniröcken stolzieren sie von allen Seiten zu dem Büro, um sich dort ihren Stempel abzuholen.
Sie begrüßen sich mit einem "Buena" (kubanisch faule Abkürzung für buenas dias) und geben sich einen lauten Schmatzer neben die Wange. Wir hören von allen Seiten Küsse durch die Luft fliegen. Es ist richtig laut.
Anne wirft einen Blick in das Office, in dem drei Männer offenbar nichts Weiteres tun, als gelangweilt an ihrem Schreibtisch zu sitzen. Nach ein paar Minuten steckt einer von ihnen den Kopf durch die Tür, ruft „Hanniii“, gibt mir meinen Pass wieder und wünscht uns "lucky travel".
Das war unkomplizierter und vor allem günstiger als gedacht. Juhu!

Zurück am Schalter bekommen wir unsere Flugtickets und fallen vom Hoch erneut ins Tief. Unsere Maschine hat 4 Stunden Verspätung! Das sind dann insgesamt 5 Stunden, die wir länger in der Tiefschlafphase hätten verbringen können. Wir verlassen geknickt das zu kühl klimatisierte Gebäude und legen uns wie zwei Penner neben dem Parkplatz auf eine Bank zum Schlafen.

Etwas entfernt sitzen die zwei Kanadier, die sich im Datum geirrt haben. Sie mildern den Schreck mit einer Dose Bier. Das Wort "fucking" fällt in Ihrer Unterhaltung ungefähr 10 Mal pro Minute und wird von ungläubigen Lachanfällen abgelöst.
Wir stellen uns den Wecker und machen die Augen zu.

Der Hunger zwingt uns, in Kuba Mittag zu essen. Dabei hatten wir auf Flugzeugfraß gehofft. Wie befürchtet gibt es am ganzen Flughafen nur den kubanischen Nationalsnack: Käse- und/oder Schinken-Sandwich. Bitte nicht schon wieder.
Wir improvisieren und greifen zu einer Tüte Maischips mit Knoblauchgeschmack. Klingt ekelig, schmeckt aber ganz geil. Die Chips knuspernd beobachten wir, wie mehr und mehr Nicht-Kubaner an der Theke enttäuscht auf die in Plastikfolie gehüllten Beispiel-Sandwiches in der Auslage starren.
Drei Kanadier entscheiden sich für einen Pringles-Lunch und wünschen uns mitleidig guten Appetit.

Um 14 Uhr heben wir endlich ab und landen drei Stunden später in Toronto.
Unseren ursprünglichen Plan, dort ein Auto zu mieten und die Niagarafälle zu bestaunen, können wir uns abschminken. Dabei haben wir Glück, dass wir die Rückflugsoption mit zehn Stunden Aufenthalt ausgewählt haben. Hätten wir den zwei- oder fünfstündigen Zwischenstopp gewählt, hätten wir unseren Anschlussflug verpasst. Die vier Stunden, die uns nun zwischen Landung und Weiterflug bleiben, wollen wir sinnvoll nutzen.
Mit Bus und Metro fahren wir in das Stadtzentrum hinein. Das dauert zwar ne ganze Stunde, ist aber mit 3 $ pro Person 32 $ günstiger als ein Taxi.

An der Union Station im Financial District verschlägt es uns die Sprache. Einen krasseren Gegensatz zu Kuba könnten die riesigen, glänzenden Türme, die zweifelsohne an den Wolken kratzen, nicht bilden. Die Straßen sind breit und auf den Anzeigen der Ampeln müssten selbst Blinde noch etwas erkennen können. Alles ist sauber, modern und strahlt Wohlstand aus.

Mit dem Stadtplan an der Hand laufen wir durch die sonntäglich ausgestorbenen Straßen zum CN Tower. Das knapp 400 m hohe Wahrzeichen der Stadt  hat noch bis 20 Uhr auf.
Genug Zeit für einen Kurzbesuch. Der mit 22 km/h aufsteigende Fahrstuhl lässt unsere Ohren erneut ploppen, als wären wir noch im Flieger.
Oben angekommen liegt uns die riesige Stadt zu Füßen. Die Häuser reichen bis an den Horizont. Im näheren Umkreis des Towers sind es fast ausschließlich metallene, spiegelnde Bürotürme oder Veranstaltungshallen.
Gut gefällt uns der Hafen von Toronto. Der Lake Erie, an dem auch New York liegt ist riesig. Da wir am Horizonts kein Ende erkennen, scheint es, als ob Toronto am Meer liegen würde. Nach einem schnellen Rundlauf geht es mit 22 km/h zurück auf kanadischen Boden.

Ich habe ein riesiges Loch im Bauch und gemäß Buddha essen wir im hier und jetzt, so wie es für das Land, in dem wir uns befinden, typisch ist bei einer Fastfoodkette. Es gibt Burrito mit Rind, Bohnen, Guacamole und Käse. Das hat immerhin noch den lateinamerikanischen Touch.

Im Convenience Store nebenan investieren wir unsere letzten Dollar in kanadische Haribos bevor wir zur Metro zurück hetzen. Am Eingang der Union Station stellen wir fest, dass wir im Süssigkeitenwahnsinn zu viel ausgegeben haben und uns nun Geld für die U-Bahn fehlt.
Die Kontrolleurin am Eingang ist gnädig. Wir geben ihr alle Münzen, die noch übrig sind, in eine durchsichtige Plastiksparbox, die wie eine Art Sammeldose für Tickets für Obdachlose und verplante deutsche Backpackerinnen aussieht. Mit einem schnellen Danke laufen wir die Treppe herunter.

Nun bleibt nur noch das Busproblem. Den müssen wir schließlich auch bezahlen. An der Haltestelle ist weder ein Ticketautomat, an dem wir mit Kreditkarte zahlen können, noch ein Geldautomat, der Visa akzeptiert. Wir überlegen kurz, den Fahrer mit 2 Tüten Haribo zu bestechen, die immerhin den gleichen Wert wie die Tickets haben.
Dann fallen uns die Euro ein, die wir noch im Portemonnaie haben. Der erste wartende Kanadier, den wir ansprechen, ist sofort bereit 5 € gegen 6 $ zu tauschen. Bei dem Kurs würde jede Wechselstube pleite gehen. Er ist eh auf dem Weg nach Europa, um mit einer Yacht von Griechenland in die Türkei zu segeln. Da kommen ihm die € sehr gelegen.

Irgendwie haben wir die Mitmenschlichkeit in dieser Stunde auf unserer Seite. Schließlich will der Busfahrer unsere 6 $ nicht ein Mal und der Kanadier ist so nett, das Tauschgeschäft rückgängig zu machen.

Wir kommen gerade rechtzeitig ans Gate, an dem das Boarding in dieser Minute begonnen hat.
Das waren sicher die vier am besten genutzten Stunden, die ich je zwischen zwei Flügen verbracht habe. Allerdings waren es auch die vier hektischsten, da alles im Schnelldurchlauf geschehen musste. Das hat uns einige Nerven und Anne einen Fingernagel gekostet. Immerhin haben wir jetzt ganz Toronto gesehen, wenn auch nur von oben.

23.09.2012, Sonntag – Frankfurt

Posturlaubsdepression

Abwehrreaktionen - Drei Inder in der Reihe vor uns brechen, als wir in Frankfurt landen. Der Himmel ist grau und es sind gerade mal 14 Grad. Ich stimme ihnen zu. Ich möchte auch nicht in Deutschland sein. Ich habe keine Lust, morgen ins Büro zu gehen und die Perspektive, dass ich Weihnachten erst das nächste Mal frei habe, ist schrecklich.

Ich diagnostiziere mich selbst mit einer Posturlaubsdepression. Es sind sogar psychosomatische Symptome zu erkennen. Meine Unterlippe ist mit riesigen Herpesbläschen übersäht und es mangelt mir an Appetit - Abwehrreaktionen.
Auch Anne ist betroffen. Ihre Nase läuft, ihr Hals schmerzt und das Ohr geht nicht mehr auf. Sie will und kann nichts vom Deutschland hören.

Der Abschied fällt schwer. Wir haben uns schon so aneinander gewöhnt. Ich sag schon aus Versehen „Hänni“ zu ihr. Wir sind zu einer Person verschmolzen.
In der S-Bahn scheucht mich eine Inderin wie ein schnatterndes Huhn zur Seite. Ich soll meinen Rucksack wegstellen und den Klappstuhl für ihre Begleitung frei machen. "Ja, si si, don't get all hectic" antworte ich genervt und mixe dabei unbewusst die Sprachen der drei Länder der letzten 24 h.

Am Frankfurter Hauptbahnhof kehrt beim Anblick des Asia Gourmet Restaurants mein Hunger zurück. Einmal "Rindfleisch mit Thai Basil bitte". Endlich wieder vernünftiges Essen! 

Auf meinem Gleis kommt mir ein buddhistischer Mönch entgegen. Das sind eindeutige Grüße. Doch am Ende der Reise, muss ich Buddha leider Unrecht geben. Wie soll ich bitte in der Gegenweit leben, wenn sie so trist ist und die kubanische Vergangenheit so bunt?


Typisch Kuba


-       die Menschen verkaufen aus ihren Fenstern, vor denen meist ein schnörkeliges Gitter hängt
-       Pastellfarben
-       Prunkbauten aus der Kolonialzeit
-       ein wilder Mix aus Barock, Klassizismus, Art Deko und Eklektizismus
-       verzierte Buntglasbögen über den Fenstern
-       Mohito, Cuba Libre, Pina Colada und Daiquiri
-       Musik und Tanz überall
-       den Jungs ist warm, sie ziehen ihr T-Shirt am Bauch hoch
-       die Röcke der Mädels sind kurz und die T-Shirts eng, auch wenn ihr BMI locker bei 24+ liegt
-       geheimnisvolle Türen mit gefliesten Treppen, die nach oben führen
-       Ziergitter
-       Vogelkäfige
-       leere Schaufensterauslagen
-       Eiscreme, am besten von Copellia Strohalme, die mit einer Eiszangen angefasst werden
-       riesige Nestlé Eis Becher
-       wenn sie etwas nicht wissen, schicken sie dich mit ausgestrecktem Zeigefinger zum nächsten Shop
-       Geldabheben geht nur persönlich mit Personalausweis
-       Oft gibt’s nur kleine 0,5 Liter Wasser Flaschen, die großen sind ausverkauft
-       bunte Wäsche hängt an den Balkonen
-       Motorroller mit Beiwagen
-       kaum Zigarettenraucher, viele Zigarrenraucher
-       Che und Revolutions-Graffitis und Tattoo
-       Alles ist frittiert: Bananen, Kartoffelchips, Churros etc.
-       die Kubaner möchten Fotos mit uns auf unserer Kamera machen, obwohl sie ja keinen Abzug bekommen. Sie möchten gern in Erinnerung bleiben.
-       vor Geschäften wird Schlange gestanden, Anstehen für Konsumgüter ist normal
-       keine Fahrbahnmarkierungen auf den Straßen
-       Pferdekutschen und kleine Laster als öffentliche Verkehrsmittel
-       wenn wir die Straße überqueren, werden wir ständig von den auf uns zu fahrenden Autos angehupt, obwohl diese noch mindestens 150 m entfernt sind
-       Straßen- und Verkehrsschilder sind gemalt, nicht gedruckt
-       Schinken-Käse-Sandwich
-       Schilder mit den 5 Köpfen von Befreiungskämpfern, die in den USA in Haft sitzen
-       verlassene Häuser werden nicht abgerissen, sondern verfallen
-       Tüten sind Mangelware, daher kommt auf dem Markt alles in eine Tüte: geschnittene Melone, Bananen und Zuckeräpfel
-       in schmalen, langen Papiertütchen, die oben zusammengefaltet sind, wird eine Portion gesalzene Erdnüsse verkauft
-       lange Hunde, in denen viel Dackel steckt und alles mögliche andere
-       die Autos sind alt und kaputt aber bis zum geht nicht mehr gepimpt
-       für die Kleinen gibt’s dunkelrot- weiße Schuluniformen, für die Großen besch-weiße
-       Grünflächen sind sich selbst überlassen. Es wir viel weniger angebaut und Acker bestellt, als eigentlich möglich wäre
-       Domino, aber wir sehen sie nur mischen, nicht spielen
-       Zigaretten werden gelötet, es gibt zu wenige Feuerzeuge
-       Improvisationstalent
-       Musik – überall und betörend laut
-       Salsa, Son und Rumba
-       Und Rum natürlich!

Kuba vs. Südostasien

Im Vergleich zu Südostasien ist Kuba noch viel weiter entfernt von westlicher Zivilisation. Sogar im Vergleich mit dem armen Kambodscha, macht Kuba einen noch ärmeren Eindruck. In dem südostasiatischen Land haben viele Menschen Handys und ein TV. In jeder noch so einfachen Unterkunft gibt es W-LAN. Das findet man in Kuba kaum. Medien und die Geräte, um zu kommunizieren, spielen keine Rolle.

Statt W-LAN gibt es in jeder einfachen Unterkunft warmes Wasser. Das war in SOA wiederrum Mangelware.

Die Transportmittel in Kuba sind veraltet und verrostet. Nur ganz selten sehe ich Fahrräder oder Roller, von denen es in SOA nur so wimmelte.

SOA liebt Karaoke, Comics und bunte Smoothies. Kuba liebt Salsa, Rumba, Son, Reggeaton und eine Oper beim Putzen zu schmettern.

In SOA gibt es an jeder Ecke Kaffee mit gezuckerter Milch und crushed Eis. In Kuba fehlt eine Kaffeekultur. Dafür haben sie die Rumkultur und ziemlich gute Cocktails.

Den zwei Sorten kubanisches Bier stehen die zahlreichen Sorten in SOA entgegen. In Vietnam gab es sogar pro Stadt mehrere Sorten.

In SOA wird Zigarette geraucht, in Kuba Zigarre.

In SOA ist Ananas gelb, in Kuba weislich.

In SOA und vor allem in Thailand sind 70 % tätowiert. In Kuba höchstens 3 % und davon tragen 2 % Chés Antlitz auf der Haut.

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